Wie eine Feder im Wind«
Kolumne mit Mark Benecke (2014 08)
Von Mark Benecke
Bei einem PodcasterInnen-Treffen über Geister, Großstadtlegenden und Grusel fiel mir die vergleichsweise wie aus dem Ei gepellte Sandra auf. Sie stammt aus einem winzigen, erzkatholischen Bauerndorf; jetzt arbeitet sie bei einer großen Finanzfirma. Neben festen Überzeugungen hat sie ein kleines Geheimnis: Eine tätowierte Feder an der Hüfte.
»Das hat einen gewissen erotischen Touch«, berichtet mir Sandra, »denn ich weiß immer, dass die Leute nicht alles von mir sehen. Das ist für mich nett und birgt Überraschungen für manche Herren.
Natürlich ist die Feder ein Girlie-Tattoo. Das war mir aber damals – und es ist mir auch heute noch – egal. Ich gehe mit der Tätowierung eh nicht hausieren. Das wirkt dann ja so, als würde man angeben wollen. Obwohl ein Tattoo überhaupt nichts Spezielles mehr ist heutzutage. Das war es vielleicht früher für die Hafenbrüder.
Die Hüfte ist eine gute Stelle. Am Rücken wäre das Tattoo doof gewesen, weil ich es ja selbst auch sehen möchte. Und ich habe die Veranlagung, dass ich nicht sehr zunehmen werde.
Zweitens werde ich nicht schwanger werden: Schon mit elf – ganz bewusst mit 15 oder 16 – habe ich beschlossen, dass ich meine Arthritis nicht vererben möchte. Ich war in einer guten Klinik und dort haben die Ärzte natürlich auch angesprochen, wie die Chancen zur Vererbung stehen.
Wegen meines Finanzberufs brauche ich das Tattoo nicht zu verstecken. Auch wenn das mancher Tätowierte nicht gerne hören möchte oder Menschen, die sich vielleicht sehr cool damit vorkommen, dass sie Tattoos haben: Vor allem im Finanzdienstleistungssektor haben sehr viele Menschen Tätowierungen. Da sind teilweise richtig schöne Sachen dabei.«
Okay, aber warum nun die Feder? »Ich habe drei Jahre in München meine Ausbildung zur Bankkauffrau gemacht«, erklärt mir Sandra einige Wochen später beim Italiener meines Vertrauens. »Das war eine megageile Zeit, aber ich würde nicht zurück wollen. Gegen Ende der Ausbildung saßen eine Mit-Auszubildende und ich im Englischen Garten am chinesischen Turm und tranken eine Halbe. Für uns beide war die Zeit schön, wenn auch nicht immer leicht. Trotzdem sind wir wie Federn im Wind durch die drei Jahre hindurchgeschwebt. Das Bildnis hat einfach gepasst. Meine Freundin hat sich das Tattoo allerdings nie stechen lassen.«
Ein Sahnehäubchen gibt’s auch noch. »Schon als junges Mädchen war ich im Schützenverein und bin es jetzt in Köln wieder«, ergänzt Sandra zu meiner Überraschung. »Denn ich finde es wichtig, dass man, wenn man irgendwo hinzieht, für sich persönlich die Stadt kennenlernt und nicht nur jeden Freitag feiern geht. Man wächst ja nicht daran, wenn einem jemand immer das sagt, was man denkt, bereits zu wissen. Im Schützenverein findest du ein Gemisch: Rentner, Hauptschüler ohne Quali bis zu studierten Architekten – einfach alles. Ich werde Köln sicher nicht kennenlernen, wenn ich mich von fünf Typen beim Weggehen einladen lasse.«.
Tja – vielleicht sind Tattoos wirklich schon das Normalste von der Welt geworden und weiter verbreitet, als ich dachte. Nur die Entscheidung gegen einen Umtrunk mit fünf volltätowierten Ladys und für ein gepflegtes Vereinsleben dürfte dann doch mehr Willensstärke erfordern, als ich sie habe.
Schaunwermal!
So wie Eure:
Dr. Doom & Sandra