Quelle: Tele (Schweiz), 1. Juli 2021, S. 16—17
Neue Sendung: «Die Obduktion» mit Jan Josef Liefers (l.) und Prof. Dr. Michael Tsokos
Gespräch mit Mark Benecke, auch «Herr der Maden» genannt, mit dem Kriminalbiologen über Leben, Lebenlassen und Sterben.
Von Andrea Germann
Politiker, Autor, Tattoo- Verrückter, Donaldist & Veganer: Mark Benecke (50).
Taucht Dr. Mark Benecke auf, ist es bereits zu spät: Tote können nicht mehr reden. Doch ihre verwesenden Körper haben viel zu erzählen. Der 50-Jährige ist einer der renommiertesten Kriminalbiologen der Welt.
Beneckes Spezialgebiet ist das Untersuchen von ungelösten Kriminalfällen anhand von Fliegeneiern, Maden und Käfern auf Leichen.
Sein Fachwissen, das er unter anderem an der FBI Academy im US-Bundesstaat Virginia erlernt hat, gibt er nicht nur an Vorträgen weiter, sondern auch in TV-Sendungen wie «Medical Detectives» (Vox), «Galileo Mystery» (Pro 7) oder «Akte Mord» (RTL 2).
TELE: Schauen Sie Krimis?
Mark Benecke: Nein. Ich mag Hass, Wut und grosse Gefühle nicht und gucke mir Spurenbilder nur an, wenn ich einen Fall bearbeite. Zudem hatte ich auch noch nie einen Fernseher zu Hause.
Reine Zeitverschwendung?
Eine Sache, deren Erklärung im TV drei Minuten benötigt, könnte man in drei Sätzen zusammenfassen. Diese Langsamkeit macht mich wahnsinnig (lacht).
Gibt es also gar keinen Krimi, den Sie gut finden?
Doch, Sherlock Holmes. Nicht nur, weil ich Mitglied der Deutschen Sherlock-Holmes-Gesellschaft bin, sondern auch, weil da die kriminalistischen Grundzüge richtig dargestellt werden.
Am 8. Juli zeigt RTL die True- Crime-Sendung «Obduktion». Darin sollen wahre Todesfälle untersucht werden.
Ich höre zum ersten Mal davon. Aufklärung ist immer gut. Und für die Zuschauerinnen und Zuschauer ist es super, wenn sie mal unge filtert Tatsachen sehen können – ohne dass sie dramaturgisch zube reitet werden wie in Krimis.
Wie realistisch sind TV-Krimis grundsätzlich gemacht?
Manchmal berate ich ja Drehbuch-Autorinnen und -Autoren in Fach fragen, doch eigentlich sind das einfach – vermutlich spannende – Märchen.
Inwiefern?
Sie suchen nur nach einer Prise Salz für ihre Suppe. Die forensischen Tatsachen sind einzig dazu da, um im Vorbeischwenken der Kamera oder einem klug klingen den Satz kurz erwähnt zu werden. Das ist verständlich: Für die meisten Leute wäre es wohl zu langweilig, wenn ausführlich über Isomegalen-Diagramme gesprochen würde.
Man nennt Sie «Herr der Maden», weil Sie mit Hilfe von Insekten Mordfälle aufdecken. Wie denn?
Aus dem Alter vorgefundener Maden errechne ich, wie lange ein toter Körper mindestens schon daliegt. Die Leiche ist wie eine Totenuhr ohne Zeiger. Die Larven und Tierchen bilden die Stunden- und Minutenzeiger. Anhand der Tiere können mein Team und ich die Jahreszeit bestimmen oder wo eine Leiche eingepackt wurde.
Sie haben mit Mördern, Vergewaltigern und Kinderschändern zu tun. Wie behält man da die Hoffnung?
Gar nicht. Die Menschen sind nicht gut, da braucht man sich keine Illusionen machen. Ich sehe jeden Tag, wie sie Milch, Fleisch und Käse konsumieren. Obwohl jeder weiss, dass dahinter tierische Ausbeutung und Umweltzersetzung stecken. Deshalb bin ich Veganer.
«Seit kurzem ist es in den USA erlaubt, sich kompostieren zu lassen – das ist das Beste.»
Nehmen Sie Erlebnisse vom Tatort auch mit nach Hause?
Nein, nie. Was nützt es den Leuten, die uns die Aufträge geben, wenn wir daheim sitzen und uns den Kopf zerbrechen? Ich höre ihnen zu, versuche Experimente durchzuführen, präsentiere diese vor Gericht, rede mit der Polizei, den Opfern, den Tätern. Dann habe ich tatsächlich etwas getan. Grübeln oder beten hilft niemandem.
Ihr Tagesgeschäft dreht sich um Tod und Zerfall. Wie ist Ihr Verhältnis zum Tod – und wie wollen Sie sich einst bestatten lassen?
Wir werden alle sterben. Ich hoffe, dass ich es friedlich tun werde. Seit kurzem ist es in den USA erlaubt, sich kompostieren zu lassen. Das finde ich das Beste. Die Kremation ist nur eine Verschwendung von wiederverwertbaren Nährstoffen – und noch dazu sehr umweltschädlich.