Quelle: lightandshawowsreports.de vom 19. Januar 2017
VON JENNIFER HOECKER
Am 19. Januar hatte ich das Glück, Dr., Mark Benecke interviewen zu dürfen. Seinen Spitznamen „Dr. Made“ verdankt der forensische Entomologe, zu gut deutsch ein Kriminalbiologe, der mit Insekten arbeitet, seinen kleinsten „Mitarbeitern“: Maden, Larven, Fliegen... Die oft erwähnten Fauchschaben sind hingegen Haustiere. Neben seiner beruflichen Tätigkeit ist er Mitglied verschiedenster Organisationen, in der Politik aktiv, Gastdozent an (inter-)nationalen Hochschulen, Ausbilder bei der Polizei, Akteur in verschiedenen TV-Formaten, tourt mit Vorträgen durch Deutschland, singt, schreibt Bücher... Sehr vielseitig eben.
Im Interview trifft man auf einen sehr freundlichen, offenen Menschen, der es sehr gut versteht, in verständlicher Ausdrucksweise seine Arbeitsalltag und sein Wirken zu beschreiben. Auch ist viel schwarzer Humor im Spiel, aber lest selber! Zugegeben etwas nervös betrat ich zusammen mit dem Dark Side Event Team, welches mich für mein anstehendes Journalistik-Studium mit allen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten unterstützt, das Kriminallabor von Dr. Benecke. Nach einer äußerst freundlichen, offenen Begrüßung und für mich als Anfängerin im Journalismus sehr wertvollen Tipps im Umgang mit Interviewmedien, digitalen Speichermedien usw. begann nach kurzem Smalltalk das Interview.
Jenny: Beschreibe mir bitte deine Haupttätigkeit im Bereich der forensischen Entomologie.
MB: Meistens übergibt uns die Polizei Insekten. Wir versuchen dann im Labor Art, Lebensraum, Alter, Lebenszeit auf der Leiche usw. zu bestimmen. An manchen Insekten erkennt man auch das Fäulnisstadium einer Leiche, da sich diese zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf der Leiche ansiedeln. Auch gibt uns das Alter der Tiere hier Anhaltspunkte. Eine weitere Untersuchungsmöglichkeit ist die Feststellung, ob die Tiere oder - wenn diese sich zum Beispiel verpuppen - ihre Hüllen Gifte aus der Leiche aufgenommen haben beziehungsweise enthalten. Da gibt es extrem viele Möglichkeiten. Manche Insekten leben nur an bestimmten Orten, man weiß ja zum Beispiel, dass Elefanten nicht am Nordpol leben. Ähnlich ist es mit verschiedenen Insektenarten.
Wenn die Zeit da ist, fahren Tina oder ich auch zu Tatorten, wobei das früher häufiger vorkam als heute; inzwischen fährt auch mehr Tina hin. Damals war das gut, um einen Überblick der Auffindesituation zu bekommen. Wenn z.B. eine Leiche schräg unter einem Bett liegt, zugedeckt ist, Saft und Obst an ganz anderen Orten im Raum verteilt sind, da kann man Schlüsse draus ziehen. Gutachten vor Ort werden aber durch Reformen und andere Dinge heute immer seltener, oft fliegen wir unter dem Radar; der Staatsanwalt muss sein Einverständnis zu unserer Arbeit geben. Viele Gutachten erfolgen unentgeltlich, für uns steht oft das Interesse an der Forschung im Vordergrund. Unser Augenmerk liegt bei der Ausbildung der Polizisten und Polizistinnen, damit diese unter anderem eine gute photographische Dokumentation des Tatortes leisten können. Das ist für uns extrem wichtig, um eine möglichst präzise Aussage treffen zu können.
In einem Fall aus London hatten wir beispielsweise nur ein Glas mit Überresten von Insekten: Man hatte vergessen sie einzufrieren oder in Alkohol zu konservieren. Wir haben uns die Mundwerkzeuge aus der verfaulten Paste rausgesucht, um anhand dieser die Larven identifizieren können.
Jenny: Was fasziniert dich an Insekten und den sogenannten „einfachen“ Lebewesen?
