Das letzte Wort: Ohne Trara, Werbung oder dicke Eier

Quelle: Tätowiermagazin, 6/2012, Seite 144

Kolumne von Mark

In Tätowierläden gibt’s Hautbilder. Zweitens kommt man dort mit schrägen und interessanten Menschen zusammen. Drittens kann eine Tätowierstube auch Angelpunkt eines ganzen Stadtviertels werden – ohne Trara, Werbung oder dicke Eier. Eins dieser Studios ist das von Jörg in der Kölner Südstadt.

Unser stiller Held hatte als Angestellter fast zwanzig Jahre in der shoppingintensivsten Megastraße Deutschlands gepierct. Diese Ladenlage brachte vor allem Laufkundschaft – gut fürs Geschäft, schlecht für spannende Bodmod-Aufträge. Letztes Jahr schmiss Jörg den Job und gründete mitten auf einer seit der Römerzeit (genauer: seit fast zweitausend Jahren) bestehenden Straße sein eigenes Studio. Dort ist er umgeben von einer 1893 gegründeten Zoofachhandlung, einer Schnell-Reinigung, mehreren Bäckern und Supermärkten. Was in diesem bodenständigen Stadtviertel keiner geahnt hätte: Schon am Eröffnungstag rannten die Leute Jörg buchstäblich die Bude ein. Kölner sind halt nicht nur tolerant und opportunistisch, sondern auch verdammt neugierig.

Ein halbes Jahr später. Neben Shop-Hand Daniel und dessen Mutter (yep!) erblicke ich im Studio-Vorraum Laura. Sie arbeitet anderswo als Aushilfskellnerin mit vielen schönen Piercings und Transdermals. Mit Laura kuschelt auf der fetten Studio-Couch Sabrina, die Azubine aus dem Reisebüro nebenan. Kennengelernt haben sich die beiden natürlich wo? In Jörgs Laden. Sabrina war mit Jörg schon vorher privat befreundet. Also besuchte sie ihn und ließ sich dabei die Wimpern zupfen und die Haut durchstehen – so wie heute auch wieder. Die zwei Schmusekatzen wirken wie ultradicke Freundinnen. Kein Wunder: Bei Jörg sehen sie sich wohl öfter als ihre eigenen Familien. Selbst das Mittagessen (ehrlich gesagt: ein sehr spätes Frühstück) nimmt man täglich gemeinsam im Vorraum ein.

Fehlt noch ein Tätowierer. Das ist Alex aus der Stadt Niš in Serbien. Weil er ein Angebot des bekannten Kölner Tätowier-Studios »Stigmata« falsch verstanden hatte (»Ich dachte, die suchten einen festen Angestellten, es war aber nur ein Guest Spot gemeint, argh!«), musste er sich nach Ablauf der Gästefrist etwas einfallen lassen. Er tingelte also durch die nicht minder bekannten Läden »Skinworks« und »Cologne Ink«, bis er zuletzt bei Jörg landete. Apropos, ist sein Lieblingsessen im Kreis der Tattoo-Familie dort etwas Serbisches? »Nein, er will immer asiatisch«, tönt es aus allen Kehlen im Laden.

Seit kurzem hat des Tätowierers Ehefrau Marja nebst Mini-Sohnemann den deutschen Visums-Dschungel durchdrungen. Nun können sich alle drei ohne Billigflieger-Heckmeck sehen. Ratet mal, wo? Bonus für Alex in Deutschland: Er kann öfter als in der Heimat zarte Frauenhaut tätowieren. In Serbien ist Tätowiertsein nämlich noch Männersache. Dafür muss Alex jetzt aber öfters mal den Kölner Dom stechen.

Fragt sich nur, wie es Studio-Chef Jörg findet, dass neben jungen Damen eine serbische Jungfamilie, immer mehr Mitarbeiter sowohl des Supermarktes als auch des Bioladens gegenüber, Kölner Z-Promis sowie auch sonst so ziemlich jeder von der altehrwürdigen Einkaufsstraße nicht nur vor und im Laden abchillt, sondern sich auch gestochene, gezupfte oder sonstige Körperverschönerungen abholt? »Och, das ist eigentlich ganz lustig«, sagt er mit professioneller Gelassenheit, »ich bin halt ein Familienmensch.« Und zwar einer, der gleich ein ganzes Stadtviertel adoptiert hat.

