„Wir irren uns empor, schon immer“

Interview mit Dr. Mark Benecke, Kriminalbiologe und Virenaufklärer für Anfänger

Quelle: Lausebande: Das Familien- und Eltern-Magazin, März 2021 (3/2021), S. 34—37

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Mark Benecke gehört zu den wenigen Experten, mit denen man sich auch als Laie samt Whisky gern an einen Kamin setzen und verständlich über Raketenwissenschaft plaudern möchte. Seit 20 Jahren zählt er international zur Exzellenz in der wissenschaftlichen Forensik und ist heute Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren. Er war schon beim FBI auf Spurensuche, untersuchte Hitlers Schädel, ist nebenher Vorsitzender der Transsylvanischen Dracula-Gesellschaft und Mitglied im Kommitee des Nobelpreises für kuriose wissenschaftliche Forschungen. Kurzum: ein cooler Typ, der echt was auf dem Kasten hat.

Als Deutschland im März 2020 mit dem ersten Lockdown überfordert war und quasi erstarrte, begab er sich auf eine neue Mission. Seitdem klärt er in seinem Videoblog unter www.virusonline.de garantiert fremdwortfrei rund um Viren und die Pandemie auf. Zusammen mit seiner Frau und Soziale-Medien-Nerdin Ines nimmt er Nutzer mit in die Welt der Wissenschaft und beantworten Fragen rund um das Kronzacken-Virus, Hygiene, das Immun-System und soziale Handlungen. Im Sommer folgte sein Buch „Viren für Anfänger“, das inzwischen in vier Auflagen erschienen ist. Gründe genug, mit Dr. Mark Benecke über die anhaltende Pandemie zu sprechen.

Ihr Buch „Viren für Anfänger“ beantwortet 180 Fragen rund um Viren und SARS-CoV-2 und erschien im Sommer 2020. Wie viele Fragen bekommen Sie jetzt noch – und wäre es nicht Zeit für ein zweites Buch?

Wir sind jetzt wegen der schnellen Änderungen — etwa der neuen Viren-Sorten — komplett auf Video umgestiegen. In den kommenden Monaten wird es noch ein paar Überraschungen geben...

Das Buch war wirklich für Anfängerinnen und Anfänger gedacht. Es war der Startschuss, und was drin steht, stimmt auch noch. Wer es gelesen hat, stellt uns künftig Fragen, die wir beantworten können: Solche, zu denen es Studien gibt.

Mit virusonline.de zählte Ihr Kanal zu den ersten verständlichen Informationsquellen rund um Viren und Pandemie – was hat ein Kriminalbiologe eigentlich mit Viren zu tun?

Ich habe im Beruf viel mit Panik, Wahnsinn, Einbildung und Tod zu tun. Da ich Viren als Biologe nebenbei ganz verrückt finde — sie leben ja nicht richtig, sind aber auch nicht ganz tot, eher wie wild gewordene Informations-Stückchen —, kam da zusammen, was zusammengehören konnte. Oder wollte. Oder sollte.

Was sollte jeder Mensch über Viren wissen?

Es gibt ein ewiges Ringen der Lebensformen. Ist halt so.

Wissenschaftler warnen seit Jahren vor einer nahenden Pandemie, hat Sie dieser weltweite Ausbruch überrascht?

Nö, meine Frau und ich haben schon seit Jahren gewettet, was schneller passiert. Ich hatte auf klimabedingte Wirtschafts- und Kultur-Zusammenbrüche getippt oder einen fetten Vulkan-Ausbruch, sie auf einen Meteoriten-Einschlag.

Das mit dem Klima ist schon passiert, es interessiert aber kaum jemanden so, dass er oder sie auch sein oder ihr Leben ändert.

Es gibt unzählige Fake News über die aktuelle Pandemie, woran erkennt man auch ohne kriminalistische Expertise seriöse Informationsquellen? Haben Sie dafür eine Anleitung?

Ja, einfach nach Studien schauen. Ich helfe dann dabei, ihre Güte zu prüfen.

