Interdisziplinäres Fachforum: Der Fall Mirco

Quelle: Mitteilungen der DGRM (Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin), in: Rechtsmedizin 22:506-513, Ausgabe 06/2012

Bremen, 13.-14.09.2012

Das Bremer Fachforum unter der Leitung von Prof. Birkholz und mit Unterstützung des hat sich zu einem zentralen Knotenpunkt des kriminalistischen Austausches in Deutschland entwickelt. Erneut wurde am Beispiel eines einzelnen Tötungsdeliktes – hier dem Mord an Mirco in NRW im Jahr 2010 detailliert und in großer Offenheit dargestellt, wie ein sehr schwieriger Fall technisch, organisatorisch und gedanklich bearbeitet und gelöst werden konnte.

Die Mitglieder der Mordkommission (MK) samt IT (“digitaler Tatort”) und Pressestelle sowie der OFA NRW traten dabei als Team auf. In ihren sehr praxisnahen Berichten wurde deutlich, dass die Erfahrung spezialisierter Kriminalisten, die jahre- und jahrzehntelang ihren Dienst versehen, den einzigen Schlüssel zur Bewältigung einer Spurenfülle darstellte, die alle Anwesenden staunen ließ.

Symbolfoto: Mark Benecke

Abgesehen von der notwendigen Personalstärke – auf jeden der 22 Kriminalisten auf der Straße kamen zwei im Backoffice – wurde beispielsweise durch eine aufwändige und sehr clevere Bewertung der Funkzellendaten von Anfang an versucht, nur logische und belegbare Ermittlungsrichtungen zu verfolgen und auf das „Bauchgefühl“ zu verzichten. Ein logisch gestuftes Vorgehen war hier unter anderem deswegen wichtig, da lange vor dem Leichenfund (dieser erfolgte erst nach der Verhaftung des Täters Anfang 2011) schon im Herbst 2010 die Mahd von Maisfeldern mit der akuten Gefahr der Spuren- und Leichen-Zerstörungen bevorstand.

Hierbei lieferte die OFA, durch lange Erfahrung geübt, schon früh nicht nur tragfähige Einschätzungen zum möglichen Täter, sondern vor allem auch klassisch-kriminalistische Überlegungen zum möglichen Fundort der Leiche, zu Fahrtrouten und ähnlichem. Einer der vielen interessanten Hinweise der OFA war beispielsweise, dass es sich nicht um einen homosexuellen Täter handeln müsse, sondern ebenso gut ein heterosexueller Mann in Frage käme, der aus innerem und zeitlichem Druck heraus einen erweiterten Opferkreis wählen könnte. Dies war auch so.

Das in Amtshilfe hinzugezogene LKA Hessen stemmte einen zumindest mir bislang noch nie bekannt gewordenen Aufwand, als es ab dem 27. Dezember 2010 gut 2500 Hautschuppen von der vom Täter im Freien verstreuten Bekleidung des Opfers asservierte (reine Zeit für die Asservierung von Hautschuppen: drei Wochen mit drei technischen Assistenten) und DNA typisierte. Nur insgesamt sieben (!) Hautschuppen stammten dabei von drei verwandten Personen – wie sich später herausstellte, vom Täter und seinen Söhnen, deren abgeschilferte Haut an der Bekleidung des Vaters haftete und so verschleppt worden war. Das Verfahren wird von einem Kollegen übrigens auch als “hot flakes for cold cases” (siehe auch gleichnamige Veröffentlichung im Int J Legal Med) angewendet.

Eine weitere spannende Besonderheit lieferte die Arbeit der ehemaligen Leiterin des Bereiches für forensische Phonetik am BKA, heute Professorin an der Universität Trier, die in einem experimentellen Verfahren zusammen mit den Ermittlern, Studierenden sowie den echten Zeugen, die einen sehr lauten Schrei gehört hatten, die Richtung ermittelte, aus der dieser Schrei gekommen war. Hierbei wurde nicht gerechnet, sondern aufwändig im Feld experimentiert, und zwar unter Einbeziehung der echten Räume, in denen die Zeugen ihre Wahrnehmungen gemacht hatten.

Den rechtsmedizinischen Teil deckte eine weitere Kollegin ab, die sich für einen möglichen Einsatz unter anderem mit einem insektenkundlichen Kit und Gummistiefeln, die in ihrem Auto für alle Fälle lagen, schon vorbereitet hatte und dann tatsächlich aus dem Stand heraus zum Fundort der Leiche gerufen wurde. Obwohl keine Knochenscharten gefunden wurden und die zur Bestimmung von Druck auf den Hals interessanten Gewebeteile fehlten, konnte doch immerhin eine der drei Kern-Versionen des Täters zur Tötung (Schwitzkasten, Mund zuhalten oder Strangulation) als am wahrscheinlichsten dargestellt werden.

Einen Blick auf die Täterpsyche lieferten – auch angesichts der wechselnden Aussagen des Täters zum Tatablauf – nicht Psychologen oder Psychiater, sondern die MK selbst durch einen der auch bei der Verhaftung anwesenden Vernehmungsbeamten. Hierbei wurde deutlich, dass der von seinen drei ehemaligen Ehefrauen als ruhig und freundlich geschilderte Täter trotz eines Geständnisses immer noch Teile des Handlungsablaufes kaschiert und variiert.

Obwohl der MK-Leiter überrascht darüber war, dass selbst die Verteidigung vor Gericht die gute Arbeit der Polizei lobend anerkannte, bewies die Tagung, dass eine moderne, streng interdisziplinäre, auch LKA-übergreifende Bearbeitung eines Falles, der leicht in einem Meer aus objektiven Spuren und leicht als subjektiv anzusehenden Hinweisen ertrunken wäre, eine sehr stringente, sichere und vielfach abgesicherte Ermittlung gewährleistete.

Mit nach Hause nahmen die TeilnehmerInnen zudem, dass ein offener Umgang mit der Presse, auch Wünschen nach personalisierten Geschichten über die Arbeit des Teams und Ideen des bilderhungrigen Fernsehen – stets in enger Abstimmung mit den Zielen der Ermittler und stets durch die Hände eines einzigen Pressesprechers - erstens das sonst übliche Genörgel betreffs angeblich zu langsamer Polizeiarbeit nicht nur abstellt, sondern sogar ins Gegenteil verkehrt, und dass zweitens auch eine für den Fall gezielt nützliche Steuerung der Presse, beispielsweise von Suchmeldungen, dadurch kriminalistisch effizient möglich wird.

Der während der Tagung vorgetragenen Einschätzung, dass eine interdisziplinäre Fallbearbeitung wie diese das Vertrauen der BürgerInnen mehr stärkt als LKW-weise Lieferungen von Glanzprospekten, wurde nach gründlicher Prüfung durch die anwesenden FachkollegInnen aus ganz Deutschland und Österreich vollständig zugestimmt.



Criminal investigator on lint

Annals of Improbable Research 2011


Siebenfachmord von Sittensen

Interdisziplinäres Fachforum


Homosexual pedophile serial killer

Jürgen Bartsch


Odorologie-Symposium

Hamburg 2015


STR locus D8D306

in a large population sample from Germany


STR locus HUMD8S306

in a large population sample from Germany


(GTG)5

& the nematode Caenorhabditis elegans


Prozess gegen mutmaßlichen Täter

beginnt in Baden-Baden


“Schlechte Idee, die Leiche wegzuwerfen”

Leichenteile in Hamburger Kanal


Tierische Ermittler

Geolino