Quelle: SeroNews 11(2):48-50 (2006)
58. Jahreskonferenz der American Academy of Forensic Sciences (AAFS) in Seattle (20.-25. Februar 2006) / Kongresstagebuch von Katrin Heuser
Autor: Katrin Heuser, Fotos: Mark Benecke
Sonntag, 19. Februar 2006
Das Hostelzimmer ist eher rustikal, eben mit Hochbetten und dicken Decken und so, aber wir befanden es als sehr abgefahren. Mangels eines Kleiderschrankes kauften wir erst mal ein paar billige Kleiderbügel, die nun am Rohr der Sprinkleranlage an der Decke hängen (Abb. 1).
Montag, 20. Februar 2006
Eigentlich wollten wir ja ausschlafen, aber wie das so mit dem Jetlag und Aufregung ist stellten wir kurz vor 7 Uhr fest, dass eh alle wach waren. Wir richteten also unsere Bude näher ein (chaotisch), testeten die Duschen (sauber), und verpassten der Publikation ("Luminol", Archiv für Kriminologie, LINK ) den letzten Feinschliff (Abb. 2).
Mit diversen Zwischenstopps (Mark brauchte unbedingt einen schwarz-schreibenden Füller, wir Damen brauchten unbedingt Postkarten) schafften wir danach die 4 Blocks bis zum Tagungszentrum und waren erst mal schwer beeindruckt: Viel Tageslicht, recht nobel, und viele Rolltreppen (Abb. 3).
Wir fanden dann auch die eigentliche Konferenz in der 3. Etage und holten erst mal unsere tollen Pakete ab: Tasche mit Konferenzaufdruck, Kuli, Kühlschrankmagnet, Lineal, diversen Programmen und Werbungen und natürlich - ganz wichtig - das tolle Namensschild samt Wimpel ("International", "First Meeting" usw.) (Abb. 4). Was allerdings fehlte, war unser Poster, was am Empfang liegen sollte und dort aber nicht auffindbar war... . Nach einem Anruf bei der Verantwortlichen war klar: Das Poster sollte da sein. Also zurück zum Tagungszentrum, und siehe an, plötzlich war es da.
Dienstag, 21. Februar 2006
Um 5:30 klingelte der Wecker, um 6:40 waren Mark und ich dann auch gut auf dem Weg zur Konferenz, genauer gesagt zu unserem ersten Frühstücksseminar: "Bioterrorismus". Hmmm, man sollte im Programm vielleicht darauf hinweisen, dass es sich hauptsächlich um eine juristische Perspektive handelte.
Nichtsdestotrotz war es interessant (mein Gott, ich wusste ja das Juristen komisch denken, aber soooo...) und kurzweilig, und das Essen war auch durchaus erträglich. O.k., es handelte sich um ein Amerikanisches Frühstück, also Rührei, gebratener Speck, gebratene Würstchen, Kartoffeln und Kuchen, also sehr ungewohnt für normale Mitteleuropäer, aber gut (Abb. 5).
Dann gings los zu den Workshops, ich in "Sexual Homicides" (essentiell: Serienmörder), Mark zur näheren Beleuchtung der Todesstrafe (Abb. 6). Der Workshop war absolut klasse: Erst gab es Definitionen und Statistik und Untersuchungen, dann schicke Forensik-Anwendungen, und zuletzt 2 Fallstudien. Alles von den FBI-Leuten aus Quantico, die sich von Berufs wegen mit der Erforschung von Serienmördern beschäftigen. Nichts für schwache Mägen, aber unheimlich faszinierend (hey, ich hab ja noch gar keine Ahnung, wie man so was durchleuchtet!)
Die erste Pause nutzte ich, um mal bei Marks Workshop vorbeizuschauen, der mich dann Michael Badern vorstellte (ich ahnte ja nicht, wem ich da die Hand drücke... der Mann war bei der Marilyn Monroe Autopsie, hat beim O.J. Simpson-Fall mitgearbeitet und den Abschlussbericht für JFK geschrieben! Das ist DER Gerichtsmediziner überhaupt!).
Mittwoch, 22. Februar 2006
Heute hatten N. und ich zusammen ein Frühstücksseminar, "atypische Serienmörder". Nachem ich gestern die typische Beschreibung gehört hab, musste heute natürlich die andere Seite sein. Der Vortrag war gut verständlich und klasse zusammengestellt.
Dann machten wir uns für die Postersession fertig und wichen nicht mehr von der Stelle, man könnte ja das interessanteste Gespräch des Tages verpassen. Es interessierten sich wirklich viele Leute für das Poster, und ich denke, dass wir das alles gut gemanaged haben (mein Namensschild mit "First Meeting" hatte ich wohlweislich versteckt). Mark ließ uns das streckenweise ganz allein machen, und wir sammelten letztendlich 28 E-mail-Adressen von Leuten ein, die weitere Infos haben wollen (Abb. 7).
Dann sahen wir uns die Industrie-Ausstellung an und trafen einen forensischen Brandexperten, der gleich um die Ecke von Sacramento arbeitet (Abb. 4), wieder Michael Baden und einen freundlichen Mensch namens Neil Haskell, der echte Panzer sammelt (und auch sonst recht bekannt ist, was Mark uns aber erst später mitteilte).
Zurück im Hostel powernappten (= kurz-mittagsschliefen) wir, schmissen uns in bequemere Klamotten, zogen uns einen original amerikanischen Burger rein und eilten wieder zur Konferenz. Nun gab es die Bring-your-own-Slides-Vorträge, wo diverse Leute ihre merkwürdigsten Fälle und interessanten Begebenheiten - meist humorvoll - präsentieren. Mark machte neben seinem eigenen Vortrag die Technik (Abb. 8).
