Insekten und Amphibien

Quelle: istdasvegan.eu (online) vom 16. Januar 2017

VON KATRIN LUBER

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Selbst bei Veganern sind Fliegenlarven nicht gerade sonderlich beliebt – für Dr. Mark Benecke sind sie aber wichtige Kollegen, wenn es darum geht, anhand ihres Alters Rückschlüsse auf die Umstände des Todes eines Menschen ziehen zu können. Mark ist kein Gerichtsmediziner, sondern arbeitet als freischaffender Kriminalbiologe und öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren. Sein Wissen gibt er an Studenten weiter, er forscht und hilft, Todesfälle aufzuklären.

Isst er kein Fleisch mehr, weil er täglich Leichen begegnet? Kann er noch in eine Metzgerei gehen? All das und noch viel mehr beantwortet er mir im Interview.

Hallo Mark, vielen Dank, dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast. Meine Leser und ich freuen uns sehr darüber. Was mich am meisten interessiert ist die Frage, ob man bei einer Leiche erkennen kann, ob der Mensch vegetarisch oder vegan gelebt hat?

MB: Auf den ersten Blick erkennt man nichts, es sei denn, man sucht im Darminhalt nach Fleischfasern oder Ähnlichem. Es gibt zwar Vermutungen, dass bei einer pflanzlichen Ernährung der Selenspiegel sinkt, aber bewiesen ist das nicht. Sicher stinkt der Darminhalt aber nicht so stark wie bei Fleischessern.


Machte dich deine tägliche Arbeit als Kriminalbiologe erst zum Vegetarier?

MB: Nein, ehrlich nicht. Meine Schlüsselerlebnisse hatte ich eher am lebenden Objekt: Ich habe im Studium in vielen Verhaltensexperimenten wirbellose Tiere beobachtet. Ihre Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit haben mich sehr beeindruckt. Seitdem bringe ich es nicht mehr übers Herz, ein Tier zu essen. Als Kriminalbiologe arbeite ich ja hauptsächlich mit faulen Leichen oder Spuren, da ist die Assoziation zu frischem Fleisch gar nicht so sehr gegeben. Ich hatte mal eine frische Leiche vor mir, die war vorher zu Tode geprügelt worden und zerschnitten, und so was sieht dann einfach aus wie beim Metzger.

Ich meine das nicht abwertend gegenüber Metzgern, aber der Geruch, die Schnittflächen, die Ähnlichkeit ist gegeben, bei großen Knochen sieht das aus wie Kotelett oder Rippe. Wenn man also meinen Job länger macht und man geht beim Metzger rein, dann sieht das eben genauso aus. Und es ist ja auch dasselbe – ob man nun ein Schwein, eine Kuh oder einen Menschen da liegen hat, das sieht man ja nicht. Bei den Killern, die Menschenfleisch verkauft haben — etwa Fritz Haarmann an seine Nachbarn —, da fiel auch keinem auf, was für Fleisch das war. Das Gewebe sieht genauso aus, von der Fettschicht her, der Haut, den Knochen, den Muskeln …


Also sieht eine Scheibe Menschenschenkel aus wie das Pendant vom Schwein?

MB: Ich sehe da keinen Unterschied, wobei das natürlich eine sehr biologistische Sichtweise ist. Dennoch würde ich mich nie vor eine Metzgerei stellen und den Leuten ihr Essen madig machen.

Wenn die Leute das gerne zu sich nehmen wollen, bitte schön. Lustig ist bei der Gelegenheit übrigens, wie sich die Metzgereiangestellten vor Blut ekeln. Wir müssen für unsere Arbeit hin und wieder frisches Schweineblut kaufen, und die reichen uns dann mit spitzen Fingern den Eimer, sind total angeekelt. Da muss ich die dann schon mal fragen, wovor die sich eigentlich ekeln, während sie in einem Meer von Leichengewebe stehen. Ja, aber Blut ist was anderes, heißt es dann, und dann lachen wir.

Ich führe also schon Gespräche, in denen das Thema angesprochen wird, nur bei den Leuten in der Metzgerei kommt nichts von dem an, was ich sage. Im Gegensatz dazu kommt es immer an, wenn man angesichts des Essens von Schweinen darauf verweist, dass man dann ja auch Pferde oder Hunde essen könne – da heißt es dann immer nur: Ja, aber das ist was anderes. Ach ja, wo ist denn der Unterschied zwischen Pferd und Schwein? Auf diese Frage weiß dann keiner eine Antwort.


