Mark Benecke: Fremdwort- und laberfrei

Quelle: Sonic Seducer, Okt. 2020, S. 98—99

Interview: Medusa / Fotos: Jara Reker

Schläft der auch mal? Kennt er das Wort „Pause“ überhaupt? Und: Gibt es irgendwas, was er nicht kann? Beruflich als Kriminalbiologe erfolgreich, hat sich Dr. Mark Benecke längst auch mittels seiner Vorträge und Buchveröffentlichungen einen Namen gemacht. Gut gelaunt präsentiert er überdies seine Tattoos, nimmt allerlei Kurioses unter die Lupe und macht auch als Moderator stets eine gute Figur. Langeweile – Fehlanzeige! Neben den beiden aktuellen Werken „Mein Leben nach dem Tod“ und „Viren für Anfänger“, die wir bereits in der Oktoberausgabe besprochen haben, kommt Dr. Mark Benecke in unserem Interview jetzt auch persönlich auf seine neuesten Abenteuer zu sprechen und verrät dabei seine große Freude an Musik, die nicht dunkel genug sein kann.

„Bücher schreiben ist für mich wie Bergwandern“, so Dr. Mark Benecke gleich zu Beginn mit einem Lachen, und er führt weiter aus: „Bergwandern ist sehr anstrengend, denn du musst immer genau aufpassen, wohin du trittst, aber die Aussicht belohnt dich. Das 'Thierbuch' beispielsweise war fast gar nicht bezahlt, ist aber wunderschön geworden, so was habe ich noch nie gesehen.“ Insgesamt hat man das Gefühl, dass die Leute im Moment einfach alles interessiert, was der umtriebige Dr. Made anpackt. Wie erklärt er sich selbst das hohe Interesse der Menschen an seiner Person? Mark legt die Stirn in Falten und meint: „Das weiß ich nicht wirklich. Aber vielleicht gibt es viele Gründe? Frag am besten mal bei die-markierten.org nach – das sind Hunderte, die meine Unterschrift oder kleine Tierchen von mir als Tätowierung tragen.“

Eine Autobiografie zu schreiben, setzt ein gewisses Maß an Selbstreflexion voraus – gab es in den vergangenen Jahren Zäsuren in Mark Beneckes Leben, die ihn maßgeblich stark beeinflusst und geprägt haben? Marky Mark lässt sich hierbei nicht allzu sehr in die privaten Karten gucken und erklärt an dieser Stelle: „Mich interessieren nur Klarheit und Wahrheit. Ich erwarte nichts besonders Gutes, daher erlebe ich Einschnitte nicht als solche, auch wenn sie von außen betrachtet vielleicht welche sind. Ich erfreue mich eher daran, dass es mal hin und mal her geht.“

Doch Hand aufs Herz, bei so viel Besonnenheit und Lebensweisheit: Gab es bislang nichts, was ihn an seine Grenzen gebracht hat und gab es je Momente des Zweifelns, ob der eigene (berufliche) Werdegang wirklich der richtige ist? „Ich habe die ersten fünfzehn Jahre fast nichts verdient.“ Dr. Benecke zuckt amüsiert mit den Schultern und führt weiter aus: „War mir aber egal, ich habe Spaß an meinem Leben. Im Ernstfall frage ich mich nur, ob es eine Lösung gibt oder nicht. Wenn es keine gibt, kann ich es nicht ändern.“

Das Thema der Fremdbestimmtheit ist eines, dass die Menschen in Coronazeiten auf unterschiedlichste Art beschäftigt. Dabei rangieren Unwissenheit und Unsicherheit schnell zu einem äußerst fruchtbaren Nährboden für Verschwörungstheorien und allerlei weiteren schrägen Haltungen. Mit seinem Buch „Viren für Anfänger“ nimmt sich Mark Benecke den gängigsten Fragen rund um Corona an. Was war das Anliegen, ein Corona-Buch zu schreiben? „Ines und ich haben tausende von Fragen über Insta, E-Mails und Facebook erhalten. Fand ich spannend und habe die Studien zu den Fragen rausgesucht und einen Youtube-Kanal gemacht: virusonline.de – fremdwortfrei, laberfrei. Alles übrigens ohne einen Cent Bezahlung, Werbung oder sonst was.

