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Mark Benecke in Halle: Forensik zwischen Frömmigkeit und Kriminalbiologie
2. Mai 2021, 15:41 Uhr
"Heilen an Leib und Seele. Medizin und Hygiene im 18. Jahrhundert", das ist der Titel der diesjährigen Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen Halle. Da derzeit coronabedingt keine Besuche vor Ort stattfinden können, fand auch die Eröffnungsveranstaltung am Sonntag, 2. Mai 2021 digital statt. Die Eröffnungsrede hat der Mark Benecke, Kriminalbiologe und selbsternannte "Herr der Schmeißfliegen", per Livestream gehalten. Darin bekannte er, warum er an seiner Hand das Stadtwappen von Halle eintätowiert hat. Über das Thema seines Festvortrages "Seelen und Würmer – Forensik zwischen Frömmigkeit und Kriminalbiologie" und die guten Gründe für eine Ausstellung zu Medizin und Hygiene im 18. Jahrhundert hat Benecke mit MDR KULTUR gesprochen.
MDR KULTUR: Warum ist die Medizin und Hygiene im 18. Jahrhundert eine eigene Ausstellung wert?
Mark Benecke: Im 18. Jahrhundert gab es schon Bücher, in denen schon sehr viel Kluges und Schönes und Richtiges über Medizin und Hygiene gesagt wurde. Aber vieles wurde auch nicht geglaubt. Der Erfinder des Händewaschens im Krankenhaus wurde in die Psychiatrie gebracht und ist da auch gestorben. Man hat gesagt "Händewaschen ist absoluter Schwachsinn, sowas braucht man einfach nicht".
Und das wiederholt sich halt immer wieder in der Menschheitsgeschichte, dass Wissen erkeimt und eigentlich auch durch Daten und Zahlen unterstützt ist – und dass das aber noch nicht wahrgenommen werden kann, kulturell oder sozial. Zum Beispiel habe ich ein Buch ausgegraben, das stammt aus dem 18. Jahrhundert, in dem zum Beispiel ganz normal in einem medizinischen Lehrbuch über Folterungen geschrieben wird, weil das damals eine ganz normale, anerkannte Methode vor Gericht war. Ich will so ein bisschen zeigen – und denke, das ist vielleicht eine Antwort auf die Frage – dass Menschen weder dumm noch superschlau waren, sondern eigentlich immer gleich sind. Aber sobald wir Daten und Zahlen haben, können wir dann eben einen Fortschritt erzielen.
Das kann man in so einer Ausstellung super sehen, die einfach mal z.B. 300 Jahre oder 200 Jahre zurückgeht. Und dann steht man halt staunend vor dem, was schon bekannt war und wundert sich und schmunzelt über das, was nicht so bekannt war. Und die Auflösung wäre dann, wenn ich daneben stehen würde, im Geiste, würde ich sagen "Siehste - und die Lösung war, dass man gemessen hat! Mit Zahlen und Daten gearbeitet hat!"
Gab es im 18. Jahrhundert schon Ansätze für ihren speziellen Bereich, die Anwendung biologischer Erkenntnisse über Insekten bei der Aufklärung von Kriminalfällen?
Ich liebe alte Bücher, für mich gibt es nichts Schöneres, als in alten Bibliotheken herumzugeistern. Ich bin nicht nur Fan von der Bibliothek in Halle. Sondern auch in London z.B. lasse ich Bücher restaurieren in der Linnean Society oder in der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin. Da habe ich auch schon mal was gesponsert.
Und deswegen weiß ich: Es gibt seit dem 13. Jahrhundert schon Berichte über Insekten auf Leichen. Zum Beispiel hat Sòng Cí, das war ein Ermittlungsrichter (das wäre heutzutage eine Mischung aus, sagen wir mal Kriminaltechniker, Richter und Polizist), der hat schon ein Buch geschrieben darüber, wie die Fliegen um die Sichel von einer einzigen Person geflogen sind. Die Sicheln aller Männer, die in einem Reisfeld gearbeitet hatten, sollte sie vor sich legen – und dann sind um eine Sichel die Fliegen rumgeflogen. Die haben die Blutreste gerochen, weil das eine Sichel war, mit der eine Person getötet worden war.
Heute machen wir das natürlich viel mathematischer und komplizierter. Aber ich mag auch die hemdsärmligen Methoden von früher, nur sind die leider auch eben rechnerisch oft nicht ganz richtig. Das war in diesem Fall eine Unterstützung zu einem Ermittlungsverfahren, um ein Geständnis zu gewinnen.
Ihr Vortrag trägt den Titel "Seelen und Würmer – Forensik zwischen Frömmigkeit und Kriminalbiologie". Das Bild dieser Gerichtsmedizin ist bei vielen Menschen durch das Fernsehen geprägt, da geht es nicht ab ohne spektakuläre Wendungen. Wie verlässlich ist sowas, was wir da beispielsweise im "Tatort" sehen, über die Möglichkeiten der Forensik?
Ich hatte noch nie einen Fernseher, ich habe auch noch nie einen Tatort gesehen. Ich weiß allerdings zu den Wendungen, die sind tatsächlich vorhanden in unseren Fällen.
Womit wir uns gerade sehr beschäftigen, weil die Kriminalistik und die Kriminalbiologie (ich bin ja Kriminalbiologe) und die Rechtsmedizin sind ja doch jetzt schon sehr fortgeschritten, weil wir viele andere Techniken uns so ein bisschen klauen können aus den Nachbardisziplinen, weil wir ja nur ein ganz winzig kleines Fach sind, da muss ich sagen, die Wendungen kommen jetzt langsam so ein bisschen. Weil wir jetzt wirklich verstehen, wie viele falsche Verurteilungen es im Laufe der Jahrhunderte gab und jetzt noch gibt.
Das ist eine große Wendung, die wir im Moment erleben. Da gibt es sogenannte "Innocence Projects" in den angloamerikanischen Ländern, wo anhand von Spuren ältere Fälle nochmal nachgeguckt werden. Wenn man so will: dramatisch und spannend und voller Wendungen ist das bei uns tatsächlich jeden Tag! Aber ich vermute mal, ohne dass ich es gesehen habe, anders als im Kino und im Fernsehen.
Das Radio-Interview hat Ilka Hein-Cronjaeger für MDR KULTUR geführt.
Die Ausstellung
"Heilen an Leib und Seele. Medizin und Hygiene im 18. Jahrhundert". Jahresausstellung 2021 der Franckeschen Stiftungen Halle/Saale, 2. Mai bis 18. Oktober 2021
Fotos im Original:
Mark Benecke, Kriminalbiologe und Spezialist für forensische Entomologie / Mark Benecke über seine Festrede an den Franckeschen Stiftungen / Mark Benecke im Sherlock-Holmes-Style im Büro / Mark Benecke ist bekennder Bücher-Fan und Gothic / Mark Benecke sitzt in einem Saal des Bundesverwaltungsgerichts.
An der Innenseite seiner rechten Hand trägt Mark Benecke ein Tattoo des halleschen Stadtwappens / Auch ein Tattoo der thüringischen Stadt Weimar trägt Benecke, hat jedoch als "Wappentier" sein liebstes Forschungsobjekt, die Fliegenlarve, genommen
Alle Fotos auf dieser Website: Jörg Gläscher (http://glaescher.de) für Franckesche Stiftungen (Weiterverwndung nur nach schriftlicher Absprache)