Hoffentlich machen die nicht noch mehr Mist

Von: Elmar Schalk | Fotos: Nina Bauer

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Wer mit einem Schubladendenken an Dr. Mark Benecke herantritt, muss herzlich versagen – der Kölner vereint zu viele Aspekte, die sich scheinbar widersprechen. Offiziell liest sich die Beschreibung des Kriminalbiologen so: „Als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger wird Dr. Mark Benecke herangezogen, um biologische Spuren bei vermuteten Gewaltverbrechen mit Todesfolgen auszuwerten. Darüber hinaus ist er Ausbilder an deutschen Polizeischulen sowie Gastdozent unter anderem in den Vereinigten Staaten, Vietnam, Kolumbien und auf den Philippinen.“ Und dann erfährt man, dass der international renommierte Wissenschaftler unter anderem Mitglied der „Kölner Donaldisten“, Präsident des Vereins „Pro Tattoo“, Mitbegründer der Schlagerpunk-Band „Die Blonden Burschen“, Präsident der „Transylvanian Society of Dracula“ sowie NRW-Landesvorsitzender von „Die PARTEI“ ist. Und er mag Sonne ebenso wenig wie Autos, Homöopathie oder gar Fleisch. Zu allem Überfluss hat er seine alte Peterson-Pfeife kürzlich gegen eine E-Version getauscht. All das will in kein Schema passen. Aber Benecke wollte auch nie „anders“ sein. Benecke ist Benecke. Punkt.

Fine Tobacco: Kann der Tod komisch sein?
MB: In einigen Cartoons wie „Tot aber lustig“ spielt der Tod die Hauptrolle. Und es gibt sogar einen Comedian, der als Tod auftritt; mit Sense und Kapuze – man sieht nie sein Gesicht. Ich habe letztes Jahr ein Grufti-Festival moderiert, bei dem sich Todeskünstler, melancholische und schwarz gekleidete Menschen versammeln. Bevor es losging, wurde zum Entsetzen aller angekündigt, dass der „Der Tod“ mitmoderiert. Letztendlich hat sein Auftritt aber Begeisterung ausgelöst: Vor dem härtesten Publikum der Erde hat der Tod bestanden.

Fine Tobacco: Kann auch der reale Tod komisch sein? Gab es mal einen Fall, der Dich zum Lachen brachte?
MB: Nein. Manches ist allerdings bizarr. Denn du merkst schnell, dass profane Dinge nie profan sind. Sherlock Holmes sagte: „Nothing is little.“ Alles Kleine kann auch auf etwas Großes verweisen. Etwa das Spielzeugauto bei dem dahin geschlachteten Mann. Diese Kombination ist grotesk. Man fragt sich: Wie konnte er in eine so gewaltbetonte Situation geraten, während er seine Sammlung von Matchbox-Autos vor sich hat? Diese Kombination aus Profanem und Gewaltverbrechen sieht man an einem Tatort sehr oft. Eine andere Art von Tod & Komik – mit der wir gar nichts zu tun haben – ist der „Darwin Award“: Er wird posthum an Menschen verliehen, die „sich versehentlich selbst töten und dabei ein besonderes Maß an Dummheit zeigen“. Das sind echte Todesfälle und keine Satire. Mein Team und ich tragen dazu aber nichts bei, weil „Dummheit“ relativ ist. Viele Unfälle passieren aus Unwissenheit oder weil sich jemand auf seine Arbeit konzentriert. Ich lache nicht über Unfälle, ich kläre aber gerne darüber auf. Manchmal auch schräg: Mit der Band „Patenbrigade: Wolff“ habe ich sogar eine ganze CD nur mit realen Baustellenunfällen gemacht.

