Stuttgarter Zeitung / Nr. 60, Dienstag, 12. März 2019, Fellbach & Rems-Murr-Kreis, Seite III
Von Michael Käfer
Unterhaltung und Information verbindet der Kriminalbiologe Mark Benecke auf einzigartige Weise. Sein Vortrag „Insekten auf Leichen“ in der Schwabenlandhalle ist jedoch nichts für schwache Nerven – und der Eintritt deshalb erst ab 16 Jahren erlaubt.
Fellbach - Er ist der bekannteste Kriminalbiologe Deutschlands. Am Samstag, 16. März (Beginn: 20 Uhr) ist Mark Benecke bereits zum dritten Mal in Fellbach. Vor 14 Monaten wollten seinen damaligen Vortrag mehr als 1000 Menschen erleben. Diesmal kommt er mit dem Thema „Insekten auf Leichen“ in den Hölderlinsaal. Nach Angaben des Veranstalters gibt es noch einige wenige Karten.
Herr Dr. Benecke, in Ihrem Internetauftritt bieten Sie die Möglichkeit, eine Totenmaske von Ihnen zu kaufen. Was sagt das über Ihr Verhältnis zum Sterben?
Es sagt eher was über mein Verständnis zum Leben aus, genauer gesagt zum Sehen: Die Silikon-Masse sollte beim Abformen nicht in meine Augen kommen. Man hätte es auch einfach „Schlaf-Maske“ nennen können, aber das hätte vielleicht noch seltsamer geklungen. Unsere Internet-Chefin Satanka aus Sibirien – beides kein Witz – hat’s dann „Totenmaske“ getauft und so ins Netz gestellt. Das sagt ebenfalls etwas über meine Freude am Leben aus: Satanka macht, was sie will. Ist besser so. Für alle.
Sie sind als Kriminalbiologe, der auf die Bewertung des Insektenbefalls von Leichen spezialisiert ist, ständig mit dem Tod konfrontiert. Wie gehen Sie damit um?
Mit der Bewertung? Gehe ich sehr vorsichtig um, damit sich keine falschen Grundannahmen in die Beurteilung einschleichen. Meine Kollegin Tina und ich haben in der aktuellen Ausgabe der „Kriminalistik“, herausgegeben von allen LKA-Direktorinnen und -Direktoren, gerade einen langen, reich bebilderten Artikel dazu veröffentlicht: Ameisen, Wespen und Maden, die von Menschen verursachte Verletzungen vortäuschen. Mit dem Tod gehe ich gar nicht um, er ist einfach da, so wie das Wetter, Tag, Nacht und die Gezeiten.
Sie haben über genetische Fingerabdrücke promoviert, wie sind Sie dann beruflich bei der Kriminalbiologie gelandet?
Genetische Fingerabdrücke sind eine gleichsam klassische oder typische Technik der Kriminalbiologie: Anhand von messbaren Spuren etwas über eine Tat herausfinden. Da ich die Technik im Institut für Rechtsmedizin gelernt hatte — die Biologen und Biologinnen waren noch nicht so weit — und die Leichen gleich neben unserem Labor lagen, ergab sich rein räumlich die Verbindung zu den dort herumflitzenden Polizistinnen und Polizisten und eben auch den Insekten.
Ihre Ausbildung fand auch beim FBI statt. Wird dort anders gearbeitet, als hier in Deutschland?
Naja, überall in Zeit und Raum wird verschieden gearbeitet. Das ändert sich laufend. In den angloamerikanischen Ländern herrscht grundsätzlich etwas mehr Freude am Ausprobieren, Ärmel hochkrempeln und der Frage, ob etwas nun nützt oder nicht. In Deutschland sind wir zurückhaltender, dafür sparen wir uns auch viele Anfängerfehler. Wirklich unerklärlich auf der FBI Academy waren bloß die dünnen Bettdecken. Heute reise ich nur noch mit Heizdecke. Auch kein Witz.