Bei der Recherche für das Interview habe ich in älteren Interviews von 2013 gelesen, dass du Vegetarier bist und auch noch deine heiß geliebten Lederklamotten trägst. Bist du heute Veganer?

MB: Ja, das stimmt, das war damals so. Ich benutze inzwischen kein Leder mehr, aber ich bin nach wie vor nicht überzeugt von der Funktion beziehungsweise der Nachhaltigkeit von bestimmten Kleidungsstücken. Aber jetzt ist nicht die Zeit dafür. Jetzt muss man die Leute erst mal vom Fleisch- und Tierkonsum weg bekommen. Wenn die Leute synthetische Stoffe benutzen und die häufig wechseln, weil sie sich abnutzen, ist das auch nicht optimal. Da hat sich allerdings schon viel getan seit 2013. Viele Firmen, die vegane Produkte hergestellt haben, produzierten Sondermüll. Seit letztem Jahr versuchen nun wirklich viele, die synthetischen Stoffe umweltfreundlich zu gestalten. Damals war eine Zeit der technischen Umwälzung.


Du sagst auch, dass du, wenn du unterwegs bist und nichts Veganes zu essen bekommst, auch einfach mal nichts isst. Bei mir würde dann mein Blutzuckerspiegel verrückt spielen. Wie machst du das?

MB: Öh, das geht, ich bin das gewohnt. Ich weiß, es gibt Leute, bei denen der Blutzuckerspiegel verrückt spielt, aber bei mir geht das. Ich bin schon immer viel unterwegs gewesen, auch schon als Jugendlicher und dann gewöhnst du dir das an. Vor allem wenn du kein Geld hast, kannst du dir auch nichts kaufen. (Lacht)


In der Fernsehsendung von Markus Lanz im März vorigen Jahres erklärst du, dass es nicht die Leichen sind, die dich erschauern lassen, sondern die Gewalt, die man aus ihnen herauslesen kann. Hat die Gewalt in den letzten 20 Jahren, die du den Job machst, zugenommen?

MB: Nö, das nicht. Also es gibt in Deutschland beispielsweise weniger Delikte gegen Kinder, weil einfach weniger geboren werden. Die Leute werden immer älter und neigen weniger zu körperlicher Gewalt. Die körperliche Gewalt hat eher abgenommen. Vieles wird auch nicht mehr toleriert. Früher wurde in Beziehungen eher noch toleriert, dass einem die Hand ‚ausgerutscht‘ ist oder ’so ein kleiner Schlag hinter den Kopf, das schadet keinem‘. Vor zehn Jahren hast du das noch gehört, heute gar nicht mehr. Insgesamt ist es eher besser geworden, aber nicht nur weil die Menschen vernünftiger geworden sind und besser aufgeklärt sind, auch was verbale Gewalt, Stalking und Mobbing angeht. Es liegt aber auch daran, dass die Leute immer älter werden.


Kannst du dir vorstellen, den Beruf eines Tages an den Nagel zu hängen? Dass dir die Gewalt zu viel wird?

MB: Nö, das gehört dazu, das ist eben so. Du könntest zum Beispiel auch sagen: ‚Ich unterstütze keine Tierschutzkampagnen mehr, weil ich dann immer dazu gezwungen wäre, mir anzugucken, wie die Tiere schlecht behandelt werden.‘ Also das wäre ja dieselbe Logik.


Ja! Bei Lanz hast du Gulasch als Leichenmuskelwürfelchen, Kotelett als Leichenknochen mit Leichenfleisch und Schinken als Mumiengewebe bezeichnet. Was würde passieren, wenn man das ähnlich wie bei Zigarettenschachteln auf die Verpackung von Fleisch schreiben würde?

MB: Also ich glaube, da würde nichts passieren. Das ist das Gleiche wie mit der häuslichen Gewalt. Du kannst da so viel verbieten, wie du willst – solange die Leute nicht einsehen, warum das schlecht ist oder warum sie stalken, werden die damit nicht aufhören. Du kannst das auf Schachteln und Plakate drucken – solange da nicht der Prozess der Einsicht vorher eingesetzt hat, passiert da nichts.


Womit würde man mehr Menschen erreichen als mit den Argumenten Umwelt und Ethik?

