Grusel von Berufs wegen

Quelle: Cornea (Brillen-Magazin), April 2021

Dr. Mark Benecke hilft Mord-Ermittlern auf die Spur

Er ist zweifelsohne einer der bekanntesten Brillenträger des Landes, die Medien nennen ihn Dr. Made. Und auch sonst hat sein Beruf eher recht wenig mit den meisten Jobs dieser Welt gemeinsam: Dr. Mark Benecke ist Kriminalbiologe und Spezialist für forensische Entomologie. Als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger wird er damit beauftragt, der Ermittlung von Gewaltverbrechen zu unterstützen, indem er biologische Spuren auswertet. Zu seinen bekanntesten Fällen zählt etwa die Untersuchung von Maden, die die Leichenliegezeit der getöteten Frau des Pastors Klaus Geyer bestimmt hat. Geyer hatte für den durch Benecke ermittelten Tatzeitpunkt kein Alibi und wurde wegen Totschlags verurteilt. In Zusammenarbeit mit dem Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation (FSB) und der Unterstützung des Britischen Geheimdienstes untersuchte Benecke Adolf Hitlers Gebiss und dessen mutmaßliche Schädeldecke.

Seine Bücher belegen die vordersten Plätze auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und die von ihm entwickelten Experimentierkästen für Kinder (zum Beispiel „Spurensicherung am Tatort“, Ravensburger) bringen ein wenig Aufklärung ins Spielzimmer. Dr. Benecke ist gerne gesehener Gast in Talkshows. Denn er hat viel zu erzählen. Einerseits von interessanten Fällen seines Berufs, andererseits von den übrigen Aktivitäten, in die er involviert ist. So ist er etwa als Mitglied der Partei Die PARTEI Landesvorsitzender von Nordrhein-Westfalen. Bei der Bundestagswahl 2013 trat er als deren Spitzen- kandidat an. Bei der Oberbürgermeisterwahl von Köln 2015 belegte er Platz drei.

Benecke, der vegan lebt, setzt sich gegen die Haltung von Zirkustieren ein. Auch ist er bei PETA engagiert. Seit zwanzig Jahren produziert er spannende Podcasts und ist Dauergast in Radiosendungen. Für seine herausragende Arbeit wurde ihm die Silberne Ehrennadel des Bundes Deutscher Kriminalbeamter verliehen. In der Gewerkschaft der Polizei in Thüringen ist Dr. Mark Benecke Ehrenmitglied. Auch ist

er beispielsweise Ehrenmitglied des Instituts für deutsche Tattoo-Geschichte. Über sein bewegtes Leben, auch zur kriminalistischen Ausbildung in den USA, berichtet er unterhaltsam auf seiner Webseite: benecke.com

Sie haben es durch Ihr Äußeres, den überwiegend schwarzen Klamotten, der Glatze sowie den gerne zur Schau gestellten Tattoos an Ihrem Körper und der Brille, geschafft, sich zu einer unverwechselbaren Marke zu etablieren. Wie wichtig ist Ihnen bei Ihren Outfits die Brille, wie viele Modelle besitzen Sie und wann kommt welche zum Einsatz?

Es ist etwas kniffelig, Tätowierungen an den Händen nicht „zur Schau zu stellen“. Ansonsten mache ich das nur, wenn ich gefragt werde, etwa vom GRASSI Museum für Völkerkunde in Leipzig, wo ich sozusagen Ausstellungsgegenstand bin. Marken interessieren mich null, jeder kann machen, was er will, solange es nützlich und sozial ist. Meine Outfits sollen praktisch und schwarz sein, mehr ist es nicht. Ich trage seit fünf Jahren dasselbe Paar Schuhe.

Bei den Brillen „höre ich den Knall“. Ich habe drei exakt gleiche ohne diese Nasen-Füßchen und ohne jeden Schnickschnack – einmal selbsttönende Gläser, einmal bereits auf voller Stufe vorgetönt, da ich Sonne hasse, und eine als Ersatz, weil es das Modell nicht mehr gibt. Dann noch eine Brille, die ähnlich, aber etwas anders aussieht, für Gothic-Festivals, auch schwarz. Natürlich ebenfalls mit Stärke, sonst sehe ich ja nix, da ich kurzsichtig und alterssichtig und hornhautgekrümmt bin.

Zwischendurch hatte ich mal leihweise eine handgemachte, etwas pornomäßigere Brille, die meinem Laborteam gefiel. Ich lasse immer andere entscheiden, da ich keinen guten Geschmack habe. Der Hersteller hat sie mir netterweise geliehen, wir haben im Altersheim dann sogar den Gründer der Firma getroffen, kurz bevor er gestorben ist. Neuerdings habe ich noch eine, die meine Optikerin und ihr Team aus Berlin gut fand, meine Frau auch, also zack. Ich sehe mich ja selbst nicht, daher, wie gesagt, sollen andere entscheiden.