MB: Fauchschaben sind super für Lernzwecke; sie sind schlauer als man beim ersten Blick meint. Anfangs, als ich ihnen Futter ins Terrarium stellte, schienen sie Angst zu haben, verschwanden. Heute stellen sie die Fühler auf und stürmen später zum Futter. Auf Tour nehme ich übrigens meist zwei Weibchen mit, die sind cooler, zanken nachts nicht so wie Männchen. Für andere Lernexperimente nutzte ich Tintenfische und Blutegel. Natürlich so, dass die Tiere keinen Schaden nahmen und freiwillig mitmachten. Wir haben sie auch immer hinterher frei gelassen.
Die Frage hier ist jedoch nicht die nach der Lernfähigkeit der Tiere, sondern nach ihrer Merkfähigkeit. Diese ist jedoch schwer zu erforschen. Untersuchungen fallen deutlich leichter, wenn man meint, bei den Tieren eine gewisse Mimik zu erkennen. Bei Hunden glauben wir zum Beispiel aus hochgezogenen Augen oder Schwanzwedeln etwas ableiten zu können, die Möglichkeit haben wir bei Insekten und sogenannten „niedrigen“ Lebewesen nicht. Wobei sie für mich nicht „niedriger“ sind als andere Lebewesen, vielleicht trifft es „einfacher“ besser; aber „niedrig“ ist halt die zoologische Bezeichnung...
Das Nervensystem dieser Tiere ist bisher leider nur wenig erforscht, Studenten haben da oftmals glaub ich keine Lust zu. Was schade ist. In einem Experiment mit Blutegeln habe ich beispielsweise festgestellt, dass die Tiere begrenzt merkfähig sind, also schnell vergessen. Dazu habe ich Blutegel in eine Salatschüssel gesetzt, mit Edding einen schwarzen Kreis gezogen. Immer, wenn die Tiere diesen für sie unsichtbaren Kreis überschritten, habe ich sie angetippt. Das schadet ihnen nicht, auch wenn sie es nicht mögen. Irgendwann haben sie den Kreis nicht mehr überschritten und konnten es sich auch gut merken, obwohl sie zwischendurch wieder länger im normalen Aquarium waren. Ein Kollege, Stepahn ??? (kann den Namen leider nicht entziffern), wird zu Blutegeln vielleicht bald einen dicken Wälzer veröffentlichen.
Wenn man die Populationszusammenbrüche von Amphibien und Insekten momentan sieht hoffe ich, dass wir noch die Zeit haben in diesem Bereich zu forschen. In meinem Kinderbuch, von dem ich am 18. Januar die achte Auflage bekam, gibt es einige Quatschexperimente, natürlich mit Insekten. Eins da lockt man zum Beispiel mit Hundefutter Fliegen an, kann gucken, ob blaue, grüne oder auch karierte Fliegen kommen.
Jenny: Schaben sehen recht einfach gebaut aus, existieren dennoch seit über 350 Millionen Jahren...
MB: Ja, richtig. Sie überleben trotz ihrer sehr simpel wirkenden Verhaltensweisen, oder vielleicht auch gerade deswegen. Möglicherweise ist gerade dieses einfache Verhalten überlebensfördernd. Schaben scheinen nicht sozial, aber auch nicht unsozial zu sein. Gestern habe ich noch fünf neue Schaben zu den bereits vorhandenen getan, sie hocken dennoch alle zusammen. Auch versammeln sie sich meistens auf oder im gleichen hohlen Zweig, auch wenn du einen zweiten unter identischen Bedingungen ins Terrarium legst. Die Frage, die wir uns also stellen müssen, ist die, ob soziales Zusammenleben zum Überleben wichtig ist oder es wie bei anderen Lebewesen auch ohne geht und warum.
Jenny: Du hast durch deine Tätigkeit viele Tatorte gesehen; gibt es Dinge, die dich heute an diesen noch erschrecken oder gibt es eine gewisse Gewöhnung an die oftmals sehr schlimmen Bilder?