Meine Frau, die viel mehr Unsinn liest, da sie die Schreiben in den sozialen Medien beantwortet (ich nur E-Mails) und ich haben aber dasselbe bemerkt: Alleine die Frage nach einer wissenschaftlichen Studie führt in (wirklich) fünfundneunzig Prozent der Frage-Fälle dazu, dass die Frage auf einmal „nicht so gemeint“, „nicht so wichtig“ oder „eigentlich ja eh klar als verdrehte Angabe erkennbar“ war.

Klappt echt, kein Scherz.

Aktuell wird unentwegt über Mutationen gesprochen, sollten wir nicht froh sein, dass das Virus mutiert und sich damit zunehmend an den Menschen anpasst und schneller harmlos werden dürfte?

Schön wäre es... es gibt wie bei Masern oder Pocken auch Krankheiten, die sich nicht so gut „angepasst“ haben und uns ohne Impfstoffe in kürzester Zeit als moderne Menschheit umbrächten.

Für Forschung an Viren gab es die wohl meisten Nobelpreise, welches Problem würden Sie da gern lösen?

Oh, ich weiß nicht, wofür es die meisten Nobelpreise gab. Mir reicht es, dass ich als kleinstes Fischlein im Teich mitschwimmen und das Wasser für alle im selben Gewässer ein bisschen klarer machen darf.

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Die Weltbevölkerung wächst weiter rasant, Menschen durchdringen Lebensräume virentragender Tiere mit zunehmender Beschleunigung. Allein Coronaviren führten 2003 und 2012 zu Ausbrüchen mit internationaler Verbreitung, ist da die nächste Pandemie im kommenden Jahrzehnt nicht bereits vorprogrammiert?

Ist sie, jau. Auch, dass wir im größten Artensterben leben, seit es Menschen auf der Erde gibt, stimmt. Und dass im Jahr 2050 Hamburg, Bremen, größere Teile der Niederlande und Bangladeschs unter dem Meeresspiegel liegen werden.

Was können wir selbst beitragen, um Pandemien zu verhindern?

Was sofort, heute, buchstäblich im selbem Augenblick wirkt: Nie wieder ein Tierprodukt verwenden. Das gibt mindestens drei Viertel des Landes und Wassers wieder frei und "die Natur" kann wieder in Ruhe ihr Ding machen.

Es ist sehr, sehr einfach. Danach können wir bis 2035 oder 2050 auf Kreislaufwirtschaft umstellen und der Rest klappt dann schon.

Da aber schon Schritt eins offenbar zu viel verlangt ist, obwohl das Auto mit dreihundert Stundenkilometern gegen die Wand rast: Maske tragen und Hände waschen.

Sie sind Teil der internationalen Wissenschaftscommunity, gibt es dort so ein krasses Meinungs-Wirrwarr oder werden die Erkenntnisse durch die Medien einfach nicht richtig wiedergegeben?

Ich weiß nicht, was mit „die Medien“ gemeint ist. Die wissenschaftlichen Zeitschriften, die ich lese, funktionierten angenehmerweise so, wie Wissenschaft schon immer klappt: Alle Zahlen vorlegen, offen drüber reden, Versuche machen anstatt zu schwätzen, etwas daraus lernen und dann den nächsten Schritt in derselben Weise machen. So geht es immer weiter in die richtige Richtung.

Ich finde das nicht verwirrend, sondern angenehm. Wir irren uns empor, schon immer — wir lernen also ohne Gelaber, sondern durch Messungen, was falsch ist und machen es dann besser.

In China oder Taiwan herrschen sehr strenge Seuchenschutzmaßnahmen, einschließlich der Handydatenaufzeichnung – wünscht man sich als Wissenschaftler ein bisschen mehr chinesische Verhältnisse in Deutschland?

Naja, wir haben ja nicht so viele krass besiedelte Millionenstädte in Deutschland wie in China... vielleicht klappt unsere Lösung auch. Das laufende Experiment wird's zeigen.

Wie sieht aktuell das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Staat in unserem Land aus, werden wir das nächste Mal besser vorbereitet sein?

