Quelle: MifüMi 132 (Mitteilungen für Mitglieder der D.O.N.A.L.D.). In: Der Donaldist 146 (2014), Seiten 7 bis 9
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Von Kindesbeinen an immer eine Pflaume zuviel: Richard Christian Kähler
Aus der Serie „Begeisterte, und voll donaldisierte Donaldisten” (Teil 7)
VON MARK BENECKE
Mark Benecke: Ahoi, lieber Richard. Du bist Barksist in LTB-freiem Haushalt (mit handsigniertem Barks-Druck -- staun!) und einer der Altdonaldisten, von denen wir in der D.O.N.A.L.D. heute nur noch ein Raunen und Ahnen vernehmen. Es wurden sogar (kein Scherz) vor wenigen Jahren mal Suchtrupps ausgesendet, um Donaldisten der frühen Stunden daheim aufzuspüren.
Richard Christian Kähler: Da war ich wohl grad mal wieder in Timbuktu. Seufz. Ja, ich bin Vollblut-Barksist. Warum soll man sich gruselige oder auch nur so lala gute Donald-Zeichner ansehen, wenn man doch den Besten kennt? Von Barks’ fantastischen Geschichten (bzw. Berichten) ganz zu schweigen? Der Barksismus ist der einzige Ismus, dem ich je erlegen bin. Aber dann doch bitteschön auch totalitär, nicht wahr?
Und ja, als ich diese großartige ‚Limitierter Klassischer Donald Kopf‘-Litho in einer Hamburger Comic-Galerie hängen sah, die Nr. 398 von 999, hinter Glas im matrosenmützenblauen Metallrahmen und dann auch noch handsigniert von Carl himself, da musste ich diese Pracht einfach über meinen eigenen Schreibtisch umhängen. Teuer damals, puh. Aber auch ein tagtägliches Glück.
Und LTBs? Sorry, aber allerhöchstens mal aus Langeweile auf einem fremden WG-Klo. Allein schon der Name: Lustige Taschenbücher. Wenn etwas als ‚lustig‘ angekündigt wird, hört bei mir der Spaß auf. Diese Italiener sind ein Problem für sich, und für mich schon ein Problem ein so kindischer Donald-Name wie ‚Paperino‘, herrje. Und dazu die Geschichten: kasparhaft, konfus, dümmlich … nein, da bin ich wohl „eher etwas konservativ eingestellt“, wie Chefredakteurskollege Saalfeld und ich schon im Leitwort zu unserem Nonsens-Magazin Mark & Bein bekannten.
Aber das ist eben ca. alle 25 Jahre das jeweilige Kindheits- & Jugendzeit-Generationsproblem: Man muss halt das gut finden (und später auch als gut erinnern), womit man eben in seinen Anfangsjahrzehnten so groß geworden ist – und sei es das Schlechteste aus den 80ern, den 90ern und auch tut mir leid, aber für mich als 50er/60er/70er-Großgewordener sind diese LTBs ungefähr sowas wie das angeblich ja auch so unglaublich lustige und turbulente und kreative Berlin – daran sollen jetzt mal die nächsten jungen, ahnungs- und erfahrungslosen Leute glauben. Und tun’s ja auch begeistert.
Wie findet deine Tochter Lilly -- mit der du ein Buch über das, was wichtig und tief sein kann und soll, geschrieben hast --, deine Freude an Entenhausen? Schrullig? Attraktiv? Egal?
Ich war mir nie ganz sicher, was ich meiner Tochter an Werten mitgeben konnte und sollte. Aber als frischgebackener Vater fand ich irgendwie, was mir geschadet hat, kann auch ihr ruhig schaden. Deshalb hab ich das wehrlose Kind (trotzdem über 20 mittlerweile) jahrelang gnadenlos mit meiner Lieblingsmusik beschallt sowie ihr freigiebig meine geliebten TGDD-Hefte Nr. 1-100 zum hemmungslosen immer und immer wieder Durchblättern, Angucken und begeistertem Lesen gegeben.
Was sie allerdings nicht daran gehindert hat, dann irgendwann zu diesen verdammten Mangas überzuschwenken. Und ihr gesamtes Zeichentalent dieser absolut entenfreien Gattung zu widmen. Übrigens die erste Comic-Art, die bevorzugt von Mädchen gelesen wird, erstaunlich und geschichtlich bemerkenswert in meinen Augen. Tja, hundert Jahre hartnäckige Schundliteratur-Bestrahlung waren eben nicht umsonst!