Fine Tobacco: Wie verhält sich das menschliche Gehirn nach Gewaltverbrechen?
MB: Es hat die Eigenart, im Angesicht von Dingen die wir nicht kennen, automatisch auf Bekanntes zu schalten. Mental springt der Täter auf das letzte Vernünftige oder Soziale, an das er sich noch erinnern möchte, zurück; weil er sich dann nicht mit seiner Tat befassen muss. Angesichts dessen, was man da am Tatort sieht, sind diese angeblichen „Erinnerungen“, eher wohl Wahrheitsverbiegungen und oft völliger Nonsens. Was zum Beispiel wirklich passiert ist: Ein Mann hat seine Frau in den Rohbau des gemeinsamen neuen Hauses gelockt und sie mit einem dort liegenden Eisenrohr erschlagen. Die Geschichte, die er erzählt: Sie ist ausgerutscht und mit dem Kopf auf das am Boden liegende Rohr gefallen. Anhand der ganzen Spuren erkennt man aber, dass diese Aussage kompletter Unsinn ist. Viele Täter, auch bei Sexualdelikten, glauben irgendwann an ihre eigene Quatschversion. Genau genommen stricken wir uns ja alle irgendwelche Lebensmärchen zusammen. Und das Gehirn macht es sowieso automatisch, sozusagen als Rettungsmechanismus, damit wir noch funktionieren, falls etwas Ungewohntes passiert. Für den nicht psychopathischen oder antisozialen Täter ist es das Ungewohnte, dass er jemanden umbringt. Diesen Mechanismus im Hirn hat man bei Schizophrenen und bei „normalen“ Menschen im letzten Jahr sogar im Experiment gemessen.

Fine Tobacco: Auf welcher Heiterkeitsskala war Deine Untersuchung von Hitlers Schädelfragmenten? Da lief ja auch nicht alles glatt?
MB: Die lagen in Russland in einer 5 1/4 Zoll-Diskettenbox und waren sicherlich von Dutzenden ohne Handschuhe angefasst worden. In dem Moment ist das für einen Spurenkundler der Supergau. Ich bin ja der einzige, der in Deutschland dafür öffentlich bestellt und vereidigt ist und zwar für die gesamte kriminaltechnische Auswertung von allen biologischen Spuren. Im Gegensatz zu anderen hafte ich auch vollständig dafür. Da kann es schon vorkommen, dass man während der Arbeit eine Klammer im Brustkorb hat, weil man sich die ganze Zeit denkt „Hoffentlich machen die jetzt nicht noch mehr Scheiß und vernichten weitere Spuren!“ Als ich an dem Projekt in Moskau gearbeitet habe, fragte ein Kameramann, der die Arbeit begleitet hat, ob er eine Militäruniform anprobieren dürfte; der Archivar oder Agent in der FSB- (ehemals KGB-) Zentrale hatte nichts dagegen. Es stellte sich heraus, dass das Goebbels‘ Uniform gewesen ist. Spätestens da ist mir klar geworden, wie gedankenlos dort die Überbleibsel Hitlers samt Anhang behandelt worden waren und dass der nachlässige Umgang mit Beweisstücken nicht nur jetzt, sondern schon immer so stattgefunden hat. Dass wirklich alle die Teile angefasst haben – diese verzweifelte Erkenntnis kippte irgendwann in eine heitere Akzeptanz: „Et is wie et is.“ Aber mir wäre es trotzdem lieber, wenn ich in nicht so heiterer Stimmung wäre und in Ruhe meine Arbeit machen könnte.

Fine Tobacco: Ärgert es Dich, wenn Spuren verwischt sind?
MB: Natürlich. Ich bin aber auch Kölner und die sagen: „Et hätt noch emmer joot jejange“ – es ist noch immer gut gegangen. Das kölsche Grundgesetz ist ja ein fatalistischer Opportunismus – so nenne ich das jedenfalls. Mit dieser Einstellung muss man auch an die Tatorte gehen. Du kannst es sowieso nicht ändern, wenn irgendetwas schief gegangen ist. Ich bin ja auch oft in Ländern, die nach Eigenbeschreibung zur „Dritten Welt“ gehören, wobei ich dazu lieber „sich entwickelnde Länder“ sage, weil da mehr Eigeninitiative mitschwingt. Da kann es auch tragikomisch sein, wenn ich bei einem Tatort ankomme und man mich flüsternd fragt, ob das jetzt wirlich die Tat einer Hexe war. Ich glaube Humor und Heiterkeit ist daher nicht der richtige Begriff. Eher „grotesk“ und „gut zum opportunistischen Fatalismus“ passend. Man lernt die Dinge zu nehmen, wie sie sind.