MB: Daran gewöhnen kann man sich nicht. Entweder du kannst das oder auch nicht. Wenn du für so was keine Nerven hast, bringt das nichts. Oftmals sehen wir die Opfer nach Gewalteinwirkung oder verfaulte Leichen, das ist nochmal etwas anders als bei Pathologen/-innen im Krankenhaus; die haben ja frische Leichen ohne sichtbare Gewalt-Zeichen.
Es ist deutlich erkennbar, dass das Ausüben eines solchen Berufes auch eine Frage der persönlichen Neigung ist. Manche, die in diesem Berufsfeld arbeiten, haben selber Erfahrungen mit Missbrauch, suchen die geschichtlichen Aspekte des Faches oder betätigen sich künstlerisch, zum Beispiel im Bereich der Gesichtsrekonstruktion. Gewöhnen kann man sich an die Bilder nicht, nie. Wichtig ist es, auf sein Bauchgefühl zu hören. Auf dieses kann man sich eigentlich immer verlassen. Kinder wissen oftmals vom Bauchgefühl dass das, was mit ihnen passiert, richtig oder nicht richtig ist. Sie meinen zwar manchmal zu glauben, dass ein Missbrauch zum Beispiel okay ist, im Bauch wissen sie jedoch, das dem nicht so ist. So ist das auch bei Massengräbern, Suiziden und Erschießungen.
Studenten, die glauben, sich in unserem Bereich beruflich was beweisen zu können, liegen falsch. Wer sich was beweisen will ist im Sport besser aufgehoben. In unserem Berufsfeld ist derjenige falsch.
Jenny: Gibt es einen Fall aus der Vergangenheit, den du als besonders spannend/schwierig bezeichnen würdest?
MB: Wir haben sehr viele Fälle, das kann ich euch gleich mal nebenan zeigen. Alle Fälle sind schwierig. Sofern Opfer überleben, sind diese oft sehr traumatisiert, können sich manchmal schlecht ausdrücken oder sind psychisch teils schwer erkrankt. Bei Angehörigen passiert es, dass manche zum Beispiel die Erfahrung gemacht haben, immer viele Dinge mit Geld regeln zu können und nun erstmals vor der Situation stehen, etwas nicht erkaufen zu können: Wenn die Tochter getötet wurde, nutzt ihnen ihr Geld einfach nichts, weil die Tochter ist und bleibt tot, und auch das Geld kann nichts ändern. Wenn wir in so Fällen mit den Gesprächen über die Spuren nicht weiter kommen, versuchen wir, den Leuten auf dem Weg in die Trauerarbeit, die notwendig ist, zu helfen. Dazu haben wir dann Notfallseelsorger, Tina und ich ziehen uns eine Stunde zurück, sagen den Leuten, wo wir sind. Wenn sie dann eine Zeit lang mit dem Seelsorger gesprochen haben, versuchen wir noch einmal, das Gespräch auf die Spuren zu lenken. Die Angehörigen müssen verstehen, dass wir weder für Gerechtigkeit sorgen noch den Täter finden können, lediglich helfen können, Spuren zu finden und zu bewerten.
Polizeifälle sind da etwas einfacher als Angehörigenfälle. Wir wissen, dass alle Taten ihre Abgründe haben. Wenn man zum Beispiel zu einer Leiche im Wald kommt, finden sich um die Leiche viele Dinge: Handtaschen, Zweige, Kondome... Aber die müssen nicht alle etwas mit dem Fall zu tun haben. Oftmals gibt es kistenweise Material, das gar nichts mit der Tat zu tun hat.
Jenny: Heißt, es wird im Grunde spannender, wenn du in einer Wohnung eine Made findest, die eigentlich im Wald ihr zu Hause hat...
MB: Ja genau, richtig. Du kannst dich dann auf einen Spurenbereich einengen. Das können auch Spurenrückstände sein.