Fest jedenfalls steht am Ende meiner persönlichen Forschungs-Jahrzehnte: Das, was außer den guten Freunden und den guten Frauen, den guten Büchern und der guten Musik mein Leben glücklich gemacht hat, das ist der beste Donald-Zeichner- und Geschichtenerzähler (bzw. Berichterstatter) Carl Barks und dazu, welch eine geniale Verschmelzung zweier Genies, die unübertreffliche Erika und ihre großartigen Sätze mit der Dr. Fuchs-Qualitätsgarantie: „Schneeketten im Heizungsschacht rauf und runter ziehen, das tötet den Nerv!“ – Ich wüsste nichts, was für Kinder schädlicher und glücklichmachender zugleich sein könnte.
Wie kam es zu den Rissen in der früheren D.O.N.A.L.D. -- Kollege von Storch meint ja beispielsweise, dass manche der neueren Forschungen nicht mehr realitätsbezogen genug seien. Du erwähntest auch was von der Rhein-Ruhr-EntEnte -- tell me more, pls. (heutzutage muss es ja englisch sein).
Selbstverständlich ist der lautere Donaldismus der Storch'sche, also der rein Barks’sche und Fuchs'sche. Alles andere ist für mein Empfinden Fix & Foxi (gleich mittelmäßige bis minderwertige Massenproduktion). Das ist in der Tat dann Vulgär-Donaldismus. Und Quack-Geschichten aus den LTBs in die Forschung mit einzubeziehen, wie es diese jugendrebellische Rheinische Donaldisten-Clique damals erstmals beantragte, hat mich schon rein ästhetisch abgestoßen. Das ist ja wie Archäologie auf aktuellen Müllbergen zu betreiben.
Irgendwann hab ich dann meinen Mitgliedsbeitrag nicht mehr bezahlt, wurde gefeuert, und wir hatten ja selbst grad die Jahre mit lustige Mark & Bein-, Titanic- und Kowalski-Heftchen machen genug zu tun. Dazu kommt: Für Kaninchenzüchtervereins-Diskussionen hab ich nie so das rechte Interesse entwickeln können. Finde derartige Revolutionen aber grundsätzlich richtig und wichtig. Hauptsache, ich muss nicht mit diskutieren.
Und: Ich bin kein Naturwissenschaftlertyp und finde im Gegensatz zu ehrbaren vollbärtigen oder glattnassrasierten Donaldisten in ihrer reichlich bemessenen behördlich-akademischen Freizeit keinerlei Entspannung in surrealen Forscherthemen und Scheinernsthaftigkeiten. Scherz, Humor und schiefere Bedeutung sind mein täglich Brot. Und unter Umgehung des aktuellen Donald-Forschungsstandes dann ab und an ein Häppchen Primärliteratur mein Sahnehäubchen, mein Kosackenzipfelchen, mein knuspriges Entenbürzel ...
Bist du Comic-Fan?
Ich hatte gar keine andere Wahl! Ich bin 1951 geboren, das Jahr, in dem in Westdeutschland auch die allerersten Micky Maus-Hefte an den Bretterholz-Kioskbuden wehten. Und als ich lesen konnte, hatte meine große Schwester schon schubladenweise Schundhefte beieinander. Ich war Mitglied im ‚Micky-Maus-Klub‘ auf dem Spielplatz im Hof, wir haben sogar einen ‚Kummerkasten’ aufgehängt im Wohnblock – „Jeden Tag eine gute Tat!“ – wie beim Fähnchen Fieselschweif. Ich glaub, ich hab sogar mal einer älteren Dame über die Straße geholfen.
Ja, ich hab Bildergeschichten und Comics verschlungen: Wilhelm Busch, ‚Vater und Sohn‘ von e.o.plauen (Erich Ohser), ‚Konferenz der Tiere’ von Kästner und dem großen Walter Trier, Nick Knatterton, die fantastischen ‚Mecki‘-Bücher, sogar später noch die ideologisch formierte DDR-Ware ‚Mosaik‘ mit Dig, Dag & Digedag. Und dazu natürlich Peanuts, Crumb und Shelton, MAD und die Marvels aus den USA, Asterix (so lange Goscinny dabei war), Tim & Struppi, Lucky Luke, die ganze franco-belgische Schule eben von Marsupilami bis Moebius – nur Qualitätsware. Nur das Beste halt ;-)
Und die Liebe zu Panels und Spruchblasen war letztlich auch ein Grund, warum ich Frankfurt und die Titanic nach ein paar Jahren wieder verließ („Wozu brauchen wir Comics im Heft? Wir haben die besten Cartonisten Deutschlands! Waechter, Traxler, Poth …“ Robert Gernhardt, ca. 1985). Und zurück in Hamburg mit Kollege Saalfeld das Humormagazin Kowalski gründete, mit einem Sack voll Geld von Rötger ‚Brösel‘ Feldmann und Winni Bartnick aus Kiel, dem Werner-Zeichner und seinem wilden Semmel Verlach-Verleger. Und voller Freude neue Comics von Walter Moers, Ralf König und Rattelschneck, Jean-Marc Reiser und Philippe Vuillemin in Kowalski veröffentlichte und in 100.000er Auflage an die Kioske brachte, die mir selbst so viel gebracht hatten – neue Zeichner, neue Helden, neue Träume!
