Welle Nord: Ein Mann für ungelöste Fälle

Quelle: NDR.de - Das Beste am Norden vom 20. Januar 2017

VON ASTRID WULF

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Der Fall Erna Ganz konnte jahrzehntelang nicht gelöst werden. Die 73-Jährige war 1982 in ihrer Wohnung in Schleswig ermordet worden. Doch zum Täter gab es keine Spur. Erst 2012 konnten Ermittler DNA-Spuren nachweisen und diese auswerten. Ein Tatverdächtiger wurde gefunden und in dieser Woche - 35 Jahre nach der Tat - verurteilt. Gewaltverbrechen, DNA-Spuren, komplizierte Mordfälle - sind das Geschäft von Kriminalbiologe Mark Benecke. Er ist Deutschlands einziger vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren. Sein Spezialgebiet ist die Auswertung von Spuren, die Insekten auf Leichen hinterlassen. Benecke hat für das FBI gearbeitet, hält Vorträge und löst mit seinem Team Fälle, an denen sich alle anderen die Zähne ausbeißen.


Wie kommen Ihre Aufträge zustande?

MB: Mein Team und mich kann jeder beauftragen. Ich arbeite für den Staat, auch für die Angehörigen der Toten, wenn sie nicht zu traumatisiert sind. Uns beauftragen auch Täter, die zugeben, eine Tat begangen zu haben - die aber beweisen wollen, dass sie ganz anders abgelaufen ist. Das kann sich schließlich erheblich aufs Strafmaß auswirken.


Fahren Sie noch selber zu Tatorten, um sie zu untersuchen?

MB: Das macht heutzutage meine Mitarbeiterin Tina, die liebt es, rauszufahren. Ich habe das lange selber gemacht, bin nachts los oder von Kongressen aufgesprungen. Ich mache das seit 25 Jahren und gebe heute lieber Fortbildungen, damit die Ermittlerinnen und Ermittler selber die Kompetenzen in Sachen Spurensicherung kriegen und mache die Laborarbeit.


Worauf achten Sie, wenn Sie Tatorte untersuchen?

MB: Unsere Erfahrung ist, dass bestimmte Spurengruppen fast überhaupt nicht benutzt werden. Blutspuren zum Beispiel. Dann heißt es: "Der haben sie den Hals aufgeschnitten" und dann wird die Spur nicht weiter beachtet. Es könnte allerdings das Blut vom Täter sein. Auch Banalitäten können interessant sein, zum Beispiel rostiges Wasser, das an die Wand gespritzt ist. Oder es gibt eine völlig verweste Leiche und fünf Tage vorher wurde Geld abgehoben. Da ist die Frage: Kann die Leiche so schnell verwesen oder nicht? Dann können Insekten helfen, den Todeszeitpunkt zu bestimmen. Und wenn Zeit, Geld und Interesse da ist, können wir das weiter verfolgen.


Wie oft kommt es vor, dass Insektenspuren bei der Lösung eines Falles helfen?

MB: Das hängt vom Interesse der Ermittler ab. Wir haben Jahre gehabt, da sind wir im Sommer jeden Tag rausgefahren. Jetzt gibt es andere Schwerpunkte - den Terrorismus zum Beispiel. Wir arbeiten heutzutage eher mit Blutspuren. Darüber berichten aber nicht so viele, weil es nicht so spannend ist. Auch komplizierte Fälle landen häufig bei uns.


Inwiefern ist Spurensuche Teamarbeit?

MB: Es ist eine Teamarbeit unter Sonderlingen. Ich schreibe die Gutachten, alle anderen liefern zu. Viele unserer Kooperationspartner haben aber kein wirkliches Interesse an sozialer Interaktion. Partner, die zum Beispiel Insekten bestimmen, sind kauzige Spezialisten und interessieren sich überhaupt nicht für den Fall. Militärleute, Geheimdienstfritzen, das sind schon spezielle Leute. Wir ja auch.


Arbeiten Sie auch an Fällen, wo die Leiche fehlt?

MB: Ja, das kommt vor. Fälle zum Beispiel, in denen das Opfer aufgegessen wurde oder wo die Leiche eingemauert wurde. Es gibt auch Fälle, wo die Leiche nie auftaucht. Oder man hat es mit Psychopathen zu tun, die sich einen Spaß daraus machen. Ich habe einen Klienten, der sehr viele Kinder getötet und es zugegeben hat. Er wollte, dass man die Leichen findet. Das gibt es also auch.


Haben Sie es hin und wieder mit sehr schlauen Tätern zu tun?

MB: Wer schlau ist, begeht keine Taten. Wer schlau ist, löst seine Probleme und begeht keine kriminellen Handlungen. Wir reden auch mit den Tätern - viele hatten eine schlimme Kindheit. Das Problem ist, zu vergessen. Sie müssen lernen, dass es Problemlösungsstrategien gibt, die wirksamer sind als Gewalt.


Wie sieht die Zukunft der Spurensicherung aus?

MB: Datenmassen spielen eine immer größere Rolle. In freien Netzen werden alle Daten gesammelt, die ein User hinterlässt: Wann hat man welche Seite genutzt, welchen Suchbegriff eingegeben und so weiter. Dann wird nachvollzogen, wann man sich wo mit dem Handy aufgehalten hat. Das ist sehr hilfreich, weil man damit räumliche und zeitliche Aussagen prüfen kann.

Im biologischen Bereich wird es vielleicht noch dazu kommen, dass man von Tätern, die zum Beispiel zu einer längeren Haftstrafe verurteilt wurden, die DNA mit Körperdaten wie Größe, Haarfarbe und Augenfarbe in einer Datenbank sammelt; so lassen sich Spuren direkt einem Täter zuordnen. Da muss nun der entsprechende Fall kommen, ein großes Attentat zum Beispiel. Bisher ist der genetische Fingerabdruck nur ein anonymer Zahlencode, der nichts über Körpermerkmale aussagt.


Wie lassen sich Verbrechen Ihrer Meinung nach vermeiden?

MB: Gesundheitsprävention ist wichtig, gerade mit Blick auf psychische Krankheiten. Dann würde es gerade mit Blick auf Amokläufen an Schulen helfen, über Narzissmus zu reden, statt sich auf Mobbing einzuschießen, denn kein einziger Schulattentäter war Mobbingopfer. Sehr gut sind auch Programme wie "Nicht Täter werden" für Pädophile, die nicht straffällig werden wollen. Man muss diese Probleme offen ansprechen und das in einer Form, die sinnvoll und konstruktiv ist. Dazu die Fähigkeit zu diplomatischen Prozessen, sodass man wirklich die andere Seite versteht. In Skandinavien, wo es Geldüberschüsse und lange eine liberale Politik gab, wird massenhaft Geld in Prävention und Aufklärung gesteckt - und das funktioniert super.
 


Mit großem Dank an Astrid Wulf und die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.