Insektensterben: Wisst ihr alles? Dann macht es doch einfach.

Quelle: Bearbeitete Mitschrift des Videovortrages »Dr. Mark Benecke: Insektensterben« für das Buch »das insektarium«: https://jeremiasheppeler.de/post/636881471284609024/darunter-das-insektarium

Von Mark Benecke 

Hallo und guten Tag, ich werde die ganze Zeit gefragt, ob es das Insektensterben und Artensterben und Lurchsterben wirklich gibt. Und ja, das gibt es wirklich. Ich habe jetzt gerade mal so die aktuellsten Veröffentlichungen (wissenschaftliche, vorab geprüfte Veröffentlichungen in hochwertigen Journals, über die andere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen drüber geguckt haben), durchgeschaut und es stellt sich folgendes raus:

Wir haben das größte Artensterben seit 252 Millionen Jahren. Das ist sicher so. Woher genau das damals kam, weiß man nicht genau. Man dachte immer, das wäre ein großer Vulkanausbruch gewesen, das haben manche von euch vielleicht auch schon gehört. Neuerdings scheint es, dass auch zusätzlich methanbildende Organismen daran beteiligt waren. Aber vielleicht war es auch beides.

Und jetzt kommt der Dreh: vermutlich war Kohlendioxid schuld, das Kohlendioxid, das wir jetzt auch gerade wie verrückt produzieren, und das teilweise ins Meerwasser gelangt. Durch den Vulkanausbruch wurde ein ganz bestimmtes Metall freigesetzt: Nickel. Das ist da in die Luft gefeuert worden, und das konnte dem Mikroorganismus helfen, sich so zu verändern, dass er dann so viel Methan ausbildete, was ein super ätzendes Treibhausgas ist. 

Damals gab es schon mal so ein Artensterben, das war sehr, sehr, sehr ungemütlich. Und jetzt fragt ihr natürlich: können wir messen, dass es jetzt wieder stattfindet? Ja, können wir. Die harmloseste und zurückhaltendste Schätzung, die ich gefunden habe, die sich nur auf Lebewesen bezieht, über die wir gut Bescheid wissen, nämlich Wirbeltiere (also nicht auf irgendwelche Mikroorganismen, die wir noch gar nicht richtig kennen), geht davon aus, dass wir im Moment mindestens eine zehnbis hundertfach beschleunigte Artensterbensrate haben.

Seit dem Jahr 1900 sind 477 Wirbeltierarten ausgestorben. Wenn man die Hintergrund-Aussterberate anschaut, die es natürlich immer gibt in der Geschichte der Erde und des Lebens und der Menschen und der Tiere, dann hätten das neun Arten sein dürfen. Also neun ausgestorbene Arten wären ganz normal gewesen seit 1900. Ausgestorben sind 477.

So, und jetzt kommen wir zu den Insekten. Die Kollegen aus Krefeld und aus mittlerweile vielen anderen Arbeitsgruppen haben sich mal angeschaut, wie es aussieht. Die Biomasse der Insekten ist in den letzten 27 Jahren in manchen Naturschutzgebieten um 75% zurückgegangen. Jetzt sagen manche Kollegen: ja und? Insekten vermehren sich wie verrückt, ist doch egal, wenn die Biomasse ein bisschen zurückgeht. Aber natürlich sterben gleichzeitig auch die Arten aus.

Das weiß ich selber ganz genau, weil ich nämlich selbst eine Art entdeckt habe: Die Trauermücke Pseudolycoriella martita. Sie stammte von einem verfaulten Schwein, das wir im Regenwald, also genauer gesagt im Urwald, ausgelegt haben. Diese Art war einfach zu klein, sodass da noch nie zuvor einer drauf geguckt hat. Dieselbe Erfahrung hat ein Student gemacht, den ich betreut habe. Er hat sich mal an einem Waldrand die Tiere angeguckt, die auf eine Schweineleiche gehen, und da waren auch lauter Tiere dabei, die kein Mensch jemals zuvor auf Leichen gesehen hat.

Das heißt: wir wissen oft gar nicht, wie viele Tiere es gibt, und es liegt nicht einfach nur daran, dass wir immer mehr entdecken und damit auch sehen, dass immer mehr aussterben. Sondern nochmal: Auch die Arten, die wir gut kennen, sprich die Wirbeltiere, sterben mit mindestens zehnbis hundertfacher Geschwindigkeit aus. Ganz, ganz sicher. Und bei den Gliedertieren, also Spinnen, Milben, Insekten, Hundertfüßer, Tausendfüßer – da dürfte das vielleicht noch viel dramatischer sein. Wenn wir uns mal ein paar andere Zahlen angucken, die auch alle neu veröffentlicht sind, dann geht man davon aus, dass im Jahr 2080 (und das ist jetzt nicht mehr solange hin) 40% aller Echsen ausgestorben sein werden. Hä? Das muss man sich mal vorstellen.

Wir haben einen Rückgang der Vogelarten um 40% – jetzt schon. Eine von acht Vogelarten ist vom Aussterben bedroht. Wenn ihr jetzt in einer Innenstadt wohnt, dann werdet ihr sagen: Es gibt doch eh nur Nebelkrähen und Spatzen ... was für Vögel?

Aber ihr könnt ja mal in einen vernünftigen intakten Wald fahren. Oder vielleicht sogar, wenn ihr die Chance dazu habt, in den Urwald, oder sei es auch nur in ein intaktes Waldgebiet in Europa. Da singt der ganze Wald! Da ist die Hölle los! Da hört ihr tausende von Stimmen, also wirklich jetzt, natürlich nicht von tausenden von Arten, aber von richtig vielen Tieren. Und jede achte Art davon ist vom Aussterben bedroht.