Ich finde, wir waren gut genug vorbereitet. Wir haben super Seuchenforscherinnen und -forscher in Deutschland, schon immer. Zum Glück haben wir eine promovierte Kollegin als Kanzlerin, mehr kann kein Mensch verlangen. Bisher ist es sehr glimpflich abgelaufen. Bei der amerikanischen Grippe sind die Pflegekräfte beispielsweise einfach reihenweise zusammengebrochen und gestorben, das ist jetzt noch nicht so lange her.

Man sagt, dass Schmutz für Kinder gut zur Entwicklung des Immunsystems ist. Ist da was dran? Und wenn ja: Kann dann ein zu hygienischer Alltag dem Immunsystem schaden und Viren in die Kronzacken spielen?

Ein schönes Wortspiel, gefällt mir. Ja, zu saubere Umgebungen erlauben es dem Immunsystem nicht, zu trainieren. Es ist wie rumhocken: Das ist in etwa so schädlich wie Kette rauchen. Uff!

Beim Immunsystem kommt aber dazu, dass auch eine vernünftige Ernährung (ja, ich meine einepflanzliche), ausgewogene Gewohnheiten, genug Schlaf und sogar gute Zähne dessen Stärke heben (kein Witz, auch schlechte Zähne schlagen auf den Körper, besonders das Herz).

Aktuell gibt es eine immense Aufmerksamkeit für die Themen Viren und Impfen, wie kann man dieses besondere Zeitfenster nutzen, um die Bevölkerung bei zunehmender Impfmüdigkeit besser aufzuklären?

Ich wusste gar nicht, dass die Impfmüdigkeit zunimmt, mir schien es bis gerade eben eher umgekehrt zu sein. Hast Du eine wissenschaftliche Studie dazu (zwinker zwinker)? Zur Aufklärung: Die Kids lachen doch schon ihre Eltern aus. Wir brauchen nur warten.

Die nächste Generation hat längst gerafft, was richtig ist. Gut fände ich, wenn mehr Forscherinnen und Forscher regelmäßig völlig ohne Fremdworte reden und ihre Forschung erklären würden. Das würde sehr viel bringen. Zumindest hat es uns den größten deutschsprachigen Video-Kanal zum Thema ermöglicht, natürlich werbefrei und gratis.

Nachrichten zu einem universellen Impfstoff von Distributed Bio – vorerst gegen Influenza – sorgten zum vergangenen Jahresbeginn für einen Hoffnungsschimmer, Sie selbst berichten auf ihrem Kanal über SpyCatcher-Impfstoffe – ist ein Allheilmittel gegen Viren in Sicht?

In direkter Sicht vielleicht nicht, aber durch die genannte Technik und ein paar weitere, die hammermäßige Vereinfachungen der Labor-Arbeit ermöglichen, könnte es schneller gehen als erwartet. Das Wissen, das wir im Moment anwenden, stammt zu grob geschätzt neunzig Prozent aus den letzten Jahren. Es geht also wirklich sehr schnell voran.

Eine letzte Frage an Sie als Deutschlands bekanntestem Insektenliebhaber: Können wir für die aktuelle Situation auch etwas von Schaben, Milben & Co. lernen?

Können wir immer, egal, in welcher Lage: Wir sind alle nur Gäste mit einem einzigen Spiel-Durchgang auf der Erde. Schaut euch eure Mitspielerinnen und Mitspieler an, eine zweite Gelegenheit kriegt Ihr nicht.


Mark Benecke: VIREN FÜR ANFÄNGER

Die wichtigsten Fragen und Antworten zu Corona

Deutschland fragt, Dr. Made antwortet: War und ist die Angst vor Corona berechtigt? Wie kann ich Desinfektionsmittel selbst herstellen? Wie kann ich mich vor Viren schützen? Wie sinnvoll sind Masken wirklich? Was bedeutet eigentlich Herdenschutz? Fragen über Fragen, die Dr. Mark Benecke, der bekannteste Kriminalbiologe Deutschlands, verständlich und fachkundig beantwortet.

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