Das gefällt natürlich ganz im Sinne von tätowierter Liebe und Frieden,

eurem,

Dr. Doom

Das letzte Wort: Wenn ich fürchte, alt zu werden

Quelle: Tätowiermagazin, 8/2013, Seite 144

Kolumne von Mark

Immer, wenn ich fürchte, alt zu werden, denke ich an Essie und das East Village. Vor 15 Jahren hatte ich gehört, dass – damals noch eine ultra-crazy Sache – die zweite Person weltweit eine Zungenspaltung durchgezogen hatte. Nach etwas Tammtamm trafen sich die mysteriöse Lady und ich vor meiner Haustür in New York – am St. Mark’s Place, der Straße mit der größten Tattoostudiodichte der Welt.

Essie trug damals zu meinem Erstaunen keine einzige sichtbare Bodymodification. Nicht mal ein Tattoo oder eine gefärbte Haarsträhne waren zu sehen. Zeit für ein Tässchen Kaffee.

Die Zungengespaltene hat zwar Sozialwissenschaften studiert, arbeitete nun aber als Türsteherin zur Mercury Lounge. Das ist einer der bekanntesten Musikschuppen der Welt, gleich auf der Houston Street in Manhattan. Darin hängen Leute wie Julian Lennon rum, um ihre Schulfreunde zu treffen. Uff.

Essie und ich wurden fette Freunde. Neulich horchte ich sie aber zum ersten Mal zu ihren Tattoos aus. Denn in der Berliner Strychnin Gallery hatte ein spannendes Gruselkunstwerk gehangen – zerhackt, aber eindeutig mit Essies Tattoos versehen. Original oder Fälschung?

»Also«, erläutert Mylady, »die tätowierten Feuerringe auf meinen Brüsten und über meinen Girly Bits (Vagina) kennst du ja. Ich wollte halt Feuer an meine sexuellen Hotspots bringen.« Die Flammentattoos ranken sich um dicke Scarifications von Bodmod-Pionier Keith Alexander (TM 08/2005). Von ihm erhielt Essie übrigens auch die größten Schamlippen-Plugs, die ich jemals gesehen habe.

»Eines Tages«, berichtet Essie weiter, »habe ich ein Backpiece mit einem japanischen Drachen gesehen. Mein Kumpel Needles arbeitete im Laden von Paul Booth. Über Jahre hinweg stach er mir ein Gewitterblitz-Tattoo, das mir über Rücken, Beine und Rippen reicht. Dieses Tattoo ist wunderschön, aber nicht so spannend wie meine Zungenspaltung.

Denn an die Tattoos habe ich mich gewöhnt und vergesse sie im Alltag einfach. Tätowieren an sich ist für mich allerdings das Größte. Besonders mit meinem zweiten Tätowierer, Dave Wallin, erlebe ich dabei das Verschmelzen von Kunst, Geist und Gefühl – wie bei den Suspensions, die ich früher gemacht habe.«

Und der zerhackte Torso in Berlin? War ein Projekt von Till Krautkrämer (http://cheaptattooremoval.net/), der damit »die Individualität der Tattoos übernehmen, kontrollieren und auf den Markt werfen« möchte. Ars est celare artem – Es ist Kunst, Kunst zu verstecken.

Heute janz kosmopolitisch der Eure, Dr. Doom

Das letzte Wort: Die düstere Welt der Annemie

Quelle: Tätowiermagazin 10/2013, Seite 144

Kolumne von Mark

Auf der Leipziger Buchmesse fiel mir Annemie sofort auf. Beim Wave-Gotik-Festival, ebenfalls in Leipzig, trafen wir uns daher ein paar Wochen später noch einmal. Hier ist Annemies Geschichte. Ich lasse sie so stehen, weil ich selber baff von der krassen Story und ihrem Mut bin.

»Ich bin total leseverrückt – Bücher sind mein Heiligtum. Mein Freund hat eins von dir gelesen, also bin ich zu deiner Lesung auf der Buchmesse in Leipzig gegangen. Mein Lieblingsautor ist der Phantastik-Autor Kai Meyer.

Die Idee für das Tattoo auf meinem Arm kam vor zwei Jahren ganz plötzlich. Ich habe mir sofort einen Tätowierer gesucht, auf der Convention in Frankfurt. Das war weit von der Heimat, drei Autostunden entfernt, aber ich wollte es einfach erleben, dieses Convention-Feeling, dort tätowiert zu werden. Nach meiner Nachtschicht – ich habe damals in einer Fabrik gejobbt – bin ich direkt los.