Ich hoffe ihr bekommt langsam ein Gespür dafür, warum ich mich in Rage rede.

Ach und übrigens, wenn ihr euch eher für Affen interessiert, also Primaten, genauer gesagt: 60% von den noch 504 lebenden Arten sind vom Aussterben bedroht. Akut. Das dürfte also bedeuten, dass wir sehr bald echte Probleme kriegen, denn diese Tiere sind ja alle in Nahrungsnetze eingebunden. Wenn uns jetzt Amphibien wegsterben, die Lurche, die Echsen, die Gliedertiere, dann ist das alles sehr ätzend. Besonders, wenn wir bedenken, dass auch der Bestand der Regenwürmer zusammenbricht. Und die guckt sich ja kaum einer an oder kennt ihr jemand, der mit Regenwürmern arbeitet?

Charles Darwin, ja, der Charles Darwin, hat nicht nur über das Buch über die Entstehung der Arten geschrieben, sondern eines seiner wichtigsten Werke ist »Darwin on Humus and the Earthworm: The Formation of Vegetable Mould Through the Action of Worms«. Darwin hat sich schon gefragt, wie wird eigentlich dieses ganze Material, das Pflanzenmaterial und die toten Tiere und alles, was da so in die Erde sickert, zersetzt? Sind das nur Mikroben? Ne, das sind auch Regenwürmer. Ein wunderbares Buch, das kann ich euch wirklich heiß empfehlen. Von jemandem, der wirklich über jeden Zweifel erhaben ist. Auch wenn ihr sagt: die modernen Biologen, denen glaube ich nichts.

Charles Darwin könnt ihr hoffentlich glauben. Er war ein unglaublich gründlicher Forscher, auch wenn er selbst immer arg untertrieben und gesagt hat, er könne am Tag nur sehr wenig arbeiten, weil er immer Kopfschmerzen bekäme. Das war britische Untertreibung, er war sehr, sehr fleißig und hat diese ganzen Daten zusammengetragen, unter anderem eben zum Bestand und Nutzen der Regenwürmer. Und auch die verschwinden. Dazu gibt es zwar erst eine Studie, aber es kommt halt wie gesagt immer darauf an, wo man hinguckt.

So, und was machen wir jetzt? In letzter Zeit werde ich immer gefragt, ob wir nicht Insekten essen sollen. Hier habe ich ein Buch, das »Eat-A-Bug-Coockbook« vom Kollegen Gordon, den kenne ich sogar, den hab ich schon mal live gesehen. Und hier habe ich »Creepy Crawly Cuisine« von der Kollegin Julieta Ramos-Elorduy. Damals haben sie noch gesagt, es wäre doch nicht schlecht, wenn man vielleicht Insekten essen würde. Und wenn ich es mal aufschlage, dann sehe ich das: Mango-Grasshopper-Chutney, Spinnenauflauf, Stinkwanzen-Pâté. Nicht gut – denn wir wollen doch Arten schützen.

Es nützt also nichts, denn wir haben eine Sache gelernt: Monokulturen zerstören alles noch schlimmer. Und sind beispielsweise auch der Grund, warum die Amphibien wie erwähnt aussterben. Seit 20 Jahren haben wir uns gefragt: Was ist mit den Amphibien los? Es hat sich rausgestellt, es kommt von einem Pilz, der durch den Krallenfrosch verschleppt wurde. Den Krallenfrosch hat man früher für Schwangerschaftstests und für entwicklungsbiologische Arbeiten eingesetzt, der hat sich über die ganze Welt verbreitet und mit dem ist der Pilz dann überall eingeschleppt worden. Der aktuellsten Stand ist, dass das wirklich die echte Ursache ist, genetisch geprüft über die sterbenden Tiere, in denen man den Pilz gefunden hat.

Und »Bäm!« haben wir die nächste Monokultur-Katastrophe.

Eine gute Möglichkeit ist natürlich, dass ihr euch von Pflanzen ernährt. Eine andere ist, dass ihr ansonsten überhaupt weniger Ressourcen verbraucht. Darüber hinaus könnt ihr euch auch noch regional ernähren und natürlich auch, wenn es geht, Fairtrade und vielleicht auch bio. Das ist kein moralisches Statement, das ist kein ethisches Statement, das hat nichts mit besserer Welt und »wichtig sein« und »cool sein« und »klüger sein« zu tun, sondern damit, dass wir uns die Vielfalt unserer Lebenswelt bewahren sollten.

Leider nützt es euch sehr, sehr wenig, wenn ihr vegetarisch werdet, denn die Herstellung von Butter zum Beispiel verbraucht auch massenhaft CO2 und es werden sehr viele Tiere dafür – auch wenn es angeblich glückliche Tiere sein sollen – unter sehr schlechten Bedingungen gehalten. Wenn euch das alles egal sein sollte, dann denkt dran: ohne die Nahrungsnetze könnt ihr nicht leben. Niemand. Geld könnt ihr nicht essen. Steine könnte ihr nicht essen. Und Gras – kein Witz – könnt ihr auch nicht essen. Das wurde ausprobiert, als es mal eine große Hungersnot gab, in einem Jahr ohne Sommer nach einem Vulkanausbruch, als die Menschen nichts anderes zur Verfügung hatten. Von Gras werdet ihr auch nicht satt.

Also: das Artensterben ist real. Das Insektensterben ist real. Das Amphibiensterben ist real. Das Regenwurmsterben ist real. Es gucken einfach nur viel zu wenig Leute hin.

Man braucht hier keine Panik machen, jeder von euch kann etwas tun. Zum Beispiel sich pflanzlich ernähren, und abgesehen davon weniger Ressourcen verbrauchen.

Wisst ihr alles? Dann macht es doch einfach. 

Danke! Euer Mark 



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