Quelle: Tätowiermagazin 11/2013, Seite 144
Henning und der allessehende Skull
Kolumne mit Mark Benecke
Dass man sich ein Autogramm oder Band-Logo tätowieren lässt, ist die eine Sache. Als aber bei einer Veranstaltung ein Zuhörer mit meinem Dienst-Symbol, fettest auf seine Brust geinkt, vor mir stand, da war ich platt. Wenig später saß Henning, der Träger dieses ultimativen Pieces, bei mir in der Küche und berichtete, wie er auf seine krasse Idee kam.
»Du hast bei uns an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg vor vier, fünf Jahren eine Gast- vorlesung gehalten«, erzählt er bei einer Tasse Kaffee. »Da fing der Studiengang ›Forensik‹ gerade an, und deine Vorlesung war eigentlich auch nur für Forensiker. Eine gute Freundin von mir, die großer Fan von dir ist, hat mich mitge- schleppt, weil sie nicht allein da sitzen wollte. Ich studiere Chemie und kannte vorher nichts von dir, fand aber interessant, was sie erzählt hatte: Herr der Fliegen und so. Und dann habe ich dein Logo zum ersten Mal gesehen. Ich fand’s cool, wie der Logo-Totenkopf in alle Richtungen blicken zu müssen, zu können und zu wollen.«
Henning hatte sich zuvor Motive aus dem mexikanischen Day-of-the-Dead-Repertoire stechen lassen. Sie zeigen nicht einfach die dort verbreiteten Berufs-Skelette, sondern stellen Hennings Geschwister dar: »Wir spielen alle ein Musikinstrument: Meine Schwester Saxophon, mein Bruder Bass und ich mach Percussion. Das Skelett-Tattoo ist die Arbeit von einem guten Freund, der Übungsfläche brauchte. Wir haben uns zusammen überlegt, was er so kann und was ich gerne hätte, und das ist so über die Jahre gewachsen.« Hennings Familie freut sich über die familienverbindende Symbolik. Da das Tattoo sowieso schon aus Skeletten besteht, war der Schritt zum Riesentotenkopf nicht mehr ganz so weit.
»Das ist relativ einfach, und die Brust ist nicht so eine komplizierte Stelle«, findet Henning. »Ein Bekannter von mir, der ebenfalls noch nicht so lange tätowiert, hat es von Hand gestochen. Wenn ich morgens aus der Dusche steige, ist direkt gegenüber der Spiegel und jedes Mal bin ich dann froh, dass ich es mir habe stechen lassen. Leute, die mich kennen oder mit denen ich viel zu tun habe, sind größtenteils tätowiert. Wenn ich denen erkläre, welche Bedeutung es hat, finden sie es cool. Sie sehen auch, dass es vernünftig gestochen wurde. Leute, die mit Tätowieren nicht so viel zu tun haben – für die ist es krass: Groß, schwarz, mitten auf der Brust. Das ist dann immer abschreckend. Das fand sogar meine Mutter, der meine anderen Tattoos alle sehr gefallen haben.«
Die Bedeutung des rundum blickenden Totenkopfes geht für Henning noch weiter. Im späteren Berufsleben wird er sich wahrscheinlich mit Materialprüfung und Schadensfällen befassen. Und bei der Untersuchung von Materialschäden muss man eben auch in alle Richtungen schauen, um aus dem Meer an Fehlermöglichkeiten diejenige zu fischen, die zur Zerstörung führte. Auch privat ist es Henning wichtig, nach links und rechts zu gucken und Rücksicht auf andere Menschen zu nehmen. Passt!
Nächstes Tattoo wird für Henning ein Lesbian-Zombie-Nazi-Vampire-Werewolf-Shark-Octopus Hooker. Wer’s googelt, wird sich über meinen Firmen-Totenkopf nicht mehr wundern.
»In den nächsten Wochen mache ich mein Studium fertig, verdiene Geld und lasse mich weiter tätowieren«, sagt er zum Abschluss unseres Treffens. Ein solider Plan, eine solide Motivation – und bei mir die Freude, keinen Spinner oder Stalker, sondern einen aufgeräumten, familiären, bodenständigen und freundlichen Menschen kennengelernt zu haben, an dem Herbert Hoffmann, der Gründer dieser Kolumne, ebenso wie ich seine Freude gehabt hätte.
Friends in skulls: der Eure – Marky Mark