‘Mad Heidi’ schüttet glühende Lava in die offenen Wunden

Quelle: Südostschweiz, 10. Okt. 2022, Print: Seite 14, Online: https://www.suedostschweiz.ch/markbenecke

Film ohne Grenzen: Der deutsche Kriminalbiologe Mark Benecke ist am Schweizer Exploitation-Film «Mad Heidi» im Hintergrund beteiligt.

«Dass ein Film wie ‘Mad Heidi’ bei einem richtig fetten und prestigeträchtigen Filmfestival landet, das wird es nicht mehr geben.»

Der Film «Mad Heidi» nimmt die Schweiz und ihre Kultur ordentlich auf die Schippe. Mitproduziert wurde der Film auch von einem der bekanntesten Kriminalbiologen der Welt, Mark Benecke.

Mit Mark Benecke sprach Mara Schlumpf

Mark Benecke ist Kriminalbiologe und Ausbildner an deutschen Polizeischulen. In den USA, Vietnam, Kolumbien und den Philippinen arbeitet er als Gastdozent. Auch im Fernsehen ist er häufig zu sehen. Sender wie National Geographic, VOX, RTL Nitro und der History Channel ziehen ihn für Sendungen wie «Medical Detectives» und «Autopsie – Mysteriöse Todesfälle» als Experten hinzu. Nicht zuletzt ist er einer der wenigen Wissenschaftler, die den mutmasslichen Schädel von Adolf Hitler untersucht haben. Ab und zu ist Benecke auch als Schauspieler oder Filmproduzent tätig. Letzteres auch bei dem Swissploitation-Film «Mad Heidi». Beim Zurich Film Festival (ZFF) haben wir ihn zum Interview getroffen.

Mark Benecke, wir treffen uns hier im Rahmen des Filmfestivals Zürich, Sie sind anlässlich der Premiere von «Mad Heidi» hier. Was ist das für ein Film?

MARK BENECKE: «Mad Heidi» ist ein Trash-, Horror-, Exploitation-Film. Exploitation heisst, dass man die Vorurteile zu einem Thema nimmt und mit denen dann noch mal ganz stark übertreibt. Bei «Mad Heidi» wird dies mit Vorurteilen zur Schweiz gemacht. Und mit echten Dingen natürlich: Ich rechne mit viel Käse, Wiesen und Schokolade.

Das klingt relativ harmlos.

Nicht unbedingt. Gerne tauchen in solchen Filmen auch Faschistinnen und Faschisten auf, Blut spritzt wie verrückt, und alle benehmen sich so, wie man sich auf keinen Fall benehmen sollte.

Sie sind ganz vieles – aber in erster Linie Kriminalbiologe. Nun haben Sie den Film «Mad Heidi» mitproduziert. Wie kommts?

Ich bin ein grosser Freund der Exploitation-Filme, solange sie nicht allzu ernst gemeint sind. Das gibt es manchmal auch.

Wie muss man sich das vorstellen?

In Deutschland, wo ich herkomme, gab es eine Phase, in der relativ viele Nazi-Exploitation-Filme gedreht wurden, aber auf der «Sexy-Konzentrationslager-Vorsteherin»-Schiene. Das ist nicht mein Ding. Ich mag Zombie-Filme, wie den, der aus der Sicht der Zombies erzählt wird. Beim Film «Sky Sharks» habe ich ein bisschen im Hintergrund mitgewirkt.

Von der Begeisterung für solche Filme bis zum Mitwirken ist es aber noch ein grosser Schritt. Sind Sie eines Morgens aufgestanden und haben sich entschieden, Filme zu produzieren?

Ich bin da als Fan reingewirbelt worden. Zu Beginn nicht unbedingt in die Exploitation-Filme. Angefangen hat es mit Kunstfilmen, die ursprünglich verboten waren. Viele Jahre später habe ich mit Jörg Buttgereit einen Film gemacht, in dem ichSchweine habe verwesen lassen. Diesen Film zeigen wir aber nur auf Kunstveranstaltungen, der ist nicht öffentlich.

Verwesende Schweine?

Mein Team und ich haben Hunderte Filmstunden lang im Kurs Schweine gefilmt, die sich zersetzen. Mit allem, was dazugehört – Fliegen, Käfern und herumwandernden Augen und so. Diese Videos habe ich für den Film anschliessend zur Verfügung gestellt.

Und wie kamen Sie schlussendlich zu «Mad Heidi»?

Ich wurde auch da irgendwie reingesogen. Es scheint eine natürliche Anziehungskraft zu geben (lacht).

In diesem konkreten Fall haben Sie den Film ja mitproduziert. Was genau war Ihre Aufgabe?

Es gibt sehr viele verschiedene Arten von Produzenten bei solchen Filmen. Es gibt die echten Produzenten, die sich die ganze Zeit darum kümmern, dass alles klappt. Die sind um alles Mögliche besorgt: die Regie, die Werbung und die Schauspieler und Schauspielerinnen. Und dann gibt es noch die Produzenten, die ganz klein am Rande stehen, so wie mich. Wir sind wie die Mücken: Wir schwirren in einer riesigen Wolke herum und ärgern alle. Wir fragen Dinge wie «Wann geht es endlich weiter?» oder «Wann kommt eigentlich der Film raus?» oder auch «Was ist denn eigentlich mit der Finanzierung?». Wir machen dem eigentlichen Team das Leben zur Hölle, ganz einfach.

