https://vegpool.de/magazin/mark-benecke-interview-vegan.html (Juni 2019)
Dr. Mark Benecke ist der bekannteste Kriminalbiologe der Welt, Experte für forensische Insektenkunde und international gefragter Spezialist für die Aufklärung von Rechtsfällen. Der 48-Jährige lebt vegan – und ruft Menschen dazu auf, ebenfalls Veganer zu werden. Für Umwelt und Tiere.
Im Interview mit dem veganen Verbraucherportal Vegpool erklärt Benecke, warum die Menschheit auf Ringelwürmer angewiesen ist und was das mit der globalen Tierproduktion zu tun hat. Für ihn ist klar: Die Menschheit wird die Klimakrise nicht überleben.
Vegpool: Hallo Mark, du warnst vor dem Aussterben der Würmer und Insekten – denn mit ihnen würden auch die Menschen aussterben. Warum sind wir Menschen so abhängig von Würmern und Insekten?
Dr. Mark Benecke: Würmer – vor allem Ringelwürmer – zerkleinern Pflanzenteile und lockern die Erde. Es gibt ein großartiges Buch von Charles Darwin dazu, das ich wirklich empfehlen kann. Auch der deutsche Wikipedia-Artikel ist sehr gut:
Zitat von Darwin:
"Man kann wohl bezweifeln, dass es noch viele andere Tiere gibt, die eine so bedeutende Rolle in der Geschichte der Erde gespielt haben, wie diese niedrig organisierten Geschöpfe."
Insekten sind als Knoten in der Nahrungs-Kette wichtig, aber auch zur Bestäubung. Hier spielen übrigens auch Fliegen eine große Rolle. Es bringt überhaupt nichts, Honig-Bienen zu retten, sondern es geht um die wirklich große Zahl bestäubender Fliegen.
Auf dem letzten Fliegenkundler*innen-Kongress lag die Schätzung bei mindestens einem Drittel der Bestäubung durch Fliegen, nicht durch die "üblichen Verdächtigen", also Bienen und Hummeln.
Es geht also um die Nahrungs-Netze, die uns alle hervorgebracht haben und am Leben halten.
Und was hat die globale Tierproduktion damit zu tun?
Wasserverbrauch, Landverbrauch, Klima-Veränderung – all das wird stärker als beispielsweise der Verkehr durch die Verwendung von Tier-Produkten beschleunigt und bedingt. Sehr viele Futterpflanzen, die auch für Menschen lecker und nahrhaft sind, etwa Soja und Mais, werden zu Tierfutter verarbeitet. Warum? So gehen massenhaft Kalorien verloren. Ein Fleisch-Burger "kostet" 25 Kilo Tier-Futter, also Pflanzen. Vom Wasserverbrauch wollen wir gar nicht erst anfangen, auch von Landverbrauch nicht.
Ohne die Tier-Lebensmittel-Produktion würden um die dreiviertel der Landflächen wieder frei für alles, was der Erde und damit den Menschen dient.
Du lebst selbst vegan und setzt dich auch öffentlich für eine vegane Lebensweise ein. Wie kam es dazu?
Ich habe früher mit Tinten"fischen" (Tintenschnecken) gearbeitet. Die waren schlau, sehr individuell, verspielt und vor allem haben sie uns vertraut: Wir durften sie – einfach so, nicht für Experimente – aus dem Becken heben. Die Tiere haben sich dabei weder aufgeregt und Tinte gespritzt noch gebissen (das können sie sehr gut) noch sich im Aquarium festgehalten (das können sie auch sehr gut). Stell' Dir mal vor, dich würde ein Tintenfisch unter Wasser mitnehmen – würdest du ihm vertrauen?
Die Tiere haben jeden im Labor erkannt und waren bei Besucher*innen zurückhaltend, sie haben "Händchen" mit anderen im Nachbar-Aquarium gehalten... und das war messbar, nicht eingebildet. Als wir sie frei gelassen haben, haben alle geheult. Sie waren echte Freund*innen geworden, ohne Gefühlsduselei, sondern ganz ernst und gerade.
Als Kind hatte ich auch öfter Tier-Transporte mit Schweinen auf Lastern gesehen, weil wir als Kinder mit unseren Eltern oft von Köln nach Bayern gefahren sind. Das habe ich sogar mal in einer Klassenarbeit aufgeschrieben, wie ätzend ich diese Transporte fand.
