Julia Gehrisch: Fingerabdruecke

Name: Julia Gehrisch
Facharbeit (Auszug)
Universität Halle, Philosophische Fakultät III (Erziehungswissenschaften)
Institut für Rehabilitationspädagogik
Halle, Januar 2017

Interview mit Dr. Mark Benecke

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Er ist Deutschlands wohl bekanntester Kriminalbiologe, der fast ganzjährig mit Vorträgen über seine Kriminalfälle, Hitlers Schädel oder Vampire durch Deutschland bzw. auch weltweit tourt. Als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständige darf er vor Gericht mit seinem Expertenwissen aussagen, um Fragen zum Beispiel in Mordfällen zu klären. Neben seiner Arbeit mit biologischen Spuren ist er einer der wenigen Forensikern in Deutschland, der sich als Entymologe mit Insekten auf Leichen beschäftigt.

Er schreibt Sach- und Kinderbücher, veröffentlicht Artikel in Fachbüchern und –zeitschriften und unterrichtet als Gastredner an Universitäten auf der ganzen Welt. In Zusammenarbeit mit den russischen Behörden untersuchte er als einer von wenigen den vermutlichen Schädel Adolf Hitlers und bestätigte, dass die Überreste von diesem stammen.


Julia: Warum haben wir diese Rillen an Händen und Füßen?

Mark: Die sind vermutlich dafür da, dass man besser greifen kann. Das kann man auch merken oder testen, wenn man zum Beispiel auf eine Oberfläche etwas draufschmiert und man es danach nicht mehr so gut greifen kann. Man sieht es auch in der Entwicklung der Lebewesen: Je nachdem in welcher Umgebung sie leben, haben sie entweder solche Rillen oder eben nicht.

Das gilt insbesondere zum Greifen im Feuchten, auch unter Wasser, oder wenn an Land feuchte Oberflächen da sind. Und man kann es natürlich auch als Merkmal für persönliche Erkennung einzelner Lebewesen benutzen, weil die Linien bei jedem Menschen unterschiedlich sind. Dafür war es aber ursprünglich nicht gedacht.


Julia: Welche Informationen überliefern uns Fingerabdrücke? 

Mark: Man hat immer mal versucht zu schauen, ob es veränderte Muster dieser Hautleisten gibt, wenn man eine bestimmte Krankheit hat. Jedoch hat sich herausgestellt, dass es keine Bezüge, außer bei ein oder zwei ganz schweren Erkrankungen. Ansonsten ist es eher wie eine ausgeloste Zufallsziffer.

Also als ob man bei der Geburt irgendeine Zahl zugelost bekommt, hier die Zusammenstellung dieser verschiedenen Linien-Merkmale — zum Beispiel Aufgabelungen, kleine Leerstellen, Drehung nach rechts, Drehung nach links und so weiter. Die bilden dann ein einmaliges Muster. Aber ansonsten kann man daraus kaum etwas lernen. Ich glaube bei Trisomie, da müsste ich aber nochmal nachsehen, da gibt es manchmal ein gehäuftes Muster.

(Anmerkung vom Schlautier: Bei Menschen mit einer Trisomie, also einer Verdreifachung eines Chromosoms, tritt gehäuft eine sogenannte Vierfingerfurche auf. Dabei verläuft eine Furche bzw. Beugelinie vom Zeigefinger zum kleinen Finger. Es treten jedoch auch Besonderheiten der Fingerabdrücke auf.) 


Julia: Welche Rolle spielen Fingerabdrücke in deinem Beruf? 

Mark: Wir benutzen Fingerabdrücke nur zur sogenannten Individualidentifizierung. Wenn du ein Glas hast oder einen Teller, selbst ein Blatt Papier, manchmal auch auf Leichenhaut, dann fragen wir uns: „Wer hat das angefasst?“ Das ist eine klassische Spur: Wer hatte mit wem Kontakt.

Das gibt uns natürlich eine zeitliche oder räumliche Information. Wenn also der Teller auf dem Tisch steht und es wurde gerade jemand getötet, dann geht man davon aus, dass der Teller dort nicht seit zwei Jahren steht. Könnte natürlich sein, dass der schon seit zwei Jahren da steht, aber das geht mich nichts an. Ich gucke also nur: gibt es hier Spurenbezug und das war es eigentlich schon.

Und die Fingerabdrücke können auch verfallen. Wenn man einen guten Fingerabdruck sieht, zum Beispiel am Tatort auf einem glatten Gegenstand, dann kannst du davon ausgehen, dass — wenn er nicht gerade auf Wachs oder einer ähnlich stabilen Oberfläche ist — auch relativ frisch ist. Fingerabdrücke halten sich nicht ewig. 