Das Motiv soll gegensätzlich wirken. Fröhlich mit kräftigen Farben und niedlich, aber eben ein Häschen, das sich sein Herz rausreißt. Ich kann mich damit identifizieren, mit dem Niedlichen etwas sehr Trauriges zu verbinden. Mir wurde zwar nicht das Herz herausgerissen, ich bin nicht tieftraurig und depressiv. Aber ich finde das Tattoo und die Stimmung schön. Ich möchte es auf mir haben und anderen präsentieren. Ich bin stolz, darauf angesprochen zu werden. Ich fühle mich einfach zu den schwermütigen und traurigen Motiven hingezogen, sie üben eine besondere Faszination auf mich aus. So ein Bild sagt mehr als viele Worte.

Das große Tattoo an der kompletten linken Seite hat auch keine traurige Geschichte. Gestochen hat es David von der Villa Dunkelbunt in Kassel. Ich hab ihm gesagt, dass ich zwei Orks möchte, die gerade eine Frau vergewaltigen. Sie soll sehr leidend aussehen, man soll ihr ansehen, dass es ihr Schmerzen bereitet und sie es nicht will. Die Orks sollen sehr brutal und maskulin wirken und sie mit einer Kette festhalten.

Das ist mir sehr wichtig, dass sie eine Kette um den Hals hat und zurückgezogen wird, und so hab ich ihm das auch beschrieben. Wir brauchten fünf Sitzungen, denn ich bin sehr wehleidig. Meine Mama war bei jeder Sitzung dabei und musste Händchen halten. Sie steht voll und ganz hinter mir, findet das toll und möchte jetzt auch selber ein Tattoo haben, um sich mit mir verbunden zu fühlen.

Ich werde immer gefragt, ob ich mal vergewaltigt wurde. Ob ich das damit verarbeite, aber das ist nicht so. Ich hatte eine ganz, ganz tolle Kindheit und eine ganz tolle Mama. Mir ging es eigentlich immer gut. Ich weiß nicht, warum ich mich gerade zu diesen düsteren und finsteren Motiven hingezogen fühle.

Ich komme aus einer kleinen, katholisch-spießigen Stadt. Ich wurde nie so akzeptiert, mit meinem Aussehen, mit den vielen Piercings und schwarzen Klamotten. Ich hatte auch ziemliche Probleme in meiner Ausbildung als Physiotherapeutin.

Aufgrund dessen habe ich sie abgebrochen. Das war sehr schade, aber das geht einfach nicht, so wie ich aussehe. Meine Piercings und die dunklen Augen, das wäre ja gruselig, haben die Ausbilder gesagt. Ich hätte die Piercings rausnehmen können, dann hätte ich die Ausbildung beenden können. Ich habe aber immer gedacht: ›Leckt mich doch alle am Arsch‹.

Jetzt arbeite ich Vollzeit bei Amazon. Ich bin in der Qualitätsabteilung und dafür da, die Fehler zu suchen und zu bereinigen. Ich bin heiter, vergnügt und zufrieden und voller Vorfreude, weil meine Mum mich bald wieder besucht.«

Tja, man muss nicht alles nachvollziehen können. Ich nehme Annemie trotzdem alles wörtlich ab. Denn meiner beruflichen Erfahrung nach gilt am Rand des Randes nur noch eine Regel – die von Sherlock Holmes: »I never guess. It is a shocking habit.« (»Ich rate nie. Das ist eine fürchterliche Angewohnheit.«)

Wilde Welt und coole Annemie: der Eure – Dr. Doom

Beneckes Begegnungen: Finnisches statt Knöcheldefin

Quelle: Tätowiermagazin 8/2015, Seite 128

Kolumne von Mark

Finnische Wörter sind cool, und ich habe selbst welche auftätowiert (»suojakänni«, »pinkkimeikkipillu« ...). Dass sie auch eine Lebenseinstellung ausdrücken können, beweist mein Co-Model Elli bei einem Fotoshooting mit mir.

Mark: Du hast einen großen Frauenkopf auftätowiert. Was ist das für ein Motiv?

Elli: Stammt von einem befreundeten Fotografen. Das Model kenne ich nicht.

Huch?

Das Bild ist relativ abgefuckt und passt zu dem Zitat, das daneben steht.

Hast du denn nicht mal das Bedürfnis gehabt, dem Model ein Foto davon zu schicken, per Facebook oder so?

Nicht so.

Du lebst die finnische Ruhe und das Understatement. Dazu passt das Wort »sisu«, das ich hier ebenfalls sehe.

Ja, »sisu« ist ein schwer erklärbarer Begriff, das sieht jeder anders. Man kann sisu sehen, schmecken. Es heißt immer: Wo andere schon lang aufgeben, da kommt der Finne und macht sisu.

Hat dich das Tattoo gestärkt?

Nö. Entweder man hat sisu in sich oder gar nicht.

Dein zweites finnisches Tattoo ist ein Schimpfwort.