Fine Tobacco: Gab es mal einen Tatort, an dem Du nichts mehr lesen konntest?
MB: Nein. Das gibt es nicht. Selbst wenn die Spuren verwischt sind, ist das auch schon wieder eine Spur. Aber manchmal wird es irre: Im Kölner Dom wurden einmal so genannte Königsgräber geöffnet. Dort haben sie mich auf einem Rollwägelchen rein geschoben, wie ein Automechaniker auf dem Rücken liegend. Innen war alles sauber. Auf meine Frage: „Ich soll doch hier Spuren untersuchen. Was soll ich denn jetzt ansehen?“ sagte man mir: „Wir dachten, bevor Sie kommen, machen wir erstmal sauber.“ Normalerweise wissen die Mitarbeiter im Kölner Dom, wie man arbeitet. Aber mikrospurenkundlich hatten sie sich dann doch keine Gedanken gemacht. In so einem Fall entsteht wenigstens nur ein kunsthistorisch-spurenkundlicher Schaden, über den man nach ein paar Jahren auch schmunzeln kann.

Fine Tobacco: Das erinnert an Joseph Beuys’ „Badewanne“, die von zwei SPD-Mitgliedern geputzt wurde, weil sie nicht wussten, dass es sich um ein Kunstwerk handelt...
MB: Ja, oder seine „Fettecke“ in der Düsseldorfer Kunstakademie, die der Hausmeister entfernt hat – diese Geschichten habe ich schon als Kind aufgesaugt. Ich finde aber, dadurch entwickelt sich das Kunstwerk weiter, selbst wenn es weggewischt wird. Ich habe gerade ein paar Kunstwerke gekauft, auf denen sind Kaffeeflecken und Kratzer. Das ist halt so und das ist in diesem Fall cool. Als Präparator oder Restaurator findet man so was natürlich scheiße. Aber bei Beuys hat das Universum sicher geschmunzelt, weil es der Kunst mehr gebracht als geschadet hat. An einem Tatort schmunzelt natürlich niemand, weil man durch weggewischte Hinweise den Angehörigen weniger helfen kann. Wir helfen den Lebenden, nicht den Toten. Letztlich können wir ohne Spuren auch weniger Prävention machen.

Fine Tobacco: Dir geht es also darum, Handlungsmuster und Verhaltensstrukturen erkennbar zu machen? Dass es dann gar nicht erst zu einer Tat kommt?
MB: Genau.

Fine Tobacco: Klingt ziemlich utopisch – die menschliche Natur neigt schließlich zu Gewalttaten...
MB: Manchmal kann man schon die nächste Tat verhindern, wenn man bei Serientätern auf scheinbar unwichtige Details achtet. Beispielsweise der Kolumbianer Luis Garvito, der über 300 Kinder ermordet hat. In seiner Zelle hatte ich ihn gefragt, warum er am Tatort immer Kronkorken und /oder Schnapsflaschendeckel liegen ließ. Seine Antwort: „Ich hab da einfach gesoffen.“ Das war für mich unheimlich interessant, weil mir da klar wurde, dass die Leute wirklich total dysfunktional sind. Auf eine kranke Art wirkt ihre Tat auf sie innerlich „erlösend“, aber es macht ihnen trotzdem nicht wirklich Spaß. Sie stellen uns auch immer die Frage: „Warum bin ich so?“ Das ist ein sehr guter Ansatzpunkt, von dem aus man mit solchen Menschen manchmal reden kann. Das funktioniert nicht nur bei Psychopathen, sondern auch bei Pädophilen: dadurch konnte man Therapieprogramme wie „Nicht Täter werden“ ableiten, wodurch die Zahl der Delikte zurück ging.

Fine Tobacco: Wie reagieren eigentlich Betroffene?
MB: Es gibt viele Angehörige, die unheimlich „tough“ sein können. Vorausgesetzt, sie sind bei gesundem Verstand und die Schuldfrage spielt keine übergeordnete Rolle. Denn die ist meistens das Problem. Da kommen zum Beispiel Großeltern mit einer abstrusen Geschichte zu mir: Die Porno-Mafia habe ihr Enkelkind in Thailand entführt und man müsse es suchen. Fakt ist: Sie hatten „den Kindern“ eine Pauschalreise gebucht und das Enkelkind ist mit den Eltern beim Tsunami ertrunken. Sie besorgen sich dann Fotos der verfaulten Leichen, beharren aber auf ihrer Theorie und lassen sich von „Privatdetektiven“ auf der Suche nach den angeblich Entführten komplett abzocken. Andere