Dr. Mark Benecke: Rammstein für EinsteigerInnen

Orkus! Magazin #10/2019 (Oktober 2019), S. 10—11

Ein weiterer Orkus!-Artikel zur Rammstein-Tour

Meine Frau war noch nie auf einem Rammstein-Konzert. Genauer gesagt: Sie war es bis Ende August 2019 noch nicht gewesen. Das musste sich ändern, und so entführte ich meine Lady zu einem Ausflug nach Wien.

„So hat Rammstein das ganze Stadion zur Bühne gemacht.“

Während des Konzertes saß Mylady reglos und mucksmäuschenstill neben mir (ja, ich bin alt, wir saßen). Ich befürchtete schon, dass irgendwas nicht stimmt, als sie ganz zum Ende kurz eine Art flüchtiges Lächeln zeigte. Einige Stunden später traute ich mich, nachzufragen. Hier die erstaunlichen Wahrnehmungen meiner feinsinnigen Holden:

„Die Band ist alle Farben des Regenbogens durchgegangen“, war ihr aufgefallen. „‚Engel‘ war weiß, bei ‚Sonne‘ erstrahlte das Licht warm-gelblich-orange und bei ‚Puppe‘ verwandelte sich alles in ein kränkliches Blaugrün. Neben einer tollen Einleitung hatte ‚Deutschland‘ das typische Knallrot, und ein anderes Lied, das ich nicht kannte, war tiefblau. Es gab auch noch ein gelbes, ein violettes und ein dunkelgrünes Lied. So viele Eindrücke!“ Die Rede war von der eindrucksvollen Lichtschau, nicht etwa synästhetischen Eindrücken. Anders gesagt: Das ist wirklich so passiert.

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Ob ihr sonst noch etwas aufgefallen war? „Ja, klar“, sagte Ines, „das Verschmelzen zwischen Gefilmten und der Wirklichkeit. Lag die Puppe wirklich in dem riesigen Metall-Kinderwagen oder war sie digital hineinkopiert? Immerhin kamen echte Flammen aus dem Wagen, und die Puppe hat viele schwarze Insekten aus ihrem Mund entlassen. Das war doch auch im Film ‚Die Mumie‘ so? Jedenfalls dachte ich zuerst, dass das nur auf der Leinwand auf der Bühne passiert, aber aus vielen versteckten Stellen im Stadion rieselten auf einmal schwarze Krümelchen ins Publikum. Ein hoher Gruselfaktor.“

Merke: Wo andere Flammentürme sehen und Gitarrenwände hören, achtet meine Frau auf schwarze Puppeninsekten. 

Doch weiter: „Gut fand ich auch, dass das Publikum bei ‚Engel‘ selbst singen durfte.“ (Selbst zwei Kilometer entfernt konnte Orkus!-Redakteurin Manu – die sich das Konzert am Vortag in ihrer Rolle als Fotografin ansah – diesen Fan-Gesang hören und dachte, es sei die Band). „Aber es gab kein Gebrüll wie bei Fußballfans, sondern die Band stand im gesanglichen Austausch mit dem Publikum. So hat Rammstein das ganze Stadion zur Bühne gemacht. 

Dazu passte, dass bei ‚Ohne Dich‘ auf der Bühne zwar nicht mehr viel Licht war, aber die Zuschauerinnen und Zuschauer mit den ‚Ohne-Dich‘-Feuerzeugen und ihren Handys ein riesiges Sternen- und Lichtermeer erzeugt haben. Wieder hat das Publikum bei der Show direkt mitgemacht!“

So war es. Zwischenzeitlich sang das Publikum auf den Rängen sogar lauter als die Band. Das will etwas heißen, denn noch nie in der Musikgeschichte waren so viele Line Arrays – die Boxen-Türme, deren Ton maßgeschneidert wird – bei einem Konzert aufgebaut. Dazu noch einmal Ines: „Die ‚Vorband‘ hat zwar auch so richtig in die Tasten gehauen, aber zwischendurch sind die beiden Pianistinnen wieder in ihr ruhiges Spiel zurückgefallen. Rund um die Klavier-Insel haben die Fans bei der Instrumental-Fassung von ‚Ohne Dich‘ sogar schon vor dem Konzert das Lichtermeer entzündet.“

Nur eine Sache sah Ines, ganz sozialarbeiterisch durchwebt, nicht völlig rosig: „Die Schlauchboote fand ich nicht so beeindruckend, weil man sie von hinten kaum erkannt hat. Die Leute, die im Innenraum standen und vielleicht nicht so viel von der Band gesehen haben, konnten so aber wenigstens auch mitmachen.“

Uff! Nach fast zwanzig Jahren habe ich nun mal mitgekriegt, was ich auf Konzerten so alles NICHT mitkriege. Es gab übrigens auch noch eine Art Running Gag:

Zwei Fledermäuse jagten unbeeindruckt von Menschen, Musik und Feuermeeren seelenruhig die Insekten, welche vom Licht der Stadionlampen angezogen wurden. Auch sie hatten offenbar eine ganz andere Wahrnehmung des Wahnsinns- Ereignisses als wir. Und das ist doch beruhigend: Obwohl wir alle vereint sind im Geist einer fantastischen Band, und obwohl wir für einige Tage ganz Wien mit schwarzen Klamotten und Gedanken geflutet haben, steckte doch mehr Farbe, Fledermausigkeit und persönliche Eigenart, als es bunten Menschen von außen erschienen haben mag, in uns.

Respekt vor Band und Publico meldet herzlich Euer — 

Marky Mark

„Wunderliche Welt des wonnigen Wahnsinns!“

Nachträge: 

Nach dem Auftritt huschten wir noch zur Abschlussfeier hinter die Bühne. Dort lief knorke Disco-Musik, und der Abend klang so aus, wie das nach einem fetten Konzert sein sollte.

Am nächsten Tag war mir sehr schlecht.

Das war ungünstig, da ich gleich vormittags zwei Live-Radio-Schaltungen nach Berlin hatte. Ines war so freundlich und hielt mit ihrem Daumen das Mikrofon zu, während ich zwischendurch brechen musste. Muss auch mal sein!

Auch eine andere Sache trieb uns zuletzt die Gänsehäute kreuz und quer über die Körper: Wir wären beinahe in die falsche Musik-Veranstaltung geraten! Die Wiener Zeitung Heute meldete, dass ein rappender Mann namens „RAF Camora“ angeblich die ganze Wiener City lahmgelegt hatte. Wir waren wohl in einem anderen Wien, denn uns umgaben drei Tage lang nur Rammstein-Faninnen und -Fans. Wunderliche Welt des wonnigen Wahnsinns! Hatte die gesamte Show nur in meinem Kopf stattgefunden? Sogar die Manner-Schnitten, die es am Vortrag am Schnell-Imbiss im Stadion gegeben hatte, kamen mir auf einmal verdächtig vor.

Meine heiß geliebte Rammstein-Jacke ist übrigens auf der Rückreise gestorben. Ich habe sie zehn Jahre lang gepflegt und getragen, aber auf den letzten Metern von der U-Bahn ins Labor ist sie dann verschwunden. Niemand weiß, wie es geschah, aber das Schicksal wollte mir wohl sagen, dass ich neuen Merch benötige. So soll es denn auch sein.

Bereit für das nächste Konzert — 

Euer Marky Mark



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Astrophiura markbeneckeii

Ein Schlangenstern, der seinen Namen trägt