Welche Spätfolgen kann Schlafentzug für uns haben

Quelle: bildderfrau.de (online) vom 16. Dezember 2016

SchlafstörungenWelche Spätfolgen kann Schlafentzug für uns haben?

VON VERA LAUMANN

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Im Kinofilm SHUT IN kämpft Naomi Watts mit den verheerenden Folgen von Schlafstörungen. Wir sprachen darüber mit dem Kriminalbiologen Mark Benecke.


bildderfrau.de: „Shut in“ ist ein Film mit viel Spannung: Warum erleben wir manchmal so spannende Dinge im Traum?

MB: Träume könnten uns helfen, Erlebnisse einzuordnen, abzuspeichern und auszusortieren. Ganz genau weiß es aber niemand. Es gibt sogar ForscherInnen, die meinen, dass der Traum nur eine Art sinnloser Leerlauf der Gehirns ist. Bei manchen ist der Leerlauf offenbar sehr aufregend.


Wie lange kann man wach bleiben?

Im Krieg wollen Soldaten vier Tage und Nächte wach geblieben sein, aber wer soll das prüfen…es gibt ja Sekundenschlaf und Dämmerzustände. Ratten sterben nach etwa zwei Wochen kontrollierten Schlafenzuges (Die Tiere konnten in den Experimenten dazu sicher nicht schlafen: Sie waren auf einer Drehscheibe und die Gehirn-Aktivität wurde aufgezeichnet, Befund der Uni Chicago).

Bei schweren Erkrankungen wie dem Morvan-Syndrom kommen bei Menschen monatelange Zeiträume ohne echten Schlaf vor. Leidet man an der tödlichen familiären Schlaflosigkeit (eine Krankheit mit Gehirn-Zersetzung durch Viren), so schläft man bis zu dreißig Monate nicht und stirbt dann.


Warum ist Schlaf so wichtig?

Unbekannt. Es könnte dem Energiesparen dienen, dem Gedächtnis-Umbau oder eine Ruhezeit für den Aufbau und die Pflege von Muskeln und Nerven. Sicher ist, dass er nötig ist, denn die Evolution hat die Wirbeltiere begünstigt, die schlafen.


Welche Symptome treten beim Schlafmangel auf?

Der Stoffwechsel gerät durcheinander, man wird niedergeschlagen und es kann zu Trugbildern kommen.


Kann Schlafentzug auch Spätfolgen haben?

Naja, man stirbt früher oder später. Entweder durch den Zirkus im Stoffwechsel, vor allem bei den Kohlenhydraten und bei den Stresshormonen, aber auch durch “Auszehrung”. Oder, ganz praktisch, dadurch, dass lange übermüdete Menschen mit dem Auto oder Flugzeug gegen einen Baum, einen Berg oder ins Meer krachen — alles schon öfter vorgekommen.


Was passiert im Gehirn, wenn wir nicht schlafen?

Es wird weniger durchblutet. Daher leidet vor allem die Konzentration und man kann schlechter lernen und Erlebnisse abspeichern und erinnern.


Macht Schlafentzug verrückt?

Naja, die Trugbilder sind schon gruselig, wenn man sie nicht haben möchte. Auch die Erinnerungsausfälle sind schon recht seltsam. Ich stehe nicht so drauf und schlafe immer genug, notfalls einfach auf dem Boden in einer Ecke.


Wann ist eine Schlafentzugstherapie sinnvoll?

Gegen Niedergeschlagenheit funktioniert gut dosierter Schlafentzug, also eine regelmäßig verkürzte Schlafdauer, sehr, sehr gut -- besser als viele Medikamente. Die Sternzellen im Gehirn schütten dabei weniger Adenosin aus, das Müdigkeit oder “Schlafdruck” bewirkt.

Aber Vorsicht, ebenso wichtig ist für depressive Menschen ein geregelter Tagesablauf, es geht also um eine gut kontrollierte Verkürzung des Schlafes, nicht um Durchfeiern. Das würde genau das Gegenteil bewirken und die Depression vertiefen.


Warum war Schlafentzug früher eine beliebte Foltermethode?

Weil es sich richtig schlimm anfühlt, wenn man schlafen will, aber nicht darf. Das ist wie Nahrungsentzug…einfach ein Grundbedürfnis des Menschen. Schlafentzug ist auch heute noch eine der Hauptfoltermethoden bei allen Armeen auf der Welt.


Kann ich trainieren, dass ich langfristig weniger Schlafen brauche?

Nur eingeschränkt. Frau Merkel und Ex-Kanzler Helmut Kohl haben beispielsweise berichtet, dass sie nur sehr wenig Schlaf brauchen. Das ist gut, da sie ja oft nachts Besprechungen durchführen müssen. Nach heutigem Forschungsstand ist sowohl die Schlafdauer als auch der Zeitpunkt des Schlafens (Frühaufsteher vs. Spätaufsteher) eher genetisch festgelegt. Deswegen sind Aufputschmittel von Red Bull bis Crystal Meth auch so verbreitet — heute soll jeder die ganze Zeit fit und wach sein.


Frauen, die gerade Mutter geworden sind, leiden häufig darunter, dass sie zu wenig Schlaf bekommen. Wann sollten sie sich Sorgen machen oder einen Arzt aufsuchen?

Die Natur löst das schon” — wenn man sie lässt. Alle Elternpaare, die eine gesunde und stabile Beziehung haben, finden Lösungen, die sie zwar manchmal müde, aber auch glücklich und zufrieden machen. Wenn Menschen wirklich unter den Wachphasen ihrer Kinder leiden, dann kommt der schädliche Stress woanders her.


Gibt es Berufsgruppen, die besonders unter Schlafmangel leiden?

Am ehesten SoldatInnen im Krieg und PolitikerInnen in Spitzenpositionen. Natürlich auch alle Menschen mit zwei Jobs und kleinen Kindern. Neuerdings auch PilotInnen und FlugbegleiterInnen, weil die Ruhezeiten für sie immer kürzer werden — früher haben sie pro “Stunde” (Zeitzone), die sie durchflogen haben, einen Tag Ruheplus erhalten, heute ist das ein unvorstellbarer Traum geworden.
 


Mit großem Dank an Vera Laumann und die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.