Es ist aktuell ein Video von einem depressiven 13jährigen Mädchen im Umlauf, das Suizid begeht. Eigentlich gibt es diese Videos nur bei Menschen, die einem anderen damit nochmal sagen wollen: „Das ist deine Schuld“. Bei ihr war das anders, deshalb ist das Video für uns interessant, es hat einen Lerneffekt, wir können vielleicht etwas für die Anti-Depressionskampagne daraus ableiten, um anderen Menschen zu helfen. Auch spannend war das Sichten der damals noch Al-Qaida genannten Gruppierung, deren erste Videos von Enthauptungen. Hier waren die Blutspuren von Interesse, nicht die Taten an sich. Man sah ein mörderisches Gemetzel, aber es spritzte kaum Blut. Daraus konnte man insbesondere bei den ersten Köpfungen darauf schließen, dass die gar nicht wussten was genau sie da taten, aber offensichtlich Erfahrungen mit Tiertötungen hatten.
Allerdings sinniert man nicht ewig über diese Bilder. Jeder Mensch, der mit hoffentlich offenen Augen durch die Welt geht, weiß, dass diese mal gut und mal schlecht, meist auch irgendwo dazwischen, ist. Die Welt ist halt wie sie ist. Man muss bedenken, dass das nicht alles wilde Berserker sind, es bringen auch genug Deutsche andere Deutsche um. Es geht einzig und allein um die Spuren und das, was man aus ihnen im Rahmen der Videos lernen kann. Wir schränken jedoch die Veröffentlichung ein, um Diskussionen der Migrationsfrage zu verhindern, die Leute ziehen zu oft falsche Schlüsse aus den Videos.
Man bewegt sich auf einem schmalen Grat, muss unnötige Panik vermeiden, Qualitätsstufen entwickeln und auch gesellschaftliche Auswirkungen abschätzen. Es geht um wissenschaftliche Lernprozesse, und die sollen nicht von Bullshit oder Gefühlen überlagert werden.
Die Kriminalfälle wiederholen sich, kennst du die Ursachen der Todsünden, hast du die Motive. Aber die nutzen dir bei den Spuren nicht viel. Was hast du davon, wenn du weißt: Ursache für den Mord war Neid? Die Spuren findest du so nicht. Es ist aber wichtig, die Spuren zu erkennen, denn diese sind je nach Gegebenheiten der Zeit anders als vor tausend Jahren. Auch früher prügelten sich Kinder auf dem Schulhof, aber heute findest du oftmals die Videos dazu auf YouTube, das war damals nicht der Fall.
Jenny: Du bist oft als (Gast-)Dozent tätig, national wie auch international. Durch einen Arzt erfuhr ich, dass du unter anderem in Düsseldorf einen Lehrgang zum Thema Spurensicherung und Aufbewahrung der gesicherten Spuren gegeben hast. Laut meinem Arzt war das Ziel, Opfern die Möglichkeit zu geben, Spuren und Beweise zu sichern und sich mit der Anzeige, die mit Angst und Schamgefühlen verbunden ist, etwas Zeit lassen zu können. Kannst du die Inhalte kurz zusammen fassen?
MB: Das kam so: Ich war selber mal Lehrgangsteilnehmer zur Sicherung von biologischen Spuren nach Sexualdelikten an der Columbia University; Von diesem Lehrgang sind mir zwei Sachen hängen geblieben: Das eine ist der kulturelle Aspekt. In den USA herrscht eine sehr niedrige Schwelle, ab wann etwas ein Sexualdelikt ist. Dort wird schon der verbale Missbrauch intensiv bekämpft, es läuft eine deutliche Kampagne. In Deutschland wäre eine solche nicht denkbar bzw. umsetzbar, da es hier kaum jemand verstehen würde. In den 90ern gab es in den USA bereits Plakate, dass zum Beispiel Schimpfwörter unerwünscht sind; hier würde man das eventuell noch als Spaß interpretieren.
Der Lehrgang in den USA war für „Forensic Nurses“ gedacht, speziell ausgebildete Pflegefachkräfte, die sich um Opfer von (sexueller) Gewalt kümmern. Jetzt sind Amerikaner relativ prüde... Da viele Teilnehmerinnen ihre eigenen Sexualorgane noch nie angesehen hatten, wurde der Lehrgang bereits am ersten Tag mit der Begründung abgebrochen, dass man – wenn man erfolgreich Spuren sichern möchte bei anderen – schon seinen eigenen Körper kennen sollte.
