Stick and Poke – Das DIY Tattoo

Quelle: Ox Magazin 157, (4/2021), 33. Jhrg., S. 8

Text: Johanna Descy :: Foto: Dennis Ostermann & Jens Howorka

Es gibt sie tatsächlich: Diejenigen unter uns, die sich damals in ihrem jugendlichen Leichtsinn mit Zirkel und Tinte aus dem Füller das bekannte Anarchiesymbol gestochen haben oder die Balken von BLACK FLAG. Bei manchen mag dieser Versuch des selbstgestochenen Tattoos etwas verblasst oder von einem anderen, besser aussehenden Motiv verdeckt sein.

Da Tattoos seit den Neunziger Jahren im Mainstream angekommen sind und es deutlich mehr Studios gibt, verschwand das Stick-and-Poke-Tattoo zunehmend. Viele haben ja auch gewisse Ansprüche, was Größe, Motiv und Qualität angeht, was man mit Stick-and-Poke nicht zwingend erreichen kann. Diese einfache Methode wurde zunehmend als ethnologische Besonderheit von diversen Kulturen gehandelt, wie in einzelnen Fernsehreportagen zu sehen ist. Doch seit einiger Zeit blüht diese Art der Tätowierung wieder auf und bei Amazon oder Etsy kann man Stick-and-Poke-Kits erwerben. Das Hamburger Sexshopkollektiv „Fuck Yeah“ bietet ein solches Set in seinem Laden und Online Shop an. Neben Nadeln, Farbe, Motivbeispielen und weiterem Equipment liegt auch eine Anleitung bei.

Die liest sich natürlich einfacher, als es am Ende vielleicht ist, und man fragt sich vielleicht schon, ob man jetzt wirklich die richtige Hautschicht getroffen hat. Hält man die Nadel auch im erforderlichen und empfohlenen Winkel? Wer mit der schriftlichen Gebrauchsanweisung nichts anfangen kann, der kann auf YouTube einige mehr oder weniger hilfreiche Tutorials finden. Am Ende muss man dann einfach einen heroischen Selbstversuch starten, wie ich es gemacht habe, oder es bleiben lassen. Wer noch Bedenken hat, darf sich gerne durchlesen, was Tattoo-Experte Dr. Mark Benecke dazu sagt.

Mark, das Tattoostudio hat seit Monaten zu und das neue Wunschmotiv auf der Haut muss definitiv warten, außer man bestellt sich ein Stick-and-Poke-Set aus dem Internet. Alles wird geliefert und man kann frisch, fröhlich und munter loslegen. Die meisten wählen ein sehr kleines Tattoo, das meist nur ein paar Millimeter groß ist. Was ist das Problem mit so kleinen Tattoos?

Lustig, davon hatte ich noch gar nix gehört. Wenn die Menschen es nur ein paar Millimeter groß haben wollen — bitte schön, ist dann eben ein Corona-Souvenir. Ich habe schon zwei Freundinnen nur einen einzigen Punkt tätowiert ... wollten sie so.

Auf YouTube gibt es einige, teils abenteuerliche Videos zu Stick-and-Poke. Da wird das Material, also Nadeln und Farbe, möglichst günstig via eBay gekauft oder die Motive werden mit Edding auf die Haut gezeichnet. Welche Gefahren lauern hier?

Gefahren vielleicht weniger, aber woher sollen die Menschen wissen, wie tief und in welchem Winkel sie stechen sollen? Die Farbe „verläuft“ doch in tiefen Hauschichten oder bleibt weiter oben gar nicht drin. Die Haut an den Fingern ... ganz schlimm, da musst du die Tinte richtig reinknallen.

Viele Tätowierer:innen haben früher mit selbst gestochenen Motiven angefangen, aber sie wollten da nur herumprobieren und lernen. Ich hoffe, niemand erwartet, sich selbst ohne Kenntnisse und Übung was Schickes nach heutigen Sehgewohnheiten stechen zu können.

Ich würde mir auch nicht ohne Kenntnisse und gute Ausrüstung meine Brille selbst schmieden und die Gläser dafür schleifen: Sie würde wohl auseinanderfallen oder krumm sein, und scharf sehen würde ich vermutlich auch nicht.

Bisschen doof ist auch, dass viele billige Tätowierfarben öfter mal scheiße sind. Teils etwas giftig, teils verkeimt. Wer sich selbst von Hand und zu Hause sticht, sollte sich wie früher stilecht die schwarze Tinte selbst einkochen, damit sie schön tief-schwarz wird, haha.

Manch einer wird sich denken, wozu überhaupt Nadeln und Tattoofarbe, denn früher ging das ja auch mit Zirkelspitze und Tinte aus dem Füller. Naturvölker arbeiten schließlich mit Dornen und Pflanzenfarben oder Asche. Inwiefern könnten diese beiden Beispiele eine eher schlechte Idee sein?

Nur Mut! Bitte aber hinterher nicht andere vollheulen, wenn’s schiefgeht. Versuch macht kluch.

Hygienemaßnahmen werden in den Stick-and-Poke-Kits erklärt und unter anderem auch Alkoholtupfer mitgeliefert, aber so hygienisch wie in einem seriösen Tattoostudio wird es zu Hause zwischen Katzenhaaren, benutzten Kaffeebechern und Zigarettenstummeln nicht sein. Welche böse Überraschungen warten auf einen, wenn man es mit der Hygiene bei einem Stick-and-Poke-Tattoo nicht so genau nimmt?

Ich kann mich ja auch in einem frisch geputzten, rauch-, kaffee- und katzenfreien Zimmer selbst tätowieren. Probleme mit Entzündungen treten eher hinterher auf. Entweder habe ich Keime in meine Haut gestochen, das ist aber gar nicht so häufig, besonders wenn du wirklich Alkohol zum Reinigen verwendest und körperlich gesund bist.

Schlimmer ist die Nachsorge, wenn Menschen erst mal schön Schwimmen gehen, in die Sonne, sich kratzen oder nicht wissen, wie sie das Tattoo abdecken sollen. Letztlich ist eine Tätowierung eine Schürfwunde, das wirst du in der Regel schon überleben. Du kannst dir ja auch das Knie in einer dreckigen Pfütze aufschlagen, das entzündet sich auch nicht unbedingt.

Tätowierungen haben natürlich auch einen kulturellen und psychologischen Aspekt. In der westlichen Welt sind Tattoos seit den Neunzigern auch im Mainstream angekommen. Abgesehen von all den Gefahren, die beim Stick-and-Poke lauern, und dass es sich hierbei um eine dauerhafte Body Modification handelt, warum kann es dennoch eine gute Idee sein, sich selbst zu tätowieren?

Wenn du für deine Handlungen dauerhaft geradestehst: Bitte schön. Aber – wie gesagt — nicht rumheulen hinterher, wenn’s scheiße geworden ist, weil du null Ahnung hattest. Wenn’s ein winziges, witziges Corona-Souvenir für den Rest deines Lebens ist, kann es doch was haben. Du darfst halt nur keine Angst haben vor Schrott.


Henk Schiffmacher

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