U-Comix Gazette: Interview mit Dr. Mark Benecke

Quelle: U-Comix Gazette

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Von Anja Perkuhn

Mark, erzähl mal: Was ist der letzte Traum, an den du dich erinnerst?

Ich hab vor ein paar Jahren schon gelernt, dass ich eine komplette Traumwelt aufgebaut habe, also lauter verschiedene Wohnungen in verschiedenen Städten, in die ich im Traum immer wieder zurückkehre. Oft ist das New York, weil ich da früher mal gelebt habe. Und da muss ich immer irgendwelche Sachen erledigen. Das war vorges-tern auch wieder so.

Wir hatten uns deine Träume ein bisschen verrückter vorgestellt als „Sachen erledigen".

Diese Wohnungsträume sind für meine Verhältnisse extrem verrückt. Während Corona habe ich in meinen Träumen mit meinen Freundinnen und Freunden komplette Urlaube gemacht, richtig episch, mit Anreise, Erlebnissen, allem. Die Handlung ging über Tage und Wochen, teilweise Jahre. Immer musste was organisiert oder eine Wohnung neu eingerichtet werden.

Was sind für dich reale Albträume?

Ich hatte neulich eine Abendveranstaltung in Baltimore, bei der größten forensischen Tagung der Welt. Und die war supergruselig: Es ging um Gegenstände aus dem Konzentrationslager Buchenwald, die aus Menschenhaut gefertigt wurden und die ich untersucht habe.

An sich schon ein gruseliges Thema.

Das stimmt, aber es war ganz anders als gedacht. Die Jüngeren wussten gar nicht, worum es geht. Klar, wenn ich in den USA lebe und 30 bin, was habe ich mit deutschen und polnischen Konzentrationslagern zu tun?

Und die Älteren hatten Tränen in den Augen. Aber weniger wegen der Spuren, von denen ich erzählt habe, sondern weil die meisten nach dem Krieg als Soldaten in Deutschland stationiert waren und dort ne gute Zeit hatten. Und jetzt wussten, dass sie nie wieder nach Germany kommen.

Und plötzlich war das Thema nicht mehr Nazi-Verbrechen.

Es ist im Grunde alles schiefgelaufen: Du willst da einen spurenkundlichen Vortrag halten über Taschenmesser-Etuis und Lampenschirme aus Menschenhaut. Und dann kommen die alten Leute an und sind zutiefst bewegt, dass sie mal wieder was aus Deutschland hören. Ich wusste gar nicht, was ich damit anfangen soll. Also es hat sich tatsächlich erfüllt, dass die Veranstaltung ein Albtraum war, aber auf eine komplett andere Art.

Es gibt viele Fotos von dir, auf denen du mit deinen Haustier-Kakerlaken kuschelst. Das finden viele Menschen ja wahrscheinlich eklig.

Die sind ja nicht eklig – weder verformt noch stinkend oder schleimig. Sie beißen nicht, sie stechen nicht. Die sind wie so kleine, fantastisch polierte Holzstückchen, die ihr Ding machen und keinen stören. Die sind einfach lieb.

Was machen die den ganzen Tag?

Sie schlafen oder chillen viel. Nachts kämpfen sie, wer oben sitzen darf auf der zerbrochenen Plastik-Urne mit dem Totenkopf. Ansonsten unterhalten sie sich halt, betasten sich mit ihren Antennen und blieben sitzen oder auch nicht. Wie Menschen, wenn sie sich zum Kaffeetrinken treffen. Und manchmal kriegen sie Kinder.

Klingt entspannt.

Oh! Aber was ganz seltsam ist: Manchmal sitzen sie alle vorne an der Glasscheibe und man sieht ihre Unterseite. Weil sie ihre Augen unten haben, ist das so, als wenn ein Menschen dich direkt anguckt. da starren dich also auf einmal 100 Schaben an.

Öhm. Vielleicht nehmen sie irgendeine unhörbare Frequenz wahr?

Vielleicht! Auf jeden Fall lernen meine Schaben. Sie haben sich zum Beispiel daran gewöhnt, dass ich mal in den Raum komme oder ihnen Wasser reinstelle, und verstecken sich dann nicht mehr. Normalerweise reagieren Schaben ja schnell auf Erschütterungen, weil sie im Urwald eine Leckerei sind für viele Tiere.

Aber jetzt wissen sie: „Ah, da kommt wieder der Große mit dem Futter!"

Ich denke schon, aber es gibt kein gutes Feedback-System mit ihnen, um da sicher zu sein. Ich mache ja keine Tierversuche mit meinen Schaben. Ich könnte so harmlose Trainingssachen mit ihnen machen, aber das habe ich ja schon mit Blutegeln gemacht, darum muss das nicht sein.

Watt?

Ja, früher hatte ich Blutegel und habe getestet, ob sie erkennen, über welche Linie sie drüberkriechen dürfen und über welche nicht.

Und mit den Schaben wär's jetzt nix? Warum?

Es gibt so eine Comicgeschichte, in der Superman so eine ganze Stadt rettet, die bei ihm in einer Flasche existiert. Und das sind die Schaben für mich. Die sollen ihr Ding machen und ich will nicht eingreifen.

Hat deine Schabenstadt auch einen Namen?

Nee, da bin ich ganz offen für Vorschläge der Leser und Leserinnen von U-Comix.

Fantastisch, wir sind gespannt! Du weißt wahrscheinlich, dass einer der großen Helden von U-Comix der Kakerlak ist?

Klar! Aber euer Kakerlak ist ja eher an Küchenschaben angelehnt. Meine sind ja Fauchschaben. Die können sich noch besser unterhalten, weil sie fauchen.