Ziemlich beste Freunde (Tätowiermagazin)

Quelle: Tätowiermagazin 04/2012, Seite 144
Kolumne mit Mark Benecke

Von Mark Benecke

Ahoi! Diese Seite im TM soll in Herbert Hoffmanns Geist von Tätowier-Freundschaften handeln. Manche sind verrückt, andere entzückt oder verzwickt - aber manchmal sind sie auch einfach, klar, gerade und daher besonders eindrucksvoll.

Solch eine - nicht nur Tattoo-, sondern sogar wirklich tätowierte - Freundschaft begegnete mir an einem der merkwürdig warmen Tage dieses Winters. Gerade schneite ich bei meiner Tattoo-Kumpeline Ewa in ihrem Berliner Studio hinein, als sofort vergessen war, worum es ging. Denn erstens stand gleich (und durch Zufall) eine Fotografie-Studentin vor mir, die spannende Bilder von Tätowierten für ihre Schule machte. Zweitens verfolgten mit einem ganz ungewöhnlichen, irgendwie stolzen Gesichtsausdruck zwei Personen auf der Wartecouch das Geschehen im Laden. Doch drittens guckten sie gar nicht auf das kreative Chaos, sondern äugten auf den Mann, der unter der Nadel lag. Ich schlich zu ihm hin.

Schau einer an: Das war keine Blume, kein Hundekopf, kein Tribai, keine Eule und kein Koi - da entstand ein Herrengesicht auf seinem Rücken. Irgendwie ähnelte es in seinen ersten Lines verdächtig dem netten Menschen, der mit seiner Gattin auf der Couch saß. Huch? »Das kam so«, berichtet Gesichts-Geber Andy. »Wir haben dieses Jahr alle zusammen Weihnachten gefeiert. Da berichtete mir David, der jetzt unter der Nadel liegt, dass er eine Überraschung für mich hat. Er würde sich mein Porträt tätowieren lassen ... Meine Frau Alex und ich waren erst sprachlos. Und dann stolz wie Bolle!«

*© Tätowiermagazin

Tätowiermagazin

Kennengelernt haben sich Andy und David, als ersterer als DJ in einer Disco auflegte. Im sei ben Laden spielte David gerade am Automaten. Als Andy aber für David zwanzig Cent in den blechernen Banditen warf, geschah ein kleines Wunder: Die Maschine spuckte sich alle Münzen aus ihrem rechteckigen Metall-Körper.
»Ich habe mich riesig gefreut und Andy vom dicken Gewinn einen Obolus von zwanzig Euro übereignet«, berichtet David so gut es geht unter Tätowiermaschinen-Vibrationen.

»Seit diesem Tag haben wir uns jedes Wochenende in der Disco getroffen und wurden sehr gute Freunde. Ich mache gerade eine schwere Lebens-Phase durch, und da ist Freundschaft das Wichtigste. Anfang Dezember kam mir dann die Idee zum Tattoo. Dass Andy immer für mich da ist, wollte ich einfach in Erinnerung behalten. Und jetzt ist es so weit.«

Doch was sagt Andys Ehefrau Alex dazu? Ist sie nicht ein bisschen eifersüchtig? »Kein bisschen. Ich finde das toll und bin gerne hierhin mitgekommen«, meldet sie sichtlich erfreut. Man sieht den dreien ihre Aufregung und Freude wirklich an. Welche schweren Zeiten David erlebt hat, habe ich angesichts dieser wunderschönen Szene nicht gefragt. Vermutlich ging es David ähnlich, und er vergaß einen Teil seines Kummers. Ein Tattoo kann eben auch Wunden heilen.

Bei so viel Gutem wunderte es mich dann schon fast nicht mehr, als auch noch eine Cocktailkirsche auf dieser sahnesüss-coolen Geschichte landete: Andy hat kürzlich einen Job als LKW-Fahrer in der Firma bekommen, in der auch sein bester Freund David arbeitet. Wie schön, dass es wenigstens manchmal wirklich zurecht heißt: Ende gut, alles gut. In diesem Sinne und im Namen aller tintenen Verbindungen - Marky Mark

PS.: Ach ja - Andy und Alex wurden am Ende natürlich auch noch inspiriert: Sie überlegen, ob sie sich nachträglich Ehe-Ringe stechen lassen ...