Hast du die Entstehung des Stadtplanes von Entenhausen, die deutsche Hardcover-BL und dergleichen verfolgt?
Peripher. Am Rande. Die Barks Library war mir zum Beispiel schon wieder zu opulent, zu ‚wichtig‘ gemacht. Ich kenn die deutsche Comicsammler-Szene seit den 70ern, ich kenn auch diese ‚Komplettsammler‘ mit verschweißten Plastikhüllen und ‚Mint‘- Zuständen. Was für Freaks. Die paar zerlesenen Stapel Tollste Donald 1-100 beisammen zu haben, das war’s und ist es für mich. The world in a box.
Den Entenhausen-Stadtplan und seinen Schöpfer Jürgen Wollina finde ich bewundernswert. Es gibt wirklich derartig tiefe Bindungen an diese Parallelwelt. Mein Wagen zum Beispiel, ein britischer MG B, Bj. 72, ein kleiner offener Zweisitzer, der wirkt im heutigen Straßenverkehrsbild genau wie Donalds antiker Winzling unter protzigsten Geldmogul-Mobilen. Und: Er hat das Kennzeichen HH- ZY 313 ... ist das Liebe und Hingabe?
Aber wusstest Du, dass die Nr. 313 laut Al Taliaferro, dem Donald-Urvater, für 3 x 13 steht und damit für Unglück? Ich nicht! Aber so hat man sich eben im Leben entschieden oder wurde gleich ganz nach SEINEM Seelen- und Charakterbilde geschaffen: Typisch Donald – typisch ich!
Herausgeber, Chefredakteur und Chef vom Dienst der Zeitschrift MARK & BEIN, der Vorläuferin von KOWALSKI und TITANIC waren Donaldisten. Ihr habt schon sehr früh -- Ende der 1970er Jahre -- einen langen Artikel von Klaus Fricke über Hans von Storch und sein "Donald-Museum" gebracht. War das für Euch satirisch, lustig, quatschig? Konntet ihr euch vorstellen, dass die D.O.N.A.L.D. die Zeiten überdauert und auch noch 2014 den chaotischen, anachronistisch-anarchischen Geist des zwanghaften Irrsinns tragen könnte?
Ich tippe mal, weder Klaus Fricke noch Hans Saalfeld und ich haben damals einen Gedanken an das Jahr 2014 verschwendet. Die Gegenwart war ja erfreulich genug: Wir brachten gerade in Eigenregie ein kleines, aber feines Nonsens-Magazin mit dem irrwitzigen Untertitel ‚Jenseits von Gut & Böse’ heraus – und ein anderer Verrückter den Hamburger Donaldisten. Aber hallo! Endlich die angemessene Ehrung für unseren Liebling! Aber nicht so banale, populärblöde Massenehre wie im bürgerbraven Stern oder sowas, sondern erlesene Ehre, von feinsinnigen Menschen: Akademiker, Philosophen, stadtbekannte Sonderlinge. Und als ich für meine persönliche Entenhausenwelt-Vorstellung von Hans von Storch zum ersten Mal das Wort ‚Paralleluniversum’ angeboten bekam, da war für mich alles klar.
Aber wir hatten’s ja auch leicht: 1977, 1978 war die deutsche Nachkriegs- und Wirtschaftswunder-Comic-Szene der 50er und 60er immer noch ziemlich nah und in uns lebendig. Und in mir anscheinend besonders. Ganz ehrlich, ich befürchte, im Grunde meiner Seele bin ich genau wie Donald, mein Held aus herzoffenen Tagen. Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt. Und natürlich nach jeder Absturz und jeder Pleite: „Ach, warum muss ich nur immer so ein Angeber sein ...“
Gelebter Donaldismus halt! Ein reiches, weil abwechslungsreiches und damit aufregendes Leben führen. Ein wagemutiges und übermütiges, weil sich schier alles zutrauendes Dasein. Weil man einfach von Kindesbeinen an immer eine Pflaume zu viel gegessen hat. Ich schätze mal, vieles von dem, was ich unternommen hab und was mir dabei widerfahren ist, verdanke ich Donald und seinem anregenden und belebenden Vorbild. Naja, und dazu gehört dann eben auch, dass man von Zeit zu Zeit immer mal wieder auch für eine Zeitlang nach Timbuktu verschwinden muss.
Danke, lieber Richard. Es war mir eine Ehre.