Ein weiterer Aspekt sind die verschiedenen Kulturen dieser Welt. Viele Menschen reden nicht über derartige Taten oder verweisen darauf, dass das „halt so war“, zum Beispiel in Ruanda, wo es beim Genozid 1994 ums reine Überleben der Opfer ging, wenn sie Sex mit den Feinden hatten. Hier ist dann auch eine Traumatherapie fast ohne Sinn. Weiter kommt es zu Zeitverzögerungen durch Duschen, Trauma, die Opfer wenig mitbekommen haben (K.O.-Tropfen). Spuren findet man daher oftmals nicht mehr da, wo man sie erst mal vermuten würde.
Es gibt auch ein kleines Kistchen mit entsprechendem Material zur Spurensicherung, ist aber leider wenig bekannt. Da es aus Pappe ist, wirkt es auf manche billig, ist es aber nicht. Hinter diesem Set steckt ein ähnlich hoher Entwicklungsaufwand wie hinter einem Überraschungsei. Maschinen, Technik... leider wurde es auf dem Markt bisher nicht überall angenommen. Aus Pappe ist es übrigens, weil diese trocknet und die Spuren darin so nicht schimmeln können.
Um diese sinnvolle Sache zu unterstützen, wäre eine politische Position hilfreich oder eine große Krankenhauskette, die diese Möglichkeit in ihre Standards zur Opferversorgung aufnimmt. Der Weiße Ring wäre als Opferschutzorganisation ebenfalls eine gute Unterstützung; die sind einfach sehr gut in konservativen Strukturen verwurzelt. Das alles und andere Fragen besprechen wir in solchen Kursen. Die Spuren sollen dabei immer von Profis gesichert werden, nicht von den Opfern.Die Opfer können aber mithelfen, darum geht es.
Jenny: In deinem Buch „Mumien in Palermo“ hast du dich unter anderem mit einer Alien-Autopsie befasst. In einem gesonderten Abschnitt dieses Kapitels ging es auch um die Augen des angeblichen Aliens, über die du dich mit deinem Kollegen und Vorbild Prof. Dr. Meyer-Rochow ausgetauscht hast. Auch du warst offensichtlich von der Anzahl der dort erwähnten Augentypen überrascht. Was macht Prof. Dr. Meyer-Rochow für dich zu einem Vorbild?
MB: Wir haben ihm schon mehrmals den Spaß-Nobelpreis verliehen oder ihn vorgeschlagen. Er guckt sich Dinge an, die auf den ersten Blick für viele zu kindlich oder zu einfach wirken. Zum Beispiel die Pinguine, die man in der Natur ja nicht anfassen darf. Die verteilen ihren Kot sternförmig um ihr Nest; Das hat er einfach untersucht.
Was ich gut finde: Er bearbeitet seine Projekte immer zu Ende, sehr gründlich. Dann ist das Thema für ihn ab er auch beendet. Es geht im nicht um Geld, Ehre oder Ansehen dabei. Er forschte auch schon an Insekten und Krebstieren, beschäftigt sich mit den coolsten Dingen, die auf andere uninteressant wirken.
Er hat eine eigene Biologie-Zeitungs-Kolumne in Japan oder Neuseeland, weiss ich grad gar nicht genau, er wohnt ja immer woanders; ich finde die sehr gut, habe sie in Deutschland vorgeschlagen. Aber hier ist sie nicht gefragt. Dr. Meyer-Rochow ist offen für alle Kulturen, für ihn steht das eigene Interesse an der Forschung im Vordergrund, nicht das der Öffentlichkeit.
Prof. Meyer-Rochow geht auch auf kleine Tagungen, zum Beispiel die westdeutsche Entomologen-Tagung; das ist im Grunde so, als würde der Bundespräsident auf dem Chlodwigplatz Luftballons verteilen, ohne, dass Wahlkampf oder Presse dabei ist.
Jenny: In Kapitel Vier beschäftigst du dich mit der plötzlichen Selbstentzündung von Menschen, insbesondere Frauen sind hier betroffen. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es bei diesen Fällen immer zwei wichtige Faktoren: Bewusstlosigkeit und eine Zündquelle. Passiert das nur Menschen, die von Ohnmacht/Herzstillständen betroffen sind oder könnte es theoretisch auch Menschen bei vollem Bewusstsein treffen?
