Quelle: Humboldt — Die Zeitschrift des Humboldt-Gymnasiums Berlin-Tegel, Ausgabe 38 (2020), Seiten 26-28
Dr. Mark Benecke im Interview
Von Richard Gamp & Julian Karimi
Du hast mehrere Bücher geschrieben, vor allem über den Tod. Was interessiert dich so an Maden und Leichen?
Ich mag gerne Tiere. Als ich in der Rechtsmedizin mein erstes Praktikum gemacht habe und dann später auch meine Doktorarbeit — ich bin ja Biologe — fand ich die Tiere auch da immer gut. Die anderen haben sich eher für Erhängen, Erdrosseln, Erschießen, Ertränken und alle anderen möglichen Todesursachen interessiert, ich war also der einzige, der sich wirklich für Maden und Tiere allgemein interessiert hat.
Die anderen fanden das immer komisch, denn du wirst ja nicht Mediziner oder Medizinerin, weil du dich für Tiere interessierst. Ich habe dann einfach begonnen, mich in dieses Thema einzulesen und bin dadurch, ohne es zu merken, Experte auf diesem Gebiet geworden.
Häufig sind Naturwissenschaften bei Schülern unbeliebt. Es gibt viele Versuche, das zu ändern. Was ist deiner Meinung nach der richtige Weg, mehr Schülern die Naturwissenschaften näherzubringen? Trägst du mit deiner Arbeit etwas dazu bei?
Wenn ich unterwegs bin, treffe ich häufig Leute, die sagen: „Ey, du bist voll mein Vorbild", und da frage ich dann: „Hey, warum denn? Ich hab' hässliche Kleidung, ich hab' keine Muskeln, ich stolpere, wenn ich nicht aufpasse, beim Gehen." Ich nagele die dann auch fest.
Da gibt es die Gruppe Menschen, die dann sagt, dass ich das tun kann, was ich gern tue. Sie sagen dann: „Ich konnte sehen, dass du das machst, was du gern machst, und du hast gezeigt, dass man seinen eigenen Kram machen und dabei froh sein kann.”
Das bedeutet für mich auch, dass man keinen zu Naturwissenschaften zwingen sollte. Also wenn sich jemand wenig für Kunst interessiert oder wenig für Musik, Sprachen, Mathe etc., dann würde ich sagen, liebe Lehrer, gebt den Leuten natürlich die Grundbildung, die sie in der Schule brauchen, ansonsten lasst sie so frei entscheiden wie möglich.
Warum Leute irgendwas doof finden, weiß ich nicht. Ich würde nur sagen, macht das Fach so sexy, wie es geht, lasst die Leute aber auch gehen, wenn sie keinen Bock mehr haben.
Wann hast du begonnen, Dich für Naturwissenschaften zu interessieren, was war der Auslöser dafür?
Es gab überhaupt keinen Auslöser dafür. Es gibt Leute, die begeistern sich eher für Zahlen, fürs Messen, und andere interessieren sich fürs Soziale etc. Das sind natürlich nur Tendenzen. Auch glaube ich, dass das einfach ein Charakterzug von mir ist.
Meine Großeltern haben erzählt, dass ich immer schon Tiere toll gefunden habe. Meine Mutter hat letztens erst ein Bild gefunden, wo ich als kleines Kind einen Käfer hochhalte, und das war irgendwie interessant, weil das wirklich dieselbe Geste ist, die ich auch heute mache, wenn ich den Leuten etwas zeige.
Ich sag' euch auch, warum ich das glaube: Weil Charakterzüge bestehen bleiben, solange man keine Demenz oder einen Unfall hat oder so. Das ändert sich auch kaum; selbst wenn du besoffen bist, bleiben deine Kerninteressen ja gleich.
Wir reden viel von Fake News und seit der Erfindung des Internets sind unterschiedlichste Daten für jeden von uns zugänglich. Mit welchen Quellen arbeitest du und woran erkennst du eine seriöse Studie?
Seit 20 Jahren mache ich auf radioeins meinen eigenen Podcast. Vor 15 Jahren hat dann mal jemand gefragt, ob sich der Mark denn mit allem auskennt, worüber er da so redet. Daraufhin meinte ich, nein, tut er nicht, aber er macht „Fakten-Checking". Seitdem bin ich quasi der offizielle Fakten-Checker.
