Rätselhafter Leichenfund bei Gröditz

Quelle: sächsische.de, 23. April 2025, 13:28 Uhr

Kriminalbiologe Benecke zum Leichenfund im Güllebecken: „Es gibt kaum Vergleichsfälle dazu“

Der Fall der beiden Gülle-Toten von Spansberg wirft Fragen auf. Einige könnten ungelöst bleiben. Nachgefragt bei Deutschlands bekanntestem Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke.

Von Jörg Richter

Seit über 20 Jahren ist Dr. Mark Benecke, Jahrgang 1970, international auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forensik aktiv und hat sich insbesondere der Entomologie verschrieben. Der Kriminalbiologe absolvierte nach seiner Promotion an der Uni Köln diverse fachspezifische Ausbildungen auf der ganzen Welt, so zum Beispiel beim FBI. Als Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren untersuchte er unter anderem Adolf Hitlers Schädel. Bekannt wurde er durch Fernsehsendungen, in denen er wissenschaftliche Hinweise zu realen Kriminalfällen gab. Nebenbei veröffentlichte er zahlreiche wissenschaftliche Artikel, diverse Sachbücher sowie Kinderbücher und Experimentierkästen.

Gröditz. Zwei Wochen nach dem Fund zweier Leichen in einem Güllebecken bei Gröditz tappen die Ermittler weiter im Dunkeln. Bisher ist nicht geklärt, um wen es sich bei den beiden Toten handelt. Das bestätigt ein Sprecher der Polizeidirektion Dresden.

Es ist lediglich bekannt, dass es sich bei den Leichen um einen Mann und eine Frau handelt. Wie Feuerwehrleute berichteten, seien die Körper noch relativ gut erhalten gewesen, kurz nachdem sie aus dem Güllebecken mithilfe eines Radladers geborgen wurden.

Sächsische.de fragte bei Deutschlands bekanntesten Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke nach, wie genau sich feststellen lässt, wie lange die beiden Toten in dem Güllebecken lagen.

Herr Dr. Benecke, wann und wie zersetzt sich ein menschlicher Körper, wenn er dauerhaft mit Gülle in Berührung kommt?

Das hängt von der Durchlüftung der Gülle beziehungsweise der Schicht-Dicke und der Temperatur ab. Je wärmer es ist und umso mehr Luft an sie kommt, umso schneller zersetzen sich Leichen. In kalter Gülle versunken würde sich ein Körper besser erhalten als in einem flachen See aus Kot, an den Luft und Wärme gelangt.

Auf wie viele Monate oder Wochen genau kann man ermitteln, wie lange die beiden Leichen in der Gülle lagen bzw. schwammen?

Möglicherweise gar nicht. Es gibt kaum Vergleichsfälle dazu.

Bei dem Fall aus Spansberg wird vermutet, dass es sich um ein älteres Paar aus dem Nachbarort handelt. Sie wurden zuletzt zwischen Weihnachten und Neujahr gesehen. Wie weit kann der Zerfall fortgeschritten sein?

Wenn es eine tiefe, kalte, dicke Kot-Schicht war, dann könnten die Leichen noch vergleichsweise gut erhalten sein. Wenn sie durch Aufblähung — Bakterien bilden Gase im Körper — nach oben getrieben sind, können auch Fliegen Eier abgelegt haben. Daraus schlüpfen Maden und diese können bakteriell erweichte Leichen rasch skelettieren. Ich habe auch schon Leichen in Flüssigkeiten gesehen, die oben skelettiert waren und unten, in der Flüssigkeit, noch reich an Gewebe.

Hatten Sie schon mal einen ähnlichen Fall?

Wir hatten beim „ersten“ Tsunami (2004, Anm. d. Red.) einige Nachfragen zu Leichen, die oben, im Teil, der aus dem Wasser ragte, dunkel verfärbt waren. Unten, im Wasser, waren sie aber faulig-feucht. Einen echten Gülle-Fall kenne ich nur vom Kollegen Prokop, dem Leiter der Rechtsmedizin der Charité in Ost-Berlin (Otto Prokop 1921 - 2009, Anm. d. Red.). Der Fall ist in seiner Biografie von mir ausführlicher dargestellt. Prokop beschrieb 1951 den Tod einer Bäuerin, die bäuchlings in einer Jauche-Grube lag.