MB: Früher trugen die Frauen Kittelschürzen, die als Docht wirkten, weswegen es oftmals nicht zu vollständigen Verbrennungen kam. Alte Leute leb(t)en oftmals alleinstehend, nehmen vielfach Schlafmittel. Hinzu kommt das ehrenwerte Gläschen am Abend; während die Weingläser früher etwa 0,1 Liter fassten und der Wein ca. 11% hatte, trinken heute viele 0,2 Liter und der Wein hat schon mal 14 bis 15 %. Das ist im Vergleich zu Bier sehr viel. Dazu kommt dann die Verbindung mit dem Schlafmittel, was vielfach von den Leuten runter gespielt wird.
Bei dementen Menschen fehlt zusätzlich die Fähigkeit, die Situation zu erkennen, richtig zu reagieren. Wenn diese bei Bewusstsein sind, nehmen sie die Situation nicht richtig wahr, reagieren nicht. Durch die Rauchgasentwicklung verlieren sie dann das Bewusstsein. Wahrscheinlich steckt jedoch meistens ein Infarkt dahinter, man würde ja sonst auch versuchen, das Feuer auszuschlagen. Es ist 'ne megaspannende Sache mit verzwicktem Ablauf. Ich habe über zehn Jahre gebraucht, um das wirklich aufzudröseln.
Jenny: Zum Abschluss würde ich gerne wissen, ob es richtig ist, dass du den vermeintlichen Schädel Adolf Hitlers untersuchen durftest. Aus historischer Sicht vermutlich etwas, das nicht jedem Wissenschaftler möglich ist. Was war das Ziel der Untersuchungen?
MB: Ja, da hatten wir Zähne und ein Stück des Schädels, sollten prüfen, ob beides zusammen passt. Die Zähne waren beim FSB, also KGB, in der Geheimdienstzentrale, das Schädelstück im Staatsarchiv. Von besonderem Interesse war die Ausschussöffnung. Laut Stalin hatte sich Hitler oder Ghitler, wie die ihn nennen, „wie ein Weib“ vergiftet... Also haben wir geguckt. Vermutlich hat er sich und Eva Braun sowohl mit Zyankali vergiftet wie auch erschossen; der Hund, Blondie, wurde nur vergiftet. Wahrscheinlich um zu testen, um die Blausäure noch wirksam ist. Diese kann nämlich ihre Wirksamkeit verlieren, wenn sie zu alt ist.
Für die Zähne hatten wir zum Abgleich verschiedene Unterlagen: Ein Röntgenbild aus der Zeit nach dem missglückten Anschlag 1944, anhand dessen wir Knochenmerkmale und Metall in den Zähnen abgleichen konnten. Dazu eine Zeichnung von Blaschkes Assistenten; Blaschke war Hitlers Zahnarzt. Von diesem gab es auch noch ein Gipsmodell, das er von Hitlers Zähnen erstellt hatte. Die Zähne waren echt. Aus unserer Sicht passten die Zähne kriminalistisch, also von den Umständen her, zum Schädelstück, auch das Ausschussloch passte. Aber wir werden sehen. Hitler war zur damaligen Zeit schwer drogenabhängig, im Grunde war es Crystal Meth, was er einnahm.
Auch war er von Parkinson gezeichnet. Das sieht man am Arm, den er im letzten Filmdokument hinter dem Rücken hatte, sein maskenhaftes Gesicht. Die Frage nach dem körperlichen Zustand untersuchte auch eine Knochenkundlerin. Sie fand Knochennähte, die nicht altersentsprechend waren. Aber was das Lebensalter angeht, muss man halt auch bedenken, dass das biologische Alter nicht unbedingt mit dem chronologischen Alter übereinstimmen muss. Vielleicht erforscht das ja noch irgendwann jemand genauer...
Jenny: Vielen Dank an dich Mark, dass du dir die Zeit genommen hast und so viel Geduld mit mir und hilfreiche Tipps für mich hattest!
MB: Sehr gerne, ich habe zu danken.
Mit großem Dank an Jennifer Hoecker für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.