Insekten als Nahrungsmittel der Zukunft?

Quelle: Veganliebe

Dr. Mark Benecke im Interview

Dr. Mark Benecke ist ein deutscher Kriminalbiologe, Spezialist für forensische Entomologie und bekennender Veganer. © Meike Poese

Am vergangenen Dienstag sorgte die Verkündung der neuen EU-Zulassung von Grillen und Larven des Schimmelkäfers als Nahrungsmittel für jede Menge Aufruhr. Acht weitere Anträge für Insektenprodukte werden zudem aktuell geprüft. Zwar dürfen Mehlwürmer und Heuschrecken bereits seit 2021 in der EU verarbeitet werden, dennoch sorgt der neue Vorstoß bundesweit für zahlreiche, zum Teil kontroverse, Diskussionen.

Während die Fleischindustrie vermutlich große Hoffnungen hegt, endlich dem moralischen Dilemma der herkömmlichen Massentierhaltung zu entkommen, befürchten manche Verbraucher:innen, dass ihnen ihr Schnitzel, Steak und Co. nun endgültig und im wahrsten Sinne des Wortes “madig” gemacht wird. Wieder andere Menschen überlegen, ob Fleisch aus Insekten womöglich aus ethischen und ökologischen Gesichtspunkten die bessere Wahl zu Fleisch von Kuh, Schwein und Huhn sein könnte. Wir wollen Licht ins Dunkel bringen und haben den renommierten Kriminalbiologen und forensischen Entomologen Dr. Mark Benecke zu seiner Sicht auf die Debatte befragt. Der auch als “”Herr der Maden” bekannte Wissenschaftler begeistert mit seinen Vorträgen und Publikationen rund um Bakterien, Blutspuren und Insekten Menschen in der ganzen Republik und darüber hinaus. Er engagierte sich bereits mehrfach für Kampagnen der Tierschutzorganisation PETA und lebt selbst vegan.

Lieber Mark,

Die neue EU-Zulassung von Grillen und Schimmelkäfern als Nahrungsmittel eröffnet völlig neue Möglichkeiten für die Lebensmittelindustrie: Sind Insekten das Nahrungsmittel der Zukunft?
Nein, jede Art der Mono-Kultur bewirkt nichts als zerstörte Lebensräume. 

Weniger Treibhausgase, weniger Wasser- und Flächenverbrauch: Die Insektenzucht gilt als deutlich klimaschonender als herkömmliche Massentierhaltung. Sind Insekten die Lösung für die Klimakrise?
Pflanzen zu essen ist ein wichtiger Teil der Lösung. Ich habe jetzt alle angeblich “harmloseren” Techniken mit erlebt, von Rindern zu Hühnern und Puten, dann zu Fischen und jetzt zu Insekten. In allen Fällen wurde unnötig Land und Wasser verbraucht. Und obendrein mussten jede Menge Medikamente eingesetzt werden, um die unnatürlichen “Farmen” zu erhalten. 

Insekten sind zwar häufig in großen Schwärmen anzutreffen: Doch ist es überhaupt ohne Weiteres möglich, sie in Massen zu züchten?
Klar, wenn du genug Heiz-Energie, Medikamente, Reinigungs-Mittel, Wasser, Landfläche und Gifte verwendest, geht das sicher. 

Welchen Einfluss könnte aus Deiner Sicht die Zucht von Insekten auf das weltweite Insektensterben haben?
Dasselbe wie alle Massen-Zuchten: Es wird erneut Wasser und Lebensraum verbraucht, den die frei lebenden, “wilden” Tiere benötigen. Und wir Menschen auch. 

Ein berühmtes Zitat vom Philosophen Jeremy Bentham, das in zahlreicher veganer Literatur auftaucht, lautet: „Die Frage ist nicht: Können Tiere denken oder sprechen? Sondern: Können sie leiden?“ Können Insekten Schmerz empfinden?
Das bezweifelt hoffentlich niemand ernsthaft. Meine Fauchschaben können sogar lernen, wann ich komme, wann sie nix zu essen kriegen werden und wer in welchem “Häuschen” im Terrarium wohnt. 

Sind Insekten als Nahrungsmittel aus Deiner Sicht eine bessere Wahl als herkömmliches Fleisch?
Nein, es werden dadurch haargenau dieselben Schwierigkeiten wie bei allen Massen-Zuchten auftreten. Das ist auf der einen Seite eine charmante Ablenkung davon, dass wir keine Tiere mehr verwenden können und sollen und auf der anderen Seite eine “sexy” Geschäfts-Idee. Ich beschäftige mich seit über 25 Jahren damit, habe in China den Nachtmarkt mit Insekten und anderen Gliedertieren als Nahrung besucht, meine Kollegen aus New York und anderswo bei Insekten-Buffets beobachtet und kürzlich erst auf einer großen Konferenz der Insekten-als-Nahrung-Züchter:innen gesprochen. Es war mal eine nette Idee, als die Erde noch nicht ausgelaugt war, aber jetzt müssen wir mal auf Ernst schalten und wirklich etwas tun, anstatt immer nur halbherzige Tricksereien anzuschieben. 

Vielen Dank für die spannenden Einblicke, lieber Mark!

Unser Fazit: Auch wenn die Lebensmittelindustrie immer wieder neue scheinbare Innovationen präsentiert, müssen wir uns als Konsument:innen darauf gefasst machen, dass nur der Wandel unseres Lifestyles hin zu einer pflanzlichen Ernährung und Lebensweise wirklich etwas bewirken kann. Die Ressourcenknappheit unseres Planeten erlaubt es uns nicht länger, Tiere in Massen als Nahrung zu züchten und damit wertvolle Flächen und begrenzte Rohstoffe zu verschwenden. Auch moralisch ist der Wandel hin zu einer insektenbasierten Ernährung kein wirklicher Fortschritt. Wer mehr über Insekten sowie die Arbeit und den Menschen Mark Benecke erfahren möchte, schaut am besten auf seiner Website vorbei! Außerdem empfehlen wir euch noch diese spannenden Online-Vorträge “Was Tiere können Affen, Fische & Insekten — alle cool & zauberhaft”, “Messungen und Tatsachen zum Sterben der Arten”sowie “Time is Up!”.


Und am Ende essen wir Maden

Die Zeit 2020


Letzte Generation

Interview, Teil 1


Letzte Generation

Interview, Teil 2


Warum Insektenessen keine gute Idee ist

Interview mit Mark


Warum wir keine Insekten essen sollten

PeTA, 2019


Insektenplage? Wir haben ein ganz anderes Problem

t-online, 2023