Highlights:
- Der nackte Mann im Schnee, der sich das Rauchen abgewöhnen wollte, dazu auf einer Münze rumlutschte und dann zu tief einatmete (und erstickte).
- Die Frau, die eine Flasche Wein leer trank, und dann mit Hockhacken den dunklen, steilen, vereisten, unebenen und ungesicherten Steg zu ihrem Boot runterging (und ertrank).
- Die Frau, die an Silvester am Strand Muscheln in ihre Tasche steckte, die anscheinend Feuerwerksreste enthielen und sich im Auto unter Einwirkung der Heizung selbst entzündeten.
- Der Typ der sich als Schutz gegen Körperläuse in einen Regenanzug einklebte und dann das zur äußeren Anwendung gedachte Entlausungsmittel trank. Usw....
Das Ganze ging um 22 Uhr zu Ende.
Donnerstag, 23. Februar 2006
Ich schaffte es um 5:30 aus dem Bett, aber im Verlauf des Tages halfen weder schwarzer Kaffee noch sonstige Coffein-Gaben auf Dauer. Mark und ich besuchten das Frühstücksseminar über SNPs (short nucleotide polymorphisms), genauer über die Bestimmung bestimmter Ethnien aus genetischen Fingerabdrücken. Viel Stoff, aber gut.
Danach fingen die Vorträge in den einzelnen Disziplinen an, für uns also hauptsächlich Pathologie/Biologie. Heute morgen waren merkwürdige Todesarten dran, außerdem Tod durch Feuer und Elektrizität und Haaranalysen. Dann das Lunch-Seminar zum "Green River Killer", der seit 1982 mindestens 48 Frauen hier in der Gegend umgebracht hat und erst vor 5 Jahren gefasst wurde. Das Essen war gut, der Vortrag etwas unwissenschaftlich.
Um 17 Uhr fanden wir uns dann im Hyatt ein, wo Mark Übersetzerinnen für Kolumbien rekrutierte, wir uns mit diversen netten Leuten unterhalten und nebenbei gratis guten Wein tranken (ok, ich fand ihn gut, der amerikanische Wein ist bisweilen etwas gewöhnungsbedürftig...). Mark befindet übrigens, dass die amerikanischen Typen dort vom Geheimdienst waren...kann sein, bei Fragen nach dem Lebenslauf oder der Motivation haben die Herren - trotz Weineinfluss - verdächtig lange gebraucht. Wir hatten jedenfalls unseren Spaß, und machten im Hostel gleich weiter Party mit den gerade im Aufenthaltsraum anwesenden Gästen, u. A. einem verkappten Zauberer, irgendwelchen Ex-Navy-Typen und einer Übersetzerin aus Kansas.
Freitag, 24. Februar 2006
Irgendwie scheint man sich an Schlafmangel zu gewöhnen.... Zum Frühstück taten wir uns den "11. September aus Sicht eines Feuerwehrmanns" an, irgendwie wird's auch nach 5 Jahren nicht weniger verstörend.
Dann gings los zu den Vorträgen, heute etwas biologischer mit Insekten, Würmern und Mikroben um und unter Verwesendem sowie neuen innovativen Todesarten: Selbstmord durch Kettensäge, Unfalltod durch ferngesteuerten Helikopter, etc. (Abb. 9-11)
Bei der Postersession konnte ich Lee Goff die Hand drücken, einem der ganz großen forensischen Entomologen *freu*. Um 18 Uhr kamen wir um einige Erfahrungen reicher wieder im Hostel an und stellten uns zum kostenlosen Abendessen (gibt es jeden 2. Tag) an, diesmal Chilli und Kartoffeln und so (Abb. 12). Danach wollten die Emails an die Leute von der Postersession geschickt werden, was mich mal locker 1 h oder so kostete.
Samstag, 25. Februar 2006
Juhu, schlafen bis 9 Uhr!!! Um 13:10 verabschiedeten wir uns am Flughafen pünktlich zum Boarding um 13:15, und ich dachte im Weggehen, dass man sich an diese Art von Leben durchaus gewöhnen könnte, so im Sinne von hart arbeiten und mit Kaffee in der Hand in den Flieger...
Diese Erkenntnis hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler, nämlich dass 13:15 die ABFLUGSzeit war... Kurz darauf erhielt ich eine SMS von Mark mit "Wo bist du? Kaffee?" oder so ähnlich... zu einer Zeit, wo sein Flieger offiziell schon abgehoben hatte. Er hatte seinen Flug auch verpasst.
Ich besorgte mir noch die "Schlaflos in Seattle"-Kaffeetasse, dann widmete ich mich im Flughafen dem Studium der Mycologie, immerhin hab ich morgen ein Exam. Ich war kaum im Flieger und auf meinem Sitz, als ich, die Jacke noch auf dem Schoß, fest einschlief und erst nach Ende des Steigflugs wieder aufwachte. Der Stecker war raus, keine Vorwarn-Müdigkeit, einfach weg.
Fazit
Ich hab mich pudelwohl gefühlt, in einer Woche mehr gelernt als normalerweise in 4 Wochen, und die Leute waren unheimlich nett, auch die richtig Wichtigen, die sich nun wirklich nicht mit Anfängern wie N. und mir befassen müssten. Die Posterpräsentation war natürlich das Highlight.
In meinem Kopf ist dieser große Knäuel augehäuften Wissens, den ich ab Freitag nächster Woche mal verarbeiten und einsortieren muss (vorher habe ich Prüfungen). Ich kann mich an so gut wie alle Vorträge, laut AAFS-Zählung fast 50 Stunden (in Wirklichkeit waren es mehr), erinnern... Wahnsinn! Wann ist die nächste Konferenz?
Gastautorin für SeroNews: Katrin Heuser (California State University)