Können Sie die Zahl der Leichen, mit denen Sie zu tun hatten, noch überblicken?
Wir haben über 1500 Akten für „echte“ Fälle. Wenn ich die ganzen Trainings, Angehörigen-Besprechungen und Auslandseinsätze dazu zähle, ist das schon einiges. Wir rechnen aber nicht in Leichen, sondern in Fällen — ich arbeite nicht für die Toten, sondern für die Lebenden.
Was war Ihr spektakulärster Fall?
Keine Ahnung, das müssen Sie entscheiden. Für mich sind alle Fälle haargenau gleich. Wäre auch schlimm, wenn es anders wäre, dann würde ich ja mehr Energie in den einen Fall setzen als in einen anderen, von dem ich annehme, dass er weniger spannend ist. Da ich aber keine Annahmen mache, bearbeite ich alle Fälle gleich.
Was war die überflüssigste Interviewfrage, die Sie jemals gehört haben, und was war Ihre Antwort darauf?
Was mein spektakulärster Fall war. Antwort siehe oben.
Sie sind auch politisch aktiv, belegten Platz drei bei der Kölner OB-Wahl. Liebäugeln Sie mit einem Jobwechsel?
Für mich ist das alles eins. Ich möchte meinen Kram abarbeiten und den messbaren Tatsachen dabei ihr verdientes Plätzchen freiräumen. Wie schon der rechtskundiger Kollege Fritz Bauer richtig sagte: Hauptsache, wir kommen eine Streichholzbreite weiter. Tatsachen gibt es überall, und messbar ist auch vieles. Ein bisschen spurenkundlich-politischer Übertrag macht mir Spaß. Neulich durfte ich beispielsweise im Europa-Parlament was über das Insektensterben vortragen und hatte lauter große, runde Augen vor mir.
Wer Ihre Vorträge erlebt, der erlebt auch einen enorm strukturierten Menschen Mark Benecke. Ist das eine zwangsläufige Folge Ihrer zahlreichen politischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Aktivitäten?
Vermutlich ist das eher eine Charakterfrage. Ich habe früher dauernd was verloren, weil ich so zerstreut war und immer was Neues im Kopf hatte. Irgendwann hat mich das so genervt, dass ich jetzt alles mega strukturiere und vereinfache: Ich habe zwei Hosen, fertig. Alle Hemden sind gleich, fertig. Vor dem Essen wird die Küche gesäubert, Termine gibt es nur mit Vertrag, alle Insekten sind seit 1992 in auf den Millimeter gleich großen Gläschen aufbewahrt, die Aktenordner-Schildchen sind links und rechts gleich weit von der Schrift entfernt. Da meine Frau genauso tickt und meine Kollegin Tina das auch mitmacht, klappt es super.
Bei Ihrem letzten Auftritt in Fellbach ist es Ihnen gelungen, den Hölderlinsaal der Schwabenlandhalle fast vollständig zu füllen. Wie erklären Sie sich diesen Zulauf?
Menschen wollen klare, wahre, beweisbare Tatsachen erfahren. Die erzähle ich, ohne etwas zu bewerten, schlauer als jemand anders sein zu wollen oder gerechter, schöner oder cooler. Wir reden vertrauensvoll und offen miteinander, aber ohne Bullshit und Gefühlsgedusel. Wenn es um tote Kinder, verschwundene Enkel, Trauer, Suizid, Mord und Fäulnis geht, kommt man ohne Tatsachen schlecht weiter. Ich erkläre daher, wie man Dinge in meiner kleinen Welt prüft und sichert: Nicht durch Zeuginnen und Zeugen, nicht durch Logik oder Nachvollziehbarkeit, sondern durch Spuren. Und die gibt es. Aber wo? Das erzähle ich.
Was darf das Publikum in Fellbach diesmal von Ihnen erwarten?
Das steht auf der Eintrittskarte. Ich lasse mich überraschen.
Das Gespräch führte Michael Käfer. Mit vielem Dank an die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.