MB: Ja, ich denke schon, dass man mit Lifestyle und Gesundheit zumindest die ältere Generation besser erreicht. Die denken sich: ‚Gut, mach ich mal was für mich. Das bin ich mir wert.‘ Den Jüngeren ist das glaube ich eher egal, die setzen mehr auf kooperative Effekte. Denen musst du sagen, dass das alles miteinander zusammenhängt, sie das Thema teilen müssen und sie somit die ganze Menschheit voranbringen können. Mit dem Wellnessgedanken bekommst du die Jüngeren nicht mehr. Würde man Werbung machen wollen, könnte man das so an die jeweilige Zielgruppe anpassen. Einfach ein Vorbild sein reicht häufig auch schon. Viele Musiker sind Veganer und begründen es überhaupt nicht. Die Kids sagen sich dann: ‚Ja, der ist Veganer, dann kann es ja nicht so blöd sein.‘


Also meinst du, dass allgemeine Aufklärung mehr bewirken kann? Für PETA hast du ja zwei Folgen von „Facebook fragt – Benecke antwortet“ gedreht, die sehr gut ankamen. Du hattest dabei sichtlich deinen Spaß. Sind hier neue Folgen in Planung?

MB: Eigentlich schon, demnächst machen wir jetzt einen Livestream aus der Zentrale von PETA und bei allen meinen Shows verteile ich Flyer und Aufkleber und beantworte Fragen zur veganen Ernährung wie beispielsweise Vitamin B12 usw., kennst du ja. Ich sage allerdings nicht, was drauf und drin steht, zum Beispiel bei den Flyern. Wir sagen nur: ‚Da liegen Aufkleber und Flyer, wenn sie wollen, nehmen sie sich welche.‘ Wir nennen gar nicht das Thema.

Ich habe mit PETAZWEI auch mal eine Meerestiereaktion gemacht, das ist schon länger her. Dort wiesen wir darauf hin, dass Meerestiere auch coole Lebewesen sind. Früher im Studium habe ich in Irland länger mit Kraken gearbeitet. Wir haben Lernversuche mit ihnen gemacht und sie anschließend wieder freigelassen. Ich drehe auch viele Videos in Paris, Berlin oder anderen Städten, wo ich einfach nur rumlaufe und die veganen Leute erzählen lasse, was sie gerade machen. In Frankreich haben wir die Leute auch fast nur über Essen reden lassen.

Ich unterstütze übrigens auch viele andere Tierschutzorganisationen. PETA finde ich super, weil die immer richtig Rock ’n‘ Roll machen. Ich habe auch ein Autogramm von Ingrid Newkirk auftätowiert und bin ihr Leichenverwalter für Europa. Ingrid Newkirk ist Mitbegründerin von PETA und hat in ihrem Testament festgelegt, dass nach ihrem Tod ihre einzelnen Körperteile wie Delikatessen behandelt oder wie Tiergewebe verarbeitet werden. Die Leber soll beispielsweise so eine Art Leberwurst werden. Ihr Gedankengang ist dabei natürlich klar.

Aber ich finde auch die anderen Organisationen sehr sehr geil. Das Projekt iAnimal hat mit einer 360°-Kamera in einem Stall und Schlachtbetrieb gefilmt. Die Zuschauer bekommen so per Rundumblick einen Eindruck von den Bedingungen, in denen die Schweine dort leben und die Menschen arbeiten, ganz sauber und ‚clean‘, aber umso fürchterlicher.


Was war bei „Facebook fragt – Benecke antwortet“ für dich die absurdeste Frage? „Wohin mit den ganzen Kühen?“ hat bei dir ja zu einem Lachanfall geführt. 🙂

MB: Ich finde die Fragen alle lustig. Manchmal ist es einfach nur ein rotziges pubertäres Gehabe der Fragenden: ‚Mama und Papa sind Ökos, ich will anders sein!‘ Die meisten Fragen fand ich gar nicht schlecht und dazu habe ich auch immer etwas geantwortet. Ein Beispiel ist: ‚Das Ökoessen das schmeckt nicht!‘ Dann sage ich: ‚Ja, da hast du recht. Ich kann mich auch noch an Zeiten erinnern, wo das echt nicht so lecker war, weil man einfach keine Ahnung hatte, wie man die ganzen Produkte zubereitet.‘ Den ganzen Tag Kleie zu essen, war jetzt auch nicht so lecker, daran erinnere ich mich noch. So gesehen fand ich die Fragen eigentlich okay. Mir geht es gar nicht darum, mich in der Form lustig darüber zu machen, dass ich einfach sage: ‚Ihr seid doof!‘, sondern ich habe es bei jeder Frage so gemacht, dass ich auch drauf eingegangen bin. Also Lachkrampf hin oder her, aber ich habe immer die Frage beantwortet.


Hast du als „Dr. Made“ oder „Der Herr der Fliegen“ ein besonderes Verhältnis zu Insekten? Als Madenkönig kannst du den Todeszeitpunkt eines Menschen anhand der Entwicklungsstadien von Insekten sehr genau bestimmen. Wie genau ist so eine Untersuchung?