Das hört sich so schön an – »voi perkele«. Umso mehr man das »r« rollt, umso mehr Bedeutung hat’s, umso intensiver ist es.

Hinter deiner und der finnischen wortkargen Art stecken also doch Emotionen.

Jeder hat insgeheim Momente, in denen er mehr grübelt und nachdenkt.

Du hast auch meinen Tatortaufkleber und eine meiner Fauchschaben fett auf einer besonders schmerzhaften Stelle.

Die Schabe fand ich irgendwie knuffig. Einen Knöcheldelfin oder ein Pony, das hat ja jeder.

Ja, ich zum Beispiel beides. Aber wozu der Tatortaufkleber?

Es war eine Kurzschlussreaktion, nachdem ich zum Spaß gesagt habe, ich lasse mir dein Autogramm stechen. Ich habe es einen Tag danach wirklich machen lassen.

Wenn du im Schwimmbad bist, sehen die Leute, dass du einen Tatortaufkleber mit Fauchschabe und meine Unterschrift auftätowiert hast – was sagst du denen?

Ich geh eigentlich nie schwimmen.

Und beim Sex?

Das bin halt ich. Ich hab, ehrlich gesagt, keinen Bock drauf, jedem meine Lebensgeschichte vorzukauen. Es gibt Dinge, die gehen keinen etwas an.

Als Model bist du auch etwas eigen.

Da lass ich mir nicht reinreden. Wenn ich auf ein Shooting Bock habe, dann hab ich Bock. Ich bin auch nicht der Mensch, der jedes Mal hochgeschminkt und mit irgendwelchem Firlefanz auf Strange oder Horror getrimmt wird. Beauty kann fast jeder.

In der Tat: Stille Wasser sind tief. Das weiß allerspätestens jetzt

der Eure -- Marky Mark

Beneckes Begegnungen: Gesichtstattoo im Knochenjob

Quelle: Tätowiermagazin 9/2015, Seite 128

Kolumne von Mark

Hamburg wirkt auf Fremde schon mal versnobt. Nachdem ich neulich mit einem universitätstypischen Riffelplastik-Kaffeebecher im Foyer des Institutes für Zoologie saß, schlenderte allerdings mit völliger Selbstverständlichkeit ein Mensch mit fettem Gesichtstattoo durch den Flur ins Uni-Museum. Wtf?

»Ich arbeite freiberuflich hier«, erklärt mir Lars. »Hauptberuflich leite ich ein Tattoostudio in Hamburg, das ›Lars Vegas Tattoo- Studio‹ in Altona. Angefangen habe ich vor siebzehn Jahren auf dem Hamburger Berg – die schlimmste Gegend bei uns. Ich habe meinen Lehrmeister dort vollgetextet, dass ich supertoll sei. Meine Zeichnungen waren grottenschlecht, aber er hat irgendwas in mir gesehen. Ich habe dann zwei Jahre lang eine Tätowierlehre gemacht, richtig oldschool mit Müll rausbringen, mit dem Hund Gassi gehen, Kaffee kochen. Mit fünfzehneinhalb habe ich meinen ersten Kunden tätowiert.

Hier im Museum habe ich zunächst Präparate gezeichnet. Von Anfang an fanden die Kinder bei Rundgängen meine Tätowierungen ziemlich faszinierend. Bei meiner ersten Führung alleine, habe ich aber trotzdem Blut und Wasser geschwitzt - mir lief der Schweiß aus dem Hemd raus, das war total peinlich. Nach einer halben Stunde hatte ich aber drei Jungs und drei Mädchen an den Händen, die alles total toll fanden.

Ich musste die Kinder danach zum Parkplatz begleiten, wo die Eltern warteten, und die sahen nur diesen zutätowierten Freak – damals noch mit Glatze – und dachten, ich wolle die Kinder entführen. Ein Riesengeschrei ... Das war herrlich.

Universitäten sind ganz, ganz konservativ, aber mein Chef im Museum ist cool gewesen. Ich hatte hier schon elf Monate ehrenamtlich gearbeitet, 240 Stunden im Monat ohne Bezahlung, weil es einfach unglaublich viel Spaß gemacht hat, und dann ist was ganz Lustiges passiert. Ich habe ein paar Freunden eine Führung im Museum angeboten und zufällig hat jemand aus dem Unipräsidialamt die Führung begleitet. Am nächsten Tag haben sie gesagt, dass sie mich als Pädagogen haben wollen.

Ich war nie ein guter Schüler in Biologie, aber das Team hier im Museum ist so genial, dass es mein Interesse geweckt hat. Jetzt ist es für mich die Hauptaufgabe, es auch bei den Kindern zu wecken. Die Begeisterung, die man in mir hervorgerufen hat, gebe ich jetzt weiter an die nächste Generation.