Es kommen auch heute noch laufend Fragen, die wir beantworten, mit oder ohne Buch“, entgegnet der vielseitig interessierte und engagierte Wissenschaftler mit ernster Miene. Tatsächlich wird heute gerne angenommen, dass wir in einer Informationsgesellschaft leben – theoretisch bestehen unglaubliche Möglichkeiten, sich zu informieren. Doch es gibt zweifelsohne eine deutliche Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis. Wie geht Benecke als Wissenschaftler mit dem Wahrheitsbegriff um? Wie viel seiner Arbeit hat mit Wahrheit zu tun und wie viel mit Fiktion – im Sinne des mentalen Hineinversetzens und Rekonstruierens von Tatabläufen? Nach einer kurzen Denkpause führt Dr. Benecke aus: „Es stimmt, fast alle Menschen können sich gut informieren, wenn sie das möchten. Was meinen Wahrheitsbegriff angeht, so ist Wahrheit für mich, wenn du etwas durch messbare Spuren ohne Denken, Glauben oder Meinen eindeutig elegen oder widerlegen kannst. Gute Frage übrigens.“ Neben der schillernden Biografie und dem eingängigen Coronabuch ist Mark Benecke aber auch nicht verlegen, einen spannenden musikalischen Geniestreich zu veröffentlichen. Woher rührte die Idee, mit Bianca Stücker Songs von Leonard Cohen zu interpretieren? Beneckes Augen blitzen auf und es ist offensichtlich, dass ihm dieses Projekt sehr viel Freude bereitet hat: „Bianca singt so gerne und unsere Zusammenarbeit macht einfach immer viel Spaß. Außerdem ist Madame total irre, weil sie alles selbst machen will: Tonmischung, Schnitt, acht Milliarden Instrumente – Harpsichord, Hackbrett, Flöten aller Art, Synthesizer, Spinett – und das ist obendrein auch schön anzusehen und anzuhören. Und ich mache gerne Videos mit ihr, denn sie ist staubtrocken und stets befremdet, während alle anderen in Musik, Sex und Rock’N‘Roll baden. Schaut euch einfach mal unsere Videos an!“

Was macht Biancas Persönlichkeit aus und warum passen die Cohen-Songs zu ihr? Da lässt sich Mark am Ende des Interviews dann doch noch ein wenig auf Nähkästchen-Plauderei ein: „Weil sie eine alte Gruftidame ist, die depressive Sänger gut findet, die schon lange vor Depeche Mode und den Sisters Schwärze verbreitet haben. Cohen ist der Übervater aller Gruftis; die Sisters heißen sogar nur so, weil Cohen ein Lied dieses Namens gemacht hat. Außerdem will ich mit Bianca ins Chelsea Hotel in New York. Da sie ihre hässliche Heimat Hamm normalerweise nicht verlässt, ist sie nun in Zugzwang, denn ‚Chelsea Hotel No.2‘ ist eines der Lieder von Cohen, die wir neu gebaut haben.“

Bianca Stücker über „We Want It Darker

Was verbindet Dich persönlich mit den Songs von Leonard Cohen?

Vor dieser Zusammenarbeit nicht so schrecklich viel – eigentlich war für mich der Soundtrack von „Natural Born Killers“ der erste und für lange Zeit auch letzte Berührungspunkt mit Leonard Cohen. Aber diesmal sollte sich Mark etwas wünschen, das wir gemeinsam covern, und das waren „Chelsea Hotel No.2“ und der „Master Song“. Mit Hackbrett. Und dieser Aufgabenstellung habe ich mich dann elanvoll gewidmet!

Leonard Cohen ist nicht unbedingt ein Musiker, den die Schwarze Szene auf dem Schirm hat. Warum lohnt sich deiner Meinung nach die Beschäftigung mit seinen Songs?

Ich habe mich ja nun hauptsächlich mit „unseren" beiden Songs und dem Intro „You Want It Darker“, auf das der Titel „We Want It Darker“ anspielt, auseinandergesetzt, und das war wirklich eine bereichernde Erfahrung. In den Texten und der sehr reduziert gehaltenen Musik schwingt eine zerbrechliche Abgründigkeit mit, die viele Szeneanhänger ansprechen dürfte.

Die Texte sind melancholisch, etwas kryptisch, manchmal auch sehr direkt und immer berührend – wahrscheinlich, weil sie aufrichtig sind.

Sind die Songs durch eure Bearbeitung wirklich „darker“ geworden? Welche Akzente hast Du bewusst gesetzt?

Eigentlich sind sie schon im Original ziemlich „dark“. Es ging also darum, mit unseren Versionen die Atmosphäre einzufangen und angemessen wiederzugeben, allerdings mit anderen Mitteln, das war so grob meine Idee. Im Vordergrund sollte der Text stehen, wir erzählen die jeweilige Geschichte, mit all ihren Ecken und Kanten, untermalt von der sparsamen instrumentalen Begleitung, die bei „Chelsea Hotel“ tatsächlich hauptsächlich – wie gewünscht – aus Hackbrett besteht, beim Master Song tauchen dafür immer wieder jede Menge andere seltsame Instrumente auf.

Was schätzt Du an der Zusammenarbeit mit Mark Benecke?

Ach, alles! Wir sind schon seit Jahrzehnten Brieffreunde, drehen Videos, nehmen Sachen auf oder machen Quatsch.

Was macht Dir persönlich besonderen Spaß an einem Projekt wie diesem?

Als überraschend und schön hat sich herausgestellt, dass mir die beiden Songs, die ich vorher ja gar nicht kannte, wirklich lagen. Es war ganz leicht, einen Zugang dazu zu finden und sie zu etwas Eigenem zu transformieren, sozusagen. Und Mark konnte alle Texte sowieso schon auswendig – im Falle des „Master Songs“ sind das immerhin neun (!) Strophen, er hat sie sehr überzeugend interpretiert, und das ist genau das, was die Lieder brauchen – etwas Echtes und Unverstelltes.


Merkwürdig hoch zwei

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