MB: Grundsätzlich hängt das Resultat stark von der Menge und Qualität der Informationen ab, die man hat. Je mehr Informationen vorhanden sind, umso präziser wird es. Ich hatte schon Fälle, da ließ sich der Todeszeitpunkt bis auf ein paar Stunden eingrenzen. Hier spielt die Temperatur eine große Rolle: Das Wachstum von Schmeißfliegenmaden ist stark temperaturabhängig. Wenn man aber keine genauen Temperaturdaten hat, dann muss man zu Hilfsmethoden greifen, dann wird das Resultat entsprechend unpräziser.


Wie lassen sich Temperaturverhältnisse rekonstruieren?

MB: Es ist beispielsweise hilfreich zu wissen, wie der Schatten im Laufe des Tages verläuft. Das bewirkt öfters eine Abkühlung und gewisse Tiere halten sich an diesem kühleren Ort dann eher nicht – oder aber je nach Art auch viel lieber – auf.

Mir liegt derzeit aber vor allem auf dem Herzen, dass ganze Tiergruppen aussterben: Amphibien und Insekten. Eine ganz merkwürdige Erscheinung, die keiner versteht. Jetzt ist es sehr akut geworden. Ich habe gerade vor 20 Minuten den letzten Rundbrief bekommen und geteilt, was die Insekten angeht. Es könnte sein, dass das der Vorbote des Zusammenbruchs von großen Ökosystemstrukturen ist. Das könnte noch ein ganz neues Themenfeld aufmachen. Da müssen wir alle ran – egal ob wir Würstchen aus Tofu oder Fleisch essen. Das ist ein Problem, das ist richtig groß. Das ist größer als alles, worüber wir hier reden. Da berichtet auch kaum einer drüber. Das Thema ist unsexy: Frösche, Kröten, Mücken, Schmetterlinge und Motten — nee, das interessiert keinen. Das sind alles angeblich eklige Tiere.


Mir ist im letzten Sommer aufgefallen, dass die Windschutzscheibe inzwischen ganz sauber ist. Früher war alles voll.

MB: Hast du genau richtig beobachtet. Bei den Amphibien war es so, dass es überhaupt keinem aufgefallen ist. Das haben wir schon fast hinter uns, das riesige Amphibienaussterben. Ein Kollege ist wirklich verzweifelt. Ich habe mal einen Bericht geschrieben über explodierende Kröten, weil das so aussah, als ob Kröten explodiert wären, und habe das so ein bisschen mit Augenzwinkern geschrieben, dass man nicht immer alles glauben soll, was man sieht. Und der hat nur gesagt: ‚Ich kann da nicht mal mehr mit Augenzwinkern drüber schreiben, weil ich könnte den ganzen Tag nur noch heulen, weil die Tiere einfach wegsterben und ich sehe noch nicht mal mehr den netten Dreh, den man den Leuten verkaufen kann.‘ In dem Moment habe ich eingesehen, das ist doch eine harte Nummer.

Das mit den Windschutzscheiben, was du gesagt hast, ist keine Einbildung, sondern das ist tatsächlich so. Es könnte auch mit dem Klima zusammenhängen, also es könnte sich auch wieder fangen. Es muss halt untersucht werden.


Was macht ein Kriminalbiologe, wenn es mal keine Insekten mehr geben sollte?

MB: Ich arbeite ja auch mit Blut, Sperma und so, das passt am Tatort dann schon. Uns gehen ja auch aus vielen Gründen schon mal Spuren verloren, wir müssen öfter sozusagen drumrum arbeiten.

Die Frage ist eher, wie wir Menschen weiterleben können, wenn die anderen Tiere und Pflanzen in einem von uns kaum verstandenen Netzwerk so mega ausgedünnt werden. Populationszusammenbrüche sind biologisch zwar nix besonderes, aber von uns selbst herbeigeführte in einer Welt, in der die Ressourcen begrenzt sind … das geht nicht gut.

Meine Frau sagt immer, dass es auf Menschen ja nicht alleine ankommt, weil das Leben auf der Erde weiter geht, und das stimmt auch. Ich fände es aber schade, wenn wir jetzt einfach aus Sturheit alle Reserven aufbrauchen, die Artenvielfalt ganz hopps gehen lassen … und den Letzten beißen dann einfach die Milben.


Es heißt ja immer, dass Frauen mit Gift morden. Nehmen wir an, eine Veganerin möchte jemanden um die Ecke bringen und plant den perfekten Mord. Welches Pflanzengift ist am wirkungsvollsten und ist später für einen Dr. Mark Benecke nicht nachzuweisen?

