Von Ulli Scharrer
„Ich bin Biologe, also bin ich nicht cool“, stellt sich Dr. Mark Benecke am Samstagabend im Markmillersaal vor. Der ist ausverkauft, auch am Sonntag bei der Zusatzveranstaltung. Die Schlange zum Büchersignieren ist vor und nach der Veranstaltung über merkwürdige Kriminalfälle, und selbstverständlich in der Pause, jeweils 50 Meter lang. Der Büchertisch am Eingang ist gut gefüllt, aber die Fans – von schwarz gekleideten Gestalten über Hausfrauen, Ingenieure, Architekten, Ärzte, Geschäftsfrauen und Kripobeamten haben meist schon alle Sachbücher, die sich spannend lesen wie Romane, von Dr. Benecke im Schrank, dessen Geschäft sind Leichen aller Art.
„Wie? Unterm Waschbecken putzen?“ Den Satz höre man öfters von Angeklagten. Die Stelle vergessen Männer beim Putzen nach einem Mord immer, erklärt Dr. Benecke. Und da findet man dann Spuren. Er referierte mit viel Fachwissen, aber niemals trocken. Lustig, merkwürdig, wissenschaftlich und für manche Gemüter stellenweise gruselig war der Abend. Den Vortrag können sich Mitarbeiter im Gesundheitswesen oder von der Polizei als Fortbildungsstunden eintragen lassen.
Der weltweit agierende Kriminalbiologe, unter anderem mit einer Ausbildung bei der US-Kriminalpolizei FBI, füllt überall in Deutschland Vortragshallen und ist beliebter Gast in zahlreichen Fernsehsendungen. Trotz voller Halle vermittelt er den Eindruck, als würde er vor interessierten Freunden am Wohnzimmertisch sprechen.
Die Mischung aus fundiert und familiär, aber dennoch respektvoll, kommt gut an, und auch, dass er als herausragender Wissenschaftler seines Faches gilt, aber halt überhaupt nicht so auftritt oder aussieht, wie man sich das vorstellen würde.
Einblicke in das organisierte Verbrechen
Er gibt Einblicke in Jargon und Arbeitsweisen des organisierten Verbrechens, das natürlich anders als in Hollywoodstreifen daherkommt (weniger glamourös, dafür teils sehr gewalttätig). Und er schlägt einen Bogen zu alten vermeintlichen Mordfällen von Prostituierten in Berlin bis zu den Wundmalen der Therese von Konnersreuth. Wovon sich der Otto-NormalBesucher lösen sollte, falls er einmal eine kriminalforensische Untersuchung leiten sollte: Wahrheit, Gerechtigkeit, Sympathie und Annahmen zu trennen.
Im ersten Teil sind die Zuschauer, die möglichst viel Blut und menschliche Abgründe sehen wollen, vielleicht etwas enttäuscht. Dr. Benecke geht spannend und unterhaltsam auf seine Arbeitsweisen ein. Jede Wahrnehmung sei gesteuert, deswegen sehen erfahrene Ermittler Zeugenaussagen oft skeptisch.
Daher müsse man unbedingt auf Dinge schauen, die unwichtig wirken, oder genauer hinschauen: „Ohne Lupe gehe ich nicht aus dem Haus“, erklärt Benecke, der den Einstieg in seinen Vortrag mit Fotos vom Regensburger und Straubinger Bahnhof sowie mit einem amüsanten Besuch beim Bäcker in der Bahnhofstraße regionalisierte.
Warum Werbung für den Raben Socke, ein Stück für Kleinkinder, in Straubing auf Zigarettenautomaten klebt, diesen Fall konnte selbst er spontan nicht lösen. Mein Beruf ist Spurensucher, stellt er sich vor, „wir untersuchen Blut, Sperma, Haare, Erbrochenes und Spaghetti“, also alles, was anfällt. Neben dem Sammeln und Dokumentieren von Spuren, Fotos und Details an Tatorten, dem anschließenden Einordnen und Katalogisieren sowie der Auswertung zeigte der Biologe seine forensische Arbeitsweise auf.
Spreewaldgurken und Vorsicht vor Geliebten
Dazu gehören auch Testreihen. Zum Beispiel haben einmal Studenten fünf Tage lang unterschiedlich viele Spreewaldgurken gegessen, um Mageninhalte zu messen. Oder er stellte nach, ob es einer Geliebten gelingt, mit ihrer Oberweite einen Mann zu ersticken. Ja, das kann klappen.
Unschöne Tatortfotos setzt Dr. Benecke spärlich ein, er setzt mehr auf Erklärungen zur Ermittlungsarbeit. Fans können sich GratisTatort-Aufkleber mitnehmen, als Andenken oder falls man auf dem Nachhauseweg über ein Verbrechen stolpert. Oder sich mit einer seiner Schaben fotografieren lassen, auch als „Dr. Made“ bekannt, gilt er als Spezialist für Insekten auf Leichen. Eine „Tour-Schabe“, mit der der Veganer auch Werbung für Tierschutz macht, begleitet ihn.
Zwei Straubinger hatten sich sogar seine Autogrammzeichnung tätowieren lassen. Bewusst spielt der „Popstar der Wissenschaft“ mit merkwürdigen und teils frivolen Fällen, um damit Arbeitsweisen und Denkverhalten – falsches und richtiges – aufzuzeigen. Bewusst klammert er moralische oder juristische Betrachtungsweisen aus. Fakten und Beweisbares sei sein Geschäft der Wahrheit, das er allgemeinverständlich Menschen näherbringen will.
Die rund 1000 Gäste am Wochenende im Markmillersaal aus allen Bevölkerungsschichten zeigen, dass das schaurige Thema fasziniert. Biologe zu sein, kann also doch ziemlich cool sein.
(Mit vielem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.)