Um herauszufinden, ob etwas stimmt oder nicht, gibt es nur eine Methode: Man muss die Originalstudien durchlesen, und zwar mehrere. Das ist schwierig und ich weiß, dass das nicht jeder kann. Ich stehe jeden Samstag-morgen auf, um „Fakten-Checking" zu machen. Das ist super anstrengend und zeitaufwendig, aber der einzige Weg, um etwas vernünftig zu besprechen.
„Pharma is big business” — Wie stehst du zu dieser Aussage? Was hältst du von der Kommerzialisierung der Forschung?
Naja, Kapitalismus ist die Ursache. Die Menschen wollen Fleisch essen und neue Medikamente und sehen nicht, dass man keine Tiere verwenden sollte: Landverbrauch, CO2, Tierleid. Wenn jeder heute aufhören würde, Tierprodukte zu verwenden, würde sich viel verbessern.
Aber Menschen kümmern sich oft nicht um den Rest der Welt, sondern sagen: Ich will Eier essen, ich will meine Milch trinken, ich will mein Fleisch essen, fuck you! Grundproblem: Viele Menschen verhalten sich gegenüber Tieren unsozial. Lösung fürs Umwelt- und Ausbeutungsproblem: Jede und jeder Einzelne muss ihren und seinen Arsch bewegen.
In der Forschung gab es in den letzten Jahren einige sprunghafte Entwicklungen, z. B. CRISPR Cas9, von denen vorher keiner gedacht hätte, dass sie jemals möglich sein könnten, ähnlich wie in der Zeit Alexander von Humboldts. Auf welchen nächsten großen Sprung hoffst du?
Wir erleben gerade das größte Artensterben seit Millionen von Jahren. Extinction Rebellion, Greta und viele andere hacken derzeit Krusten auf. Das Artensterben ist ein gutes, auch politisches Aufhängeschnürchen, um Aufforstungen, CO2-Verbrauchsangaben auf allen Lebensmitteln u. ä. einzuleiten. Ein schönes Zitat von den ,Ärzten': „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt so ist wie sie ist, aber es ist deine, wenn sie so bleibt". Wie gesagt, alle müssen dabei ran — wirklich alle.
Alexander von Humboldt wird in unserer Gesellschaft sehr geschätzt. Ist er auch für Dich ein Vorbild?
Ich war selber auf dem Alexander-von-Humboldt-Gymnasium in Köln. Humboldt hielt sich an popular science, was unüblich war. Er ist immer bei den Messdaten geblieben, das hat er sehr gut gemacht. Er war schwul, hat sich aber nicht geoutet, was in der damaligen Zeit auch nahezu unmöglich war.
Er war nicht frech, nicht mutig, aber hat sein Ding durchgezogen. Beide Humboldt-Brüder haben sich gut vernetzt und damals schon multimedial gearbeitet. Alexander hat selbst sehr gute Diagramme angefertigt. Im Studium hat er sich nicht groß für den Lehrplan interessiert und lieber draußen geforscht. Also ja, er ist für mich ein Vorbild.
Du bist ein weltweit gefragter Kriminalbiologe, verfasst Bücher, bist politisch aktiv und lebst quasi neben Deinem Labor. Wo ist da die Grenze zwischen Privatleben und Arbeit? Kannst du überhaupt noch abschalten, nachdem du beispielsweise eine Leiche gesehen hast?
Da gab es noch nie eine Grenze. Ich habe meinen Job selber erschaffen, den gab es vorher nicht, insofern muss ich ihn auch nicht von meinem Privatleben trennen. Ich mag meinen Beruf wirklich und lebe nahezu im Labor; wenn man seine Aufgabe wirklich mag, dann braucht man sie auch nicht vom Privatleben zu trennen.
Du bist Landesvorsitzender von Die PARTEI in NRW, was sind deine Ziele und deine Vision für Deutschland?
Unser Motto bei DIE PARTEI ist: „Ich will, was du willst." Deshalb fragen wir die Leute, was sie wollen. Beispielsweise sagen sie dann, dass sie gerne den Kölner Dom besser sehen würden. Also fordern wir, dass man den Kölner Dom besser sehen kann — von allen Erdteilen aus.
Welche Verantwortung tragen Wissenschaftler in Zeiten, in denen wissenschaftlich belegte Fakten in der öffentlichen Debatte immer weniger Gehör finden?
