Quelle: Tätowiermagazin 05/2012, Seite 144
Kolumne mit Mark Benecke
Von Mark Benecke
Im Frühling erblühen nicht nur Krokusse, Maiglöckchen und Gefühle, sondern derzeit auch die »neuen« Bundesländer. Allerdings nicht immer genau da, wo man's erwartet hätte: beispielsweise im winzigen Örtchen Grünhain. Das liegt im Erzgebirge, wo große Sprachfrische herrscht (»schworzesforbsch« bedeutet etwa »schwarz ist farbig«), die Häuser mit frischem Schiefer gedeckt sind, selbst kleinste Sträßchen die Qualität einer Formel-1-Piste haben und die Grundstückspreise erschwinglich sind. O-Ton eines Wessis: »Watt? Datt janze Haus hat
ja wenijer jekostet als mein Rückspiejel!«
Die hervorragenden örtlichen Voraussetzungen nutzten meine Freunde Silke und Micha von Needle Art Tattoo und legten daher an diesem unwahrscheinlichsten Eck Deutschlands den Grundstein erstens für ihr teleportiertes Tätowier-Studio sowie zweitens das erste deutsche Tattoo-Museum.
Natürlich hatten die beiden wie ich zuvor Hanky Pankies edle Museums-Hallen in Amsterdam besucht. Aber das erzgebirgische Gegenstück wird anders. Zwar ist Micha wie Henk Schiffmacher ein Tätowierer der ältestmöglichen Schule, kennt Gott und die Welt und hat schon manches Abenteuer hinter sich, darunter je einen Tätowierladen in Eberswalde und Berlin, wo wir zuletzt mit Nico Geld für Japan sammelten.
Aber Micha ist weniger brummelig als sein niederländischer Kollege, und er dürfte auch täglich im Museum anzutreffen sein. Schließlich arbeitet er ja darin.
Während ich also gerade tätowiert wurde, fand live die erste Übergabe bizarrer Sammlungs-Stücke statt. Thomas Helbeck, Chef mehrerer NRW-Tätowierläden, war eigens quer durch Deutschland gebraust, um seinem Kumpel Micha nicht nur einen Satz originaler Bambusstangen zum Handtätowieren, sondern auch eine aus einem Knast konfiszierte Tätowiermaschine für die Ausstellung zu schenken. Das Coolste daran: Es sind Thomas' eigene Stäbe! Er tätowiert nur von Hand aber nicht auf exotischen Inseln im Meer, sondern im betongrauen Düren.
Da Thomas auch einer der ersten Piercer Deutschlands war - Hinweis: damals waren Zungenpiercings noch ein Sexspielzeug aus der Subkultur -, spendierte er dem Museum auch gleich noch seinen Ursprungs-Satz historischer Piercingzangen. Wir Jungs rätselten, wozu die Dinger wohl noch früher mal gedient haben könnten, seine Frau Manuela und Silke wussten es hingegen nach einem kurzen Blick sofort: Gynäkologische Werkzeuge ... mit Schaudern zu bestaunen im erzgebirgischen Tattoo-Museum, sobald es Ende des Jahres fertig ist.
Vor lauter tollen neuen Sachen hatte ich ganz vergessen, mir anzusehen, was Micha mir derweil auf's Bein hackte. So entstand der krönende Abschluss des Abends: Es ist ein Löffel Hirn mit Maden drauf. Eine weitere Reise mit neuem Tattoo, neuen Erkenntnissen und vor allem: neuen, tätowierten Freunden.
Aus dem wilden Osten der Eure,
Marky Mark a.k.a. Dr. Doom