MB: Die meisten Pflanzengifte sind nicht nachweisbar, nicht weil man sie nicht nachweisen kann, sondern weil man nicht danach guckt. Also insofern sind der Fantasie da keine Grenzen gesetzt. Ich empfehle sehr gute Gartenbücher (Lachanfall), wie es sie ja auch von dir gibt. Da kann man sich im Gartenbuch mal kundig machen und nebenbei noch was für die Insekten tun, weil die dann wiederum die Blüten besuchen. Vielleicht rückt man dann im Laufe der Zeit wieder von der Idee ab, jemanden umbringen zu wollen und lernt in Wirklichkeit was über Blumen und Insekten und kann den ganzen Hass aus sich herausarbeiten, dann ist alles schön.


Wie denkst du als Biologe über Tierversuche? Man liest ja immer wieder, dass ein sehr großer Prozentsatz dieser Versuche überhaupt nicht auf den Menschen übertragbar ist, da der Organismus ganz anders reagiert. Trotzdem muss jedes neue überflüssige Nasenspray erst an Tieren getestet werden.

MB: Ja, viele Versuche sind nicht auf den Menschen übertragbar. Heute ist es am wichtigsten, dass man sofort richtig viel Geld in Ersatzmöglichkeiten reinpumpt. Das Bundesinstitut für Risikobewertung versucht beispielsweise, Modelle mit Zellen zu finden, die möglichst eine gute Aussage zulassen. Ich denke, es wird noch ein paar Jahre dauern, bis wir den Ausstieg schaffen. Die jungen Menschen haben auch absolut keine Lust mehr auf Tierversuche, und ich denke, die werden einfach aus einem Selbstverständnis heraus sagen: ‚Was haben eigentlich unsere Eltern und Großeltern da gemacht?‘ So wie wir beim Ersten und Zweiten Weltkrieg. Das wird sich irgendwann durchsetzen. Es könnte auch sein, dass die USA da mal wieder unerwartet Vorreiter sind, wie beim RaucherInnen-Schutz. Es könnte auch Deutschland sein, denn es gab im letzten Jahr einen großen Kongress zu dem Thema in Köln. Ich rede mit ganz vielen Organisationen, die sich untereinander gar nicht kennen, wie Ärzte gegen Tierversuche, Forschern, die Modelle entwickeln wollen und allen möglichen TierschützerInnen. Da fehlt ein bisschen die Vernetzung, aber es könnte schneller klappen, als man denkt. Tierversuche, wie wir sie noch kennen, sind fast immer quatsch.

Es gibt aber noch eine ganz andere Ecke, und über die redet kaum einer, und zwar ist das der irre Verbrauch von Mäusen, teilweise auch Ratten, für genetische Versuche. Für Versuche mit Tiermodellen, um Krankheiten zu verstehen, werden Millionen von Tieren verbraucht. Das sind auch Tierversuche, aber nicht so wie wir sie aus den 70er und 80er Jahren kennen, wo Kaninchen zum Rauchen gezwungen oder ihnen Elektroden ins Gehirn gesetzt werden, sondern die haben eine genetische Veränderung und wachsen damit auf, also transgene Tiere. Diese Diskussion ist schwierig, weil einerseits möchte man natürlich, dass genetische Krankheiten beim Menschen nicht auftreten, und andererseits willst du ein halbwegs akzeptables Tiermodell haben. Man kann sich nicht vorstellen, wie viele Tiere dafür jeden Monat sterben. Diese Diskussion hat auch noch keiner zu Ende geführt.

Es gibt also schon noch ein paar Baustellen, die muss man aus tierschutzrechtlicher Sicht noch bearbeiten. Man könnte jetzt natürlich auch sagen: ‚Das transgene Aufwachsen schadet den Tieren jetzt nicht so, wie wir das kennen mit aufgebohrten Schädeln, zerstörten Lungen und was weiß ich.‘ Ich denke aber, in den nächsten fünf Jahren wird sich hier viel tun. Ich werde das Thema weiterverfolgen und versuchen, die Interessierten zu vernetzen, dass man sich einigt, was der Stand der Dinge ist, was man vertreten möchte als Mensch und was nicht, was man als Tierversuch definiert und wo man sagt: ‚Naja, das sind zwar Tiere, aber es ist kein Tierversuch.’ Ich habe da keine Meinung zu und möchte das nur moderieren. Die TierrechtlerInnen und ForscherInnen sollen das aber unbedingt ‘mal zu Ende diskutieren.
 


Mit großem Dank an Katrin Luber für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.