Ganz einfach: den Fragen der Leute Gehör schenken, auf sie zugehen und nicht immer nur Skeptiker sein. Nur dadurch kann man Vertrauen für wissenschaftliche Arbeit und Fakten aufbauen. So kann man sich mit den Anliegen und Fragen der Menschen auseinandersetzen.
Ganz wichtig ist es auch, ohne Fremdwörter zu reden, das verstehen die Leute sonst nicht. Die meisten Wissenschaftlerinnen und Wisssenschaftler weigern sich, ohne Fachwörter zu sprechen. Vertrauen und keine Fremdwörter sind aber die Schlüssel.
Bist du gerne zur Schule gegangen?
Ja, ich habe keinen einzigen Tag geschwänzt, war Schülersprecher, mochte den Direktor, die Lehrer und meine Mitschüler. Die älteren haben gegen Raketen protestiert, wir jüngeren gegen Schulausfall, ohne Gewalt, ehrlich und harmlos. Das war auf unserer Schule kein Problem, weil es eine außerordentlich humanistische Schule war.
Es galt da für alle: Du kannst dein Ding machen, aber nerv' nicht andere, außer du hast einen beweisbaren Grund. Man hat sich nicht immer lieb gehabt, aber es hat geklappt: "Jeder Jeck is anders".
Möchtest du zum Abschluss noch etwas sagen?
Ja, gerne. Wenn ihr Tiere und Menschen mögt, dann verwendet ab sofort keine Tierprodukte mehr. Es ist gemessen, nicht geglaubt, dass Tierprodukte Murx sind. Ihr könnt heute beginnen und die Lebenswelt verbessern.
Dr. Mark Benecke, geb. 1970, studierte Biologie und Psychologie und promovierte über genetische Fingerabdrücke. Er ist als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für kriminaltechnische Sicherung, Untersuchung und Auswertung von biologischen Spuren sowie als Gastdozent verschiedenster Institutionen tätig. 2013 erhielt er den Alexander-von-Humboldt-Gedächtnispreis der Senckenberg-Gesellschaft als Mitautor einer Arbeit über das postmortale Schicksal lungenatmender Vertebraten in marinen Abla-gerungsräumen. Er ist Verfasser zahlreicher Bücher; 2019 erschien seine Autobiographie „Mein Leben nach dem Tod".
Mit vielem Dank an Markus Röser & die Schülerinnen und Schüler für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.
RETTET DAS SAMMELN VON DATEN UNSEREN PLANETEN?
von Larissa Kelm und Anna Uekert
Am zweiten Tag der Humboldt-Festwoche hielt der Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke einen Vortrag über Alexan-der von Humboldts Bedeutung früher und heute.
Zuerst präsentierte er Fotos von dessen Aufzeichnungen und setzte sie zur heutigen Zeit in Beziehung, indem er die Wichtigkeit des Sammelns und Erfassens von Daten besonders in den Zeiten von Klimawandel und „Fridays for future" hervorhob — dies machte seinen Vortrag für uns besonders interessant und ansprechend. Dr. Benecke interagierte mit dem Publikum, sodass sich jeder persönlich angesprochen fühlte und sein Vortrag eine große Lebendigkeit erhielt.
Das Hauptaugenmerk des Vortrages lag darauf, was wir aus der Vorgehensweise und den Erkenntnissen Alexander von Humboldts mitnehmen und vielleicht sogar in unser eigenes Leben integrieren können. Ein Beispiel dafür war, dass wir alle eine kindliche Neugier für unsere Umwelt entwickeln sollten, damit wir mehr Dinge sehen, genauer erfassen, messen, hinterfragen und dadurch verändern können.
Lesetipps
Jacob, der Papagei von Alexander von Humboldt (MfN Berlin)
Alexander-von-Humboldt-Preis (Explodierende Wale) (Alexander-von-Humboldt-Gedächtnispreis an Mark (mit Achim Reisdorf, Roman Bux, Daniel Wyler, Christian Klug, Michael Maisch, Peter Fornaro & Andreas Wetzel)
Die Alexander-von-Humboldt-Säule in Berlin / Humboldt-Universität
Fotos & Videos aus dem Humboldt-Gymnasium in Berlin-Tegel
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