Julia: Welche Grenzen haben Fingerabrücke bei der Überführung von Tätern? 

Mark: Also eigentlich fast gar keine. Außer dass man eine falsche Grundannahme einführt. Zum Beispiel die, dass man sagt: „Dieser Teller steht erst seit zwei Stunden da und der kann nicht seit gestern dastehen, es kommen also keine anderen Leute als Täter in Betracht, außer die Person, die den Teller angefasst hat.“ Das ist dann aber ein Ermittlungsfehler und hat mit den Spuren nichts zu tun.

Dann kannst du zu wenige Merkmale auswählen. Also wenn du nur 4 oder 5 Merkmale von so einem Hautlinienmuster auswertest, dann ist das auch doof. Weil dann kann es sein, dass es doch noch jemanden geben könnte, der so ein ähnliches Muster hat. Man sollte also schon 12 solche Einzelmerkmale in diesem einen Hautleistenabdruck verwenden. Dann sollte es jemand machen, der es kann. Der also auch wirklich unterscheiden kann, was er da sieht und das nicht nur spielt.

Eine Grenze ist auch die Sichtbarmachung: vor uns steht zum Beispiel so ein Glasgefäß. Da würde ich nicht unbedingt mit Fingerabdruckpulver draufgehen. Manchmal kann es auch besser sein es mit Cyanacrylat, also Sekundenkleber, zu begasen. Dann schlägt sich das Gas, also das Sekundenklebergas auch nieder. Dann hast du manchmal ein wesentlich besseres Bild als mit Fingerabdruckpulver. 


Julia: Welcher Fall blieb dir in Bezug auf das Thema Fingerabdrücke am meisten im Gedächtnis? 

Mark: Das war ein Terrorismusfall. Da hatte man keinen Vergleichsfingerabdruck von demjenigen, und hatte aber einen Fingerabdruck an einem explodierten Gegenstand. Man wollte gern wissen, ob dieser Fingerabdruck von einem verdächtigen Terroristen ist. Man wusste allerdings nicht, was der für Fingerabdrücke hat.

Man hatte also einen Fingerabdruck, wusste allerdings nicht, was für Fingerabdrücke der Tatverdächtige hat, also ob er es war. Dann sind die Ermittler in die Bibliothek gegangen, wo dieser Mann vor langer Zeit mal ein Buch ausgeliehen hatte und haben aus dem Buch den Fingerabdruck herausgeholt und wir haben den dann verglichen.

Das fand ich ganz pfiffig. 


Julia: Und war er der Täter? 

Mark: Ja, es waren dieselben Hautleistenabdrücke. 


Julia: Haben Tiere auch solche Rillen oder hinterlassen individuelle Abdrücke durch ihre Hände und/ oder Füße? 

Mark: Also es gibt natürlich auch Lebewesen, die in feuchter Umgebung eine bessere Greifkraft haben wollen, aber ich wüsste jetzt nicht, ob die ähnlich zu den Fingerabdrücken von Menschen sind. Das ist mir bisher nicht untergekommen. Interessant wären hier Menschenaffen. (Anmerkung vom Schlautier: Da wir die gleichen Vorfahren wie Menschenaffen haben, haben auch Affen individuelle Fingerabdrücke.)


Julia: Können Fingerabdrücke an einem Tatort entfernt werden? 

Mark: Ja klar. 


Julia: Wenn ich mich an den Fingern verletze, zerstöre ich dann meinen Fingerabdruck? 

Mark: Kommt drauf an. Du kannst ein Merkmal hinzufügen. Das ist jetzt keine Verletzung, aber es gibt zum Beispiel Vertrocknungslinien. Da siehst du teilweise, dass du so Querlinien hast. Die können dadurch passieren, dass du dehydriert bist.

Dann kannst du natürlich Narben haben, die da durchziehen. Das passiert aber nicht immer. Kann sein, muss aber nicht sein, dass da Narben entstehen. Man kann Fingerabdrücke natürlich auch wegätzen. Das machen auch Täter, dass sie die abhobeln oder wegätzen. Heute nicht mehr so oft, aber früher war das schon öfter mal der Fall.

Aber sagen wir mal: eigentlich kann man sie nicht verändern, außer du machst es wirklich sehr brachial. 
 


Mit herzlichem Dank an Julia Gehrisch und die Universität Halle für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.