KBV , ZIMMER EINS, Das Patientenmagazin, Ausgabe 2/2017
VON DANIEL WEHNER
Dr. Mark Benecke: Seit mehr als 20 Jahren ist der „Herr der Maden“ als wissenschaftlicher Forensiker unter anderem im Bereich der Insektenkunde aktiv. Er ist Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren und untersuchte unter anderem Adolf Hitlers Schädel. Er veröffentlicht Artikel, Sach- und Kinderbücher sowie Experimentierkästen und geht auf seiner Tournee gemeinsam mit dem Publikum auf Spurensuche.
Aus der Perspektive meiner Umgebung bin ich ein Nerd. Ich würde mich selbst nicht so nennen, aber kann sehr gut damit leben.
Mein Bruder und ich besaßen die ersten Heimcomputer, wir haben nie Sport gemacht, nicht auf Moden geachtet und alles sachlich definiert. Fragt uns jemand, ob wir an Gott glauben, antworten wir bis heute: „Definier’ doch mal Gott“. Früher war man dadurch der Seltsame oder Kauz. Heute ist es cool geworden, weil wir auch etwas schräge Spezialistinnen und Spezialisten im technischen oder naturwissenschaftlichen Bereich brauchen. Deshalb sind auch Serien wie „Big Bang Theory“ erfolgreich, die von einer Physiker-WG handelt. Nerds versachlichen und detaillieren – das ist eine Stärke.
Ein Beispiel: Ich wurde einmal zu einem Mordtatort gerufen, an dem noch Teelichter brannten. Als ich die Lichter fotografiert habe, fragten die anderen mich, ob ich nichts Besseres zu tun hätte. Aber im Nachhinein haben diese scheinbar nebensächlichen Details bei der zeitlich-räumlichen Rekonstruktion der Tat geholfen. Man konnte auf den Fotos sehen, wie weit die kleinen Kerzen schon heruntergebrannt waren.
Ich werde oft gefragt, ob man mit der Zeit lernt, Bilder von schweren Gewalttaten oder intensive Tatortgerüche zu ertragen. Aber darum geht es mir nicht. Ich nehme die Welt wahr wie sie ist. Ich bewerte nicht und ekle mich daher auch nicht. „Nerds” beobachten objektiv, und in meinem Beruf lasse ich zusätzlich alles neutral auf mich einwirken. Denn wenn man alle Details wahrnimmt, wird man zu jemanden, der Tatortbilder und -gerüche bearbeiten kann und ihnen nicht ausgeliefert ist.
Gerüche sind zudem unsere Kooperationspartner. Ich kann beispielsweise durch eine Stadt gehen und anhand der Gerüche genau sagen, wo tote Vögel im Gully oder in Büschen liegen. Andere blenden das erstaunlicherweise aus. Sie riechen zwar die Fäulnis, aber für viele Menschen existiert sie trotzdem nicht, weil sie die Fäulnisgerüche verdrängen.
Allerdings ist die Stärke des Versachlichens auch oft mit einer großen Schwäche verbunden: Ich sehe zum Beispiel keine sozialen Zusammenhänge. Nach keinem Kinofilm – selbst wenn es Spiderman ist – bin ich in der Lage, richtig zu beschreiben, in welchem Verhältnis die Figuren zueinander stehen. Harry Potter musste ich dreimal gucken, um zu verstehen, zu welchen Häusern die Zauberschüler gehören.
Ich denke, das hängt damit zusammen, dass ich einen Schuss Autismus habe. Der berühmte Nervenarzt Hans Asperger hat mal gesagt, dass man leicht autistische Züge braucht, wenn man sehr detailverliebt ist und Dinge tut, die andere so langweilen.
Mit herzlichem Dank an Johannes Dorenkamp und die Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.