Sind Sie kurz- oder weitsichtig?

Beides – ich bin alt ...

Wie erklären Sie es sich, als einer, der sich berufsmäßig mit Würmern auf Leichen beschäftigt, zum Popstar avanciert zu sein, der zum Beispiel Kaffeetassen und Sticker mit „Dr. Made“-Aufdruck in einem gut gefüllten Onlineshop verkauft?

(lacht) Der Onlineshop hat in den letzten Jahren vielleicht 50 Bestellungen gehabt. Interessiert keinen Menschen. Das einzige, was mich vielleicht bekannt macht, ist, dass ich Menschen Fragen beantworte, zum Beispiel für dieses Magazin hier, und mich nicht verkrieche oder für was Besseres halte. So erreiche ich vermutlich mehr Menschen als Forscher, die nicht gerne mit anderen reden. Es ist einfach meine Kölsche Art, neugierig und nach außen hin offen zu leben.

Sie sind ja ein Scherzkeks durch und durch, wohl deshalb auch Landesvorsitzender der PARTEI in NRW. Überraschenderweise sind Sie zuletzt nicht Oberbürgermeister von Köln geworden. Was war Ihre bisher größte politische Heldentat?

Meine Frau findet meine Witze mehr als langweilig und meine Mitarbeiterin tut seit zehn Jahren so, als hätte ich noch nie einen Witz gemacht. Scherzkeks ist also Ansichtssache.

Heldentaten habe ich noch nie vollbracht, ich freue mich aber, dass ich sowohl bei Graswurzel- bewegungen als auch im Europäischen Parlament, im Naturkundemuseum und in der Stadtbücherei zu exakt denselben Themen – dem megakrassen Artensterben beispielsweise – Zahlen und Daten vortragen darf.

Spaß beiseite: Ihr Buch „Mein Leben nach dem Tod“, ein SPIEGEL Bestseller, ist insbesondere bei einem jungen Publikum beliebt. Was ist Ihre grundsätzliche Message?

Tu, was du willst. Dazu musst du dann was wollen.

Sie sind ja ein umtriebiger Zeitgenosse, beispielsweise auch Chef der Transylvanian Society of Dracula. Wie viel Zeit widmen Sie heute tatsächlich noch Ihrem ursprünglichen Job als Kriminalbiologe?

Eigentlich die gesamte Zeit. Da ich Biologe bin, kann ich sehr viele Bereiche eingliedern, da beispielsweise Angst (Vampire) sowohl mit Taten (Knast), dem Gehirn und den Spuren, die Täter legen (Labor), zu tun hat.

Sie haben berufsbedingt bisher vieles gesehen, was ein Otto-Normalmensch sicher nicht so leicht wegstecken kann. Welcher Fall, den Sie als Forensiker begleitet haben, ist Ihnen wirklich an die Nieren gegangen?

Ich finde alle Fälle genau gleich. Wer die Fälle verschieden gewichtet, sollte einen anderen Job machen. Mir ist egal, ob du groß, klein, dick, dünn, reich, arm oder sonst was bist, daher sind auch alle Fälle gleich. Geld spielt bei uns eh keine Rolle, weil unsere Klienten keins haben. Damit wären wir auch schon bei einer möglichen Antwort auf die Frage: Der einzige Klient, der in 25 Jahren Arbeit jemals Geld gehabt hätte, hat sich unmittelbar nach der Besprechung seines Teams mit uns umgebracht.

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie den Schädel von Adolf Hitler in der Hand hatten?

Hoffentlich lassen mich die Fernsehleute von National Geographic in Ruhe arbeiten.

Was wäre für Sie eine echte Grenzerfahrung? Einen farbenfrohen Regenbogen zu malen vielleicht?

Mir reicht es, so was zu sehen. Im Corona-Jahr 2020 habe ich den ganzen Frühling, Sommer und Herbst mit den Fans auf Instagram und Facebook hunderte, vielleicht sogar tausende Naturfotos gepostet und gegrübelt, was es sein könnte, was da auf dem Foto zu sehen war. Regenbogen waren auch dabei, sogar doppelte – also zwei Regenbogen übereinander.

Wie bereits angesprochen, sind Sie ein Tausendsassa: Sie sind Autor, Spieleentwickler, natürlich Kriminalbiologe, Politiker, in zahlreichen Institutionen vertreten. Was gibt’s denn in absehbarer Zeit Neues von Dr. Benecke zu erwarten?

Immer das, was sich aus einer Frage an mich entwickelt. Ich habe keine Pläne, sondern denke mir lieber etwas zu den Problemen anderer aus, um sie sachlich und sauber zu bearbeiten. Beispiele gibt’s auf meiner Webseite. Meine Kollegin Tina und ich haben gerade alle Artikel der letzten 25 Jahre online gestellt. Viel Spaß beim Stöbern.


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