Quelle: Tätowiermagazin 02/2014, Seite 144
Kolumne mit Mark Benecke
von Mark Benecke
Crudelia läuft mir grundsätzlich zu den unmöglichsten Gelegenheiten und immer nur backstage über die Füße.
Als beispielsweise »Agonoize« (TM 07/2010) ihren dicksten Headliner-Auftritt auf dem Wave-Gothic-Treffen in Leipzig hatten, standen er und ich seitlich an der Bühne und probierten sein neues Kunstblut. Crudelia hatte es nach einem von ihm soeben ersponnenen Rezept so zusammengemischt, dass man die rote Brühe – im Gegensatz zu gekauftem Theaterblut – auch wirklich verkosten kann. Lecker ist anders, aber immerhin. Beim nächsten Mal geisterte Crudelia im Studio von TM-Daueranzeigenkundin und Bodmod-Pionierin Andrea in Dortmund herum und baute den KundInnen Vampirzähne. In München traf ich ihn mit einer Kunst-Leiche, und so schnappte ich ihn mir endlich und fragte ihn zu seinen kruden und gut sichtbaren Tattoos aus.
»Dass ich so auffällige Tätowierungen und klare Outlines habe«, erzählt unser Mann, »liegt an meiner teils russischen, dicken Haut, die gut erkennbare Linien braucht. Als Special-Effects-Künstler brauche ich mir um mein Aussehen eh keine Gedanken machen. Es hilft, wie ein Monster auszusehen, wenn man Monster und Zombies baut. Das steigert die Glaubwürdigkeit.«
Dass Crudelia seelisch wohl eher ideensprühender Feingeist als Monster ist, zeigt sich allerdings, als er sich entkleidet. »Ich entwerfe alle Tattoos selbst«, berichtet er, »denn sie markieren bei mir immer einen Übergang in eine neue Lebensphase. Das muss aber gar nicht schwer und symbolisch daher kommen. Auf meinem Körper finde ich Blumen-Tattoos – vor allem Rosen – sehr angenehm. Die bewegen sich so schön, wenn sich die Muskeln anspannen und lösen. Manche meiner Tattoos stehen auch für das Hin und Her von Schrecken und Schönem, ungefähr wie bei Yin und Yang – daher die Knochen im Wechselspiel mit den Blumen.«
Dass Crudelia damit keine Grufti-Teenie-Fantasien beschreibt, beweist sein tätowierter Knochenpanzer, der die Wirbelsäule hinabläuft. »Da war ich an einem Punkt«, erklärt der Künstler, »als mir mein Leben wie Sand zwischen den Fingern zerronnen war. Ich hatte keine Kraft mehr und wollte aufgeben. Mir fehlte die Energie, nochmal ganz von vorne anzufangen. Ich kam dann aber auf die Idee mit dem supermassiven Rücken- Tattoo. Es beschützt mich seither und gibt mir Power.« Ein Beweis dafür, dass seine Tattoos ihn zusammenhalten, ist in der irren Lust am spezialeffektischen Basteln, Tüfteln und Rumprobieren zu spüren, die Crudelia überall verbreitet. Beispiel gefällig?
Neben uns stand gerade die bezaubernde Fräulein Venus (von der Band »Welle:Erdball«). Was würde Crudelia wohl aus dieser markanten Schönheit zaubern, wenn ihm Blümchen ebenso sehr wie Skelette und Blutfontänen am Herz lägen? »Na, einen Hello-Kitty-Zombie«, sagt Crudelia todernst und mit ruhigem Kennerblick. »Aus Frl. Venus könnte pinkes Blut fließen. Wir könnten ihre Haut wie aufgerissen schminken und etwas Fluffi ges da rausquellen lassen.« Zack, es geht doch. Schöne Vorstellung, in doppeltem Wortsinn. Denn schon flitzt Crudelia wieder an die Bühne zur Kunstblutdruckluftpumpe und lässt die Ladys und mich allein. Seine Idee mit dem Hello-Kitty-Zombie finden wir dufte. Wir sehen uns beim nächsten Zombie Walk.
Schutz-Tattoos und pinke Kittys: empfohlen von --
Crudelia, Venus und Marky Mark