Beim gemeinsamen Mittagessen mit den Professoren und Doktoren rutschen mir öfter Begriffe aus dem Milieu raus, aber auch das wurde immer akzeptiert. Das ist in Hamburg auf jeden Fall einmalig und wäre in Köln oder München wohl nicht so.«

Genau so isses. Für mich ist Lars’ Story ein waschechtes Wunder. Und die gibt’s dann hoffentlich immer öfter und immer wieder.

Hofft stets der Eure: Marky Mark

Beneckes Begegnungen: Narben sind meins nichts Fremdes

Quelle: Tätowiermagazin 10/2015, Seite 128

Kolumne von Mark

Jeder hier auf dem Wave-Gotik-Treffen staunt über Deine Engelsflügel, dear Punzel...

Es sind nicht nur Engelsflügel, sondern Seraphinflügel, sprich nicht zwei, sondern sechs. Wir haben vor vier Jahren mit normalen Engelsflügeln angefangen, zweieinhalb Jahre später haben wir daraus dann insgesamt vier Cherubimflügel gemacht und vor kurzem sind alle sechs Flügel, auch die Gelenke des Seraph, endlich fertig geworden. Das ist ein hoher Aufwand, auch wegen der Heilung. Man muss das Ganze feucht halten, denn eine irritierte Wunde ergibt eine stärkere Narbenbildung. Genau anders herum, als es Mama einem als Kind immer erzählt hat: »Lass die Wunde in Ruhe, die braucht Luft ...«

Mark: Apropos Mama: Weiß sie, dass du ...

Punzel: Mama weiß das, Papa weiß das nicht.

Du hast noch mehr Cuttings. Ist dir schon mal passiert, dass da was versaut wurde?

Nein, meine Cuttings wurden alle von Gert aus dem Studio »Das Wildall« gemacht. Dort habe ich auch mit siebzehn mein Fachpraktikum gemacht.

In der Welt der Bodymodifications bist du also sehr früh angekommen.

Ich fand Narben schon sehr früh als Schmuck interessant. Das hat mit Dragonball angefangen. Ich hatte kurzfristig die Idee, mit einer Rasierklinge etwas zu schneiden, habe das aber glücklicherweise verworfen, weil man dafür wirklich Fingerspitzengefühl haben muss. In den Populärmedien ist Cutting ja momentan immer mal wieder mit dabei. Allerdings sind das Skin Removals, sprich Hautentfernungen. Das haben wir bei mir fast gar nicht gemacht.

Und dann kam das Rückenprojekt?

Die mythologische Geschichte des Seraph ist mir in meinem Leben immer wieder begegnet. Und nicht nur der Seraph hat sechs Flügel. Auf einer Steintafel, die hängt momentan in Berlin, hat ein mesopotamischer Greifendämon auch sechs Flügel, in der gleichen Position, wie ich meine habe.

Fühlst du dich dadurch mit der Vergangenheit verbunden? Oder ist so eine Steintafel eher ein netter Zufall?

Ich glaube nicht an Zufälle. Ich bin durchaus der Meinung, dass das von irgendwo so gewollt war. Höhere Wesen können existieren und uns führen. Wir haben mehrere Leben, und pro Leben haben wir verschiedene Sachen zu lernen. Erst, wenn wir diese Sachen gelernt haben, kann es weitergehen. Man muss sich dabei auch aus negativen Sachen heraus weiter entwickeln.

Warum hast Du dir das alles nicht tätowieren lassen?

Für mich sind Tattoos etwas Fremdes im Körper. Die Farbe ist nicht so ohne weiteres wieder wegzukriegen, das möchte ich nicht. Piercings nehme ich raus, dann sind sie weg. Narben sind mein Fleisch und Blut, das ist meins, das ist nichts Fremdes.

Bist du denn jetzt soweit fertig?

Momentan hab ich kein Bedürfnis, weiterzumachen, weil ich auch mit der ganzen Narbendehnung von den neuen Cuttings zu tun habe, die auch nicht ganz schmerzfrei ist. Wenn man auf einmal vom Postboten geweckt wird und ruckartig aufsteht – das ist ein Fehler. Ich arbeite meistens nachts – ich bin selbständiger Maßschneidermeister – und deswegen weckt mich der Postbote.

Das kenne ich gut. Mein uralter Bademantel aus New York ist darum im Treppenhaus schon wohlbekannt. Aber immer noch weniger bekannt als deine sehr geilen Seraphen-Flügel.

Alles Gute und bis zum Wave-Gotik-Treffen 2016!