KOLUMNE: Wie entsteht Hass, Dr. Mark Benecke?

ZIMMER EINS — Das Patientenmagazin, Heft 2/2019, S. 9

Hier schreibt Dr. Mark Benecke, warum Hass nicht das Gegenteil von Liebe ist — und was er in seiner Arbeit als Forensiker über Gewaltverbrecher gelernt hat.

Der Ursprung von Hass liegt oft in der Kindheit. Menschen, die in jungen Jahren keine Geborgenheit erfahren, lernen, nur an sich selbst zu denken, und bauen keine sicheren Bindungen auf. So können sie mit ihren Mitmenschen nicht sinnvoll und erfüllend in Kontakt treten. Ihr unbefriedigtes Bedürfnis nach Nähe und Liebe verwandeln sie später oft in etwas Zerstörerisches: Hass.

Wer hasst, erwartet von seinen Mitmenschen eine Rückmeldung. Deshalb ist Hass für mich auch nicht das Gegenteil von Liebe. Es ist eher Liebe minus Faktor X. Beide Emotionen sind sehr ähnlich. Sie sind stark und haben einen Empfänger — einen anderen Menschen, eine Kultur oder Lebensweise. Der große Unterschied: Beim Hass geht der Kontakt nicht mit Freundlichkeit und Neugierde einher, sondern mit Ablehnung und Verwüstung. Nicht umsonst sagt man, ein Mensch sei blind vor Wut.

Hass verengt den Blickwinkel vollends und schließt andere Meinungen aus. Einer derart verengten Sichtweise zu begegnen, ist schwierig. Es hilft, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen und den anderen auch dazu zu ermutigen. Gegenseitiges Verständnis kann Hass abbauen, getreu dem Sprichwort „Alles verstehen heißt alles verzeihen".

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Als Vorbild empfinde ich alle Menschen, die Gewalt ablehnen und sich in andere hineindenken, bevor sie handeln. In meiner Arbeit als Forensiker habe ich gelernt, dass es den berechnenden, gefühllosen Täter nur selten gibt. Viele, die unmenschlich erscheinende Verbrechen begehen, sind Bürokraten oder hatten eine harte Kindheit ohne Liebe und Nähe. Die scheinbar eiskalte Tat ist oft eine Folge verletzter Gefühle. Ich halte daher viel davon,

alle Täterinnen und Täter nach ihrer Meinung zu fragen und ihnen zuzuhören. Man muss sie nicht mögen. Aber mithilfe der Originalquellen lässt sich wenigstens ergründen, wie Hass entsteht und wie wir ihm vorbeugen können.

Rache macht die Welt nicht sicherer. Im Gegensatz zum Eindruck, den manche Berichte erwecken, nimmt Hass in unserer Gesellschaft ab — zumindest, wenn man ihn an der Zahl der Gewaltdelikte misst. Gleichzeitig üben schwere Verbrechen eine seltsame Faszination aus. Derzeit gibt es viele True-Crime-Magazine und Krimis, die sich ganz offen mit Gewalttaten und -fantasien beschäftigen.

Manche Menschen setzen ihre eigenen Taten oder schlimme Erfahrungen dazu in Bezug: Im Vergleich zur Mörderin oder zum Mörder ist man meist der Gute, und im Gegensatz zu einer Mordserie wirkt das eigene Leid manchmal kleiner.

ZUR PERSON

Dr. Mark Benecke

Seit mehr als 25 Jahren ist der „Herr der Maden" als wissenschaftlicher Forensiker zum Beispiel im Bereich der Insektenkunde aktiv. Er ist Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren und untersuchte unter anderem Adolf Hitlers Schädel. Er veröffentlicht Artikel, Sach- und Kinderbücher und entwickelt Experimentierkästen. In seinen Vorträgen geht er gemeinsam mit dem Publikum auf Spurensuche.


Kriminalbiologe über die dunkle Liebe

BZ | 2010