Die letzten Schritte – Quark und Leder weglassen – kamen durch freundliche Stupser von den Leuten von PETA und "Kochen ohne Knochen", mit denen ich Interviews und Aktionen durchgeführt habe.
Was bedeutet es heute angesichts der Klimakrise und des Artensterbens, NICHT vegan zu leben?
Das ist, wie wenn sich kleine Kinder aus Angst vor Geistern unter der Bettdecke verstecken. Ob Geister wirklich nicht unter Bettdecken kommen? Hinzu kommt noch eine Portion erwachsener Scheißegal-Einstellung und fertig ist der Mix.
Was hat Dir beim Vegan-Umstieg geholfen?
Es ist für Menschen meiner Generation ein längerer Prozess gewesen. Ich habe zum Beispiel lange an Leder festgehalten, da die ersten Outdoor-Klamotten nach Benutzung Sondermüll waren, was auch niemandem hilft. Ich habe dann aber zunehmend die Sicht der reinen Tierschützer*innen und -befreier*innen kennen gelernt, außerdem kamen Daten zum Energie- und Landverbrauch raus. Und dann stellten die ersten Firmen auf umweltverträglichere Ersatz-Textilien um.
Im Einklang mit der Erde leben, das war und ist ein längerer Weg. Auch als Veganer*innen müssen wir austüfteln, was jenseits des dann zum Glück wegfallenden Tierleides blöd und verbesserbar ist – etwa in viel Plastik verpackte, vegane Snacks.
Was war früher Dein Lieblingsgericht – und was ist es heute?
Kaiserschmarrn und bayrische Brezen. Früher wie heute. Als es beides endlich vegan gab, war ich wirklich glücklich. Ich hatte (gerne) in Kauf genommen, beides nie wieder zu essen. Aber mittlerweile hört sich das wie Opas Erinnerungen an – alles kein Problem mehr.
Ansonsten liebe ich einfache Gerichte, meine Frau auch – wir sind ein bisschen aspergerisch und kochen uns zum Beispiel "nur" Erbsen oder "nur" Kartoffeln mit Schale oder Rosenkohl grundsätzlich ohne alles. Wir lieben das, kein Witz.
Du bist auch Psychologe. Warum fällt es uns Menschen so leicht, die wissenschaftlichen Fakten zu verdrängen? Was kann uns noch helfen?
Ich habe das im Diplom als Nebenfach gehabt und studiert, das stimmt. Dabei habe ich sehr viele Lern-Experimente gemacht, auch mit Schnecken, Tintenfischen und Egeln.
Helfen kann uns Menschen – besser als Tieren – sachliche Aufklärung und Einsicht.
Wir erreichen Menschen aber nur schwer, die nicht gelernt haben, dass ihre Auffassung einen Fakten-Check verträgt. Bekannt ist dabei seit ein paar Jahren der außerhalb der wissenschaftlichen Welt so genannte "Dunning-Kruger-Effekt": Je weniger du denken gelernt hast, umso weniger verstehst du deinen eigenen, sachlichen Denk-Fehler. Noch nicht einmal, wenn die sachlich richtige Lösung vorgelegt wird.
Vermutlich wird es am besten wie bei der Kinder-Erziehung klappen: Konsequenz und Liebe wirken da am stärksten und helfen, eine sozial und sachlich richtige Richtung einzuschlagen.
Der schlechteste Ratgeber ist Angst, weil Menschen dabei oft dazu neigen, nach starker Führung zu rufen – die aber leider oft wiederum mit wenig Fachkenntnis einhergeht und so alles nur noch schlimmer macht.
Ist der Umgang mit der Klimakrise und dem Artensterben nicht Sache der Politik?
Wir sind in Zentral-Europa als Erwachsene alle Wähler*innen. Wir können alle entscheiden, was wir einkaufen, essen und bestellen. Wir sind Politik.
Wird die Menschheit die Klimakrise überleben?
Nein. Wir können das Ende aber verlangsamen und würdevoll, sozial und friedlich gestalten. Und wir können die Erde nicht bis aufs Letzte zerschunden hinterlassen.
Die Fragen stellte Kilian Dreißig per E-Mail. Mark Benecke ist online präsent unter http://benecke.com/, auf Facebook und Instagram.