Promis für Legalisierung – DR. MARK BENECKE im Interview

Von Sigrid Schulz, 10. November 2020, 21:19 Uhr, https://www.promisundmehr.de/promis-fur-legalisierung-mark-benecke-intervi/

Promis für Legalisierung von Cannabis: Dr. Mark Benecke ist Kriminalbiologe und allen Freunden von „Real crime“, wie zum Beispiel „Medical Detectives“ (jede Nacht auf VOX) wohlbekannt. Aktuell gehört Benecke zu einer Kampagne des „Deutschen Hanfverbandes“ (DHV), bei der Promis die Legalisierung von Cannabis fordern. Im Interview mit „Promis und mehr“ erklärt Benecke, wieso er teilnimmt und warum er als sein persönliches Statement „Legalisierung gegen die organisierte Kriminalität!“ gewählt hat und auch warum die Kampagne „Promis für Legalisierung“ so notwendig ist und was Vorurteile damit zu tun haben.

Warum ist der Verbot von Hanf für die organisierte Kriminalität so wichtig? Ist bekannt, wie hoch der Anteil ihrer Einnahmen ungefähr durch Hanf erzielt werden?

Es geht um THC-haltige Pflanzen. In den Vereinigten Staaten, wo THC schon in mehreren Bundesstaaten legalisiert ist, sind die Steuereinnahmen durch Cannabis teils höher als durch Alkohol — und das in einer Welt, in der Alkohol allgegenwärtig ist. Die illegalen Umsätze mit Cannabis betragen weltweit jährlich mindestens dutzende, vielleicht auch hunderte Milliarden Euro. Stand Herbst 2020 haben die US-Staaten, in denen Cannabis legalisiert ist, bisher etwa vier Milliarden Dollar an Steuern eingenommen. Und das sind nur die Steuern, nicht die Umsätze! (Quelle)

Ich finde fast wichtiger, dass in den Staaten, in denen Cannabis legalisiert wurde, sofort die Verbrechensrate abfiel: In Colorado gab es nach nur einem halben Jahr nach der Cannabis-Freigabe sechzig Prozent weniger Morde, sowie zwischen 12 bis 40 Millionen Dollar in Geld umgerechnete, verfügbare Arbeitszeit bei der Polizei.

Ein Dealer dürfte ein hohes Interesse haben, die Hanf-Konsumenten zu härteren Drogen zu bringen, was bei einer Apotheke oder ähnlichem nie passieren würde. Ist darüber etwas bekannt in welchem Ausmaß das geschieht? Wie ist es zu erklären, dass dieses Problem ignoriert wird?

Es verkauft immer der, der grade Chef ist, das wechselt im Lauf der Jahre. Die Abgabe über Apotheken oder andere kontrollierbare Läden wäre eine bereits erprobte und perfekte Lösung, nicht nur, um die organisierte Kriminalität vor die Wand laufen zu lassen, sondern auch, um Verunreinigungen und Beimengungen im Cannabis zu vermeiden.

Wie frustrierend mag es für die Polizeibeamten sein, anstatt eben organisierte Kriminalität zu bekämpfen oder islamistische Gefährder zu stoppen, einem kleinen Kiffer hinterherzurennen? Der Hanfverband hatte vor ein paar Jahren mal die Zahl von 180 000 Strafanzeigen im Jahr genannt. Ist es nicht Irrsinn, welche Kapazitäten und Steuergelder dafür aufgewendet werden?

Eben — vor allem, weil die Kiffer-Kontrollen ja das Problem der organisierten Kriminalität, also der Verlagerung ins Illegale, miterzeugen. Das will keine Polizistin und kein Polizist. Die Kolleg:innen werden aber gleichsam dazu gezwungen.

Warum gibt es quasi keine Haschisch-Toten? Wieviel müsste ein Mensch zu sich nehmen, um sich umzubringen?

Würde ich so gar nicht rechnen. Es geht um Familien, Angehörige und von mir aus auch Wirtschaftskraft. Hier ist Alkohol mit Abstand an Platz eins der sozialen Schäden, gefolgt von Heroin und Crack. Gleich nach Kokain kommt übrigens Tabak. Dann kommt Speed und dann erst Cannabis. (Quelle)

Die tödliche Dosis für THC spielt keine Rolle, sondern die soziale Zersetzung, die Drogen bewirken.

Warum gibt es eher keine körperliche Abhängigkeit?

Jede Abhängigkeit ist scheiße, auch von Cola und schrottigem Tiefkühlessen. Mir geht es im Cannabis-Fall darum, dass wir seit der Alkohol-Prohibition in den Vereinigten Staaten sicher wissen, was passiert, wenn Menschen eine Droge nicht erhalten, die bereits sehr weit verbreitet ist.

Letztes Mal ist die Mafia riesengroß geworden, derzeit sind es alle möglichen anderen Gruppen der organisierten Kriminalität, die sich wie ein Kind im Spielzeugladen mit Mamas und Papas unbegrenzter Kreditkarte shoppend und lachend austoben.

Mich treibt diese Unvernunft der Handelnden in den Wahnsinn.

Gibt es irgendeine Vorstellung, wie viele Menschen als kleine Dealer für mafiöse Hintermänner arbeiten?

Na klar, geh mal in den Görli. Da kannst du es dir ungefähr ausmalen. Es geht aber nicht nur um ‚mafiöse Hintermänner‘, sondern darum, dass ja viele kleinere “Unternehmer” auch erst die Drogen und dann das Geld an allen anderen Menschen vorbeischleusen.

Stell Dir mal vor, was wir mit den Steuergeldern machen könnten, alleine für Schulen, Kindergärten und zur Drogen-Aufklärung… denn genau das wird in den Vereinigten Staaten mit dem Cannabis-Geld gemacht.

Glaubst du, dass die Politiker an den entscheidenden Stellen von Verbrechern geschmiert werden? Und ist die Alkohol- und Pharma-Industrie vielleicht genauso oder sogar noch eher bei der entsprechenden Lobbyarbeit aktiv?

Ach, es ist wenn, dann eher eine Scheißegal-Haltung: „Ich kiffe nicht, meine Kinder vielleicht auch nicht, bei den Wählerinnen und Wählern ist das Thema unbeliebt… reden wir lieber über was anderes”.

Und das damit verknüpfte, alles überschattende Alkohol-Problem fasst ja auch kaum jemand gerne an. Grund: Alkohol ist “normal“ oder cool oder spaßig oder gesellig oder gehört jedenfalls bei sehr vielen Menschen einfach zum Tages- oder Feier-Ablauf dazu, bis hin in den ganz feinsinnigen Bereich, etwa bei Whiskey oder Rotwein.

Ist es möglich, dass Kiffer vor Gericht oft schlechter als andere Angeklagte behandelt werden?

So ist es oft, ja. Ich bin ja auch schon an der holländischen Grenze im Zug mega hopps genommen worden, weil ich dort alleine im Bimmelzug unterwegs war. Es gab keine Entschuldigung nix, ich stand am Ende fast nackt im Abteil, und die ganzen internationalen Menschen im Zug haben sich für die sehr jungen und erkennbar unerfahrenen Beamten sichtlich zu Tode geschämt.

Es gibt aber auch viele Fälle, in denen Richterinnen und Richter gut erkennbar den Knall hören, von der Klage genervt sind und sie entsprechend be- und verhandeln. Vorurteile gegen alles mögliche gibt es immer, das ist eine Eigenart vieler Menschen.

Schätzungen gehen von bis zu vier Millionen Kiffer in Deutschland aus. Diese müssen neben strafrechtlicher Verfolgung auch mit gesellschaftlicher Ächtung und dem Verlust des Führerscheines rechnen, selbst wenn sie niemals bekifft mit dem Auto fahren. Eltern wird gedroht die Kinder wegzunehmen. Das ist regelrecht gruselig oder?

Wie tief die Angst davor sitzt, zeigt sich auch daran, dass hunderte kiffender Promis sich nicht trauen, sich zu outen, während ich, als Nichtkiffer, eines der wenigen Gesichter der Sache geworden bin. Es haben also auch viele Kiffer:innen sozusagen Vorurteile oder keinen Mut, die Tatsachen und Daten einmal anzusehen, deutlich zu sprechen und auch mit sich selbstkritisch umzugehen.

Wir sind jetzt selben Punkt wie bei der Abtreibung, als sich endlich super viele Frauen geoutet haben, so dass klar wurde, wie weit verbreitet Schwangerschaftsabbrüche sind und wie übel die Kriminalisierung, das Heimliche, das Untergründige auf alle Beteiligten wirkte.

Die Älteren erinnern sich noch an die Schockwelle, die der stern-Titel im Jahr 1971 verursachte, als unter anderem die damals sehr bekannten Schauspielerinnen Senta Berger und Romy Schneider derart die Schnauze voll hatten, dass sie auf dem Zeitschriften-Titel, der damals in jedem Kiosk und Zeitschriftenladen fett auslag, mit Foto zugaben, eine Schwangerschaft abgebrochen zu haben. Zack, geht doch!

Du sagst also, dass vor allem die Vorurteile das große Problem sind?

Auch bei der so genannten Homo-Ehe lief es so. Ich werde den Tag nicht vergessen, als ich dem damaligen Justizminister Heiko Maas im Sommer 2017 auf dem Cologne Pride die Hand schütteln durfte, kurz nachdem er das Gesetz unter schrieben hatte. Es war einfach Zeit, das Leid und den Schaden, besonders angesichts der immer noch rechtskräftig bestehenden Verurteilungen wegen Homosexualität (richtig gelesen), endlich zu beenden.

Genau so wird es mit Cannabis sein: Wenn das Gewebe aus Vorurteilen und Geschwätz erst einmal zerrissen sein wird und sowohl die wissenschaftlichen Untersuchungen (die ja nicht jeder und jedem empfehlen, Alkohol zu trinken oder Cannbis zu verwenden), als auch der kriminalistische Teil ruhig umgesetzt werden, wird kein Mensch mehr wissen, warum es das jahrzehntelange Theater um etwas längst abgefrühstücktes überhaupt gab.

Die Studien-Lage ist — sozial, kriminalistisch und wirtschaftlich — eindeutig.

Genau wie Benecke sieht das auch der Hanfverband-Chef Georg Wurth:

"In den USA haben prominente Stimmen den Durchbruch gebracht. Jetzt wird die Legalisierung von Cannabis auch in Deutschland Mainstream.” — Georg Wurth, DHV

“Promis für Legalisierung” ist Teil der DHV-Kampagne “Mehrheit 2020”, zu der auch das neue Informationsportal cannabisfakten.de gehört.


Spektakuläre Kriminalfälle oder politisches Engagement zählen zum Alltag von Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke. Er erzählt uns, auch aus seinen persönlichen Erfahrungen heraus, wie er allgemein zum Thema steht und warum für ihn Cannabis längst zu Deutschland gehört. Auch im Hinblick auf die anstehenden Bundestagswahlen möchten wir die Debatte in der Gesellschaft weiter aufleben lassen. Wie steht ihr zum Thema Legalisierung in Deutschland?



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