Die Finanzierungsfrage ist aber nicht unwesentlich, auch im Fall von «Mad Heidi».

Korrekt! Gerade durch Corona hat sich das alles etwas verkompliziert. Durch die weltweit erste Fan-Finanzierung hat der Film aber richtig Schwung bekommen. In diesem Masse war das nicht absehbar. Es hätte genauso gut sein können, dass wir kleinen Mücken am Ende hier stehen und es eine kleine, kultige Trash-Veranstaltung wird. Heute ist der Rahmen viel mehr eine glamouröse Filmfestveranstaltung.

Der Hype um den Film ist tatsächlich riesig. Wieso löst ein solcher Film einen Hype aus?

In der Schweiz ist manches kulturell betrachtet etwas anders als im Rest der Welt. Aber die jüngeren Schweizerinnen und Schweizer sind bereits mit Trash-Exploitation-Filmen aufgewachsen. In der Schweiz hat man gleichzeitig eine Dorfidylle und den riesigen Reichtum. Diese Kombination gibt es sonst nirgends auf der Welt. Das sorgt für Explosionen. H.R. Giger gehört auch in diese Kombination.

Ein Bündner, übrigens.

Ein Bündner, der sein Museum einfach mal ins Nichts gebaut hat. Das ist wie ein Fondue, in das ganz viele Zutaten, die eigentlich nicht reingehören, reingeschmissen wurden. Und dann wird das irgendwie merkwürdig. Das ist in meinen Augen die Besonderheit der Schweiz. Und jetzt hat das Exploitation-Genre die Schweiz voll erreicht. Ich bin überzeugt, danach kommt nichts mehr in dieser Güte. Das hat hier jetzt seine Vollendung erfahren.

Wie meinen Sie das?

Nun, dass ein Film wie «Mad Heidi» bei einem richtig fetten und prestigeträchtigen Filmfestival landet, das wird es nicht mehr geben. «Mad Heidi» hat das Genre vollendet. Der Film hat sozusagen auf das Sahnehäubchen noch eine Kirsche und da dann noch ein Schokostreuselchen draufgesetzt. Ein blutiges.

Haben Sie den Film bereits vor der Premiere sehen können?

Nein, das mache ich nie. Ich möchte mich wie der jungfräuliche, unbefangene Zuschauer in den Sitz kuscheln, mit oder ohne Popcorn, und das Ganze auf mich wirken lassen. Natürlich habe ich schon einige Ausschnitte gesehen, aber den grossen Bogen durch das ganze Werk möchte ich von der Kinoleinwand auf mich hinabrieseln lassen.

Was erwarten Sie sich von «Mad Heidi»?

Ich erwarte gar nichts (lacht). Allerdings habe ich die Vermutung, dass er technisch und dramaturgisch deutlich besser sein wird als ursprünglich erwartet. Als wir mit dem Film angefangen haben, und das ist doch schon einige Jahre her, habe ich damit gerechnet, dass der Film schlussendlich in irgendeinem Kino läuft, in dem jeder zweite Sitz kaputt ist und unter meinen Füssen Chips von vor zwei Wochen liegen. Jetzt hat das Ganze ein sehr lustiges, bizarres Gefälle. Der Film wird wohl sehr, sehr schweizerisch sein.

Schweizerisch?

Damit meine ich perfekt.

Was macht «Mad Heidi» denn perfekt?

Es enthält jede Form der Geschmacklosigkeit. Es werden alle Tabus gebrochen und alles angeschnitten, von dem sich zeigen wird, ob es bereits genügend verarbeitet worden ist. Zum Beispiel die heile Schweiz. Haben wir das wirklich alles aufgearbeitet, oder sagen die Menschen «Oh, ja, mit den Banken, da läuft manchmal bisschen was schief und mit der Einwanderung ebenso ...».

Also streut man eigentlich Salz in eine Wunde, um zu schauen, ob sie bereits abgeheilt ist?

Exploitation darf nicht nur Salz in die Wunde streuen. In die gegebenenfalls schon offenen Wunden soll glühende Lava reingekippt werden. Mit Salz. «Mad Heidi» tut genau dies. Exploitation darf aber auch bereits abgeheilte Wunden aufreissen. Beispielsweise das Thema Nazis. In der Schweiz gibt es ja angeblich keine Nazis. Man muss sie aber nicht unbedingt Nazis nennen. Bösartige, ängstliche, aggressive Menschen, die sich unsozial verhalten, passt auch. Und die gibt es vielleicht ja doch. Abgesehen davon soll der Film aber vor allem Spass machen.

Mehr Bilder und Videos zum Interview auf http:// suedostschweiz.ch/markbenecke

— Mit vielem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung —


Mad Heidi

Premiere Zürich 2022


Heidi from England

drink beer in Berlin


Sky Sharks

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