2014 09 Taetowiermagazin: Zusammen ein Ganzes
Quelle: Tätowiermagazin 09/2014, Seite 144
Kolumne mit Mark Benecke
Eine schwerstens rauschende Nacht in Berlin. An der Theke erspähe ich zwei tätowierte Ladys, die wie zusammengeschweißt wirken - zeit für einen Drink. Julia und Sandra heißen die beiden und gehen gemeinsam und tätowiert seit zehn Jahren durch dick und dünn. »Ich war Azubi im Service eines Hotels«, berichtet Sandra, »und Julia war meine Vorgesetzte. Später hat sie eine Ausbildung gemacht. Da war ich dann ihre Vorgesetzte.« Die beiden Arbeitskolleginnen entdeckten während ihres abwechselnden Chefin-Seins ihre ähnlichen Interessen, darunter Tattoos. So weit, so normal (zumindest in der Hauptstadt). Doch dann passierte etwas, was unsere beiden Ladys endgültig zusammenbrachte.
»Die tätowierten Flügel auf meinem Rücken stehen für meinen Schutzengel«, erklärt Julia. »Ich habe einen angeborenen Herzfehler und musste notoperiert werden. Dabei ging so viel Blut verloren, dass ich an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden musste.« Da alles sehr schnell ging, wusste niemand wo Julia war. Auch Sandra nicht.
»Ich hab wochenlang auf einen Anruf von Julia gewartet«, erzählt Sandra. »Irgendwann hab ich gesagt, jetzt reicht es. Ich wusste, dass sie auf einer Herzstation liegen muss und Julia Willmann heißt.« Wo ein Wille ist, ist ein Fernsprecher: Sandra telefonierte kurzerhand alle Berliner Hospitäler ab. Datenschutz? Haha. »In einem der Krankenhäuser«, berichtet Sandra, »haben sie gesagt ›Frau Willmann ist hier, aber sie kann jetzt nicht‹.« Kein Wunder, Julia war ja gerade erst beim Sensenmann scharf um die Klinge gelaufen. Sandra machte sich sofort auf den Weg. »Im Krankenhausflur kam mir Julia mit Tränen in den Augen entgegen«, erinnert sie sich sichtlich bewegt. »Sie sah schlimm aus, war nicht wiederzuerkennen, fix und fertig, nicht mehr mein Julchen!«
Seit diesem Tag sind unsere Tattoo-Engel unzertrennlich. Im Hotel, in dem sie arbeiten, schreiben sie selbst die Dienstpläne. So können sie viel Zeit miteinander verbringen, sowohl auf der Arbeit als auch nach dem Dienst.
Neulich haben sich Julia und Sandra ein Partner-Tattoo stechen lassen: Ein Kreis, der sich über beide Körper zieht und in dem steht »Ich folge dir, du folgst mir«. Der Kreis schließt andere Freunde nicht aus. »Diese vier Schmetterlinge«, sagt Sandra, «stehen für meine Mama, meinen Papa, meine Schwester und meinen Neffen. Und die Elfe, das bin ich. Denn ich wache über meine Familie, beschütze sie und achte wie eine Elfe auf sie.«
Nur einen Wermutstropfen gibt es. »Wenn Sandra und ich uns mal anzicken«, sagt Julia, »kann das ausarten. Erstmal reden wir dann für so ein paar Stündchen nicht mit- einander. Aber eine von uns sagt dann was Witziges, und am nächsten Tag ist der Streit vergessen.«
Fürsorge, Liebe, Güte und ein bisschen Zuckerguss ... Peace, my darlings, so geht das.
Finden zumindest die euren –
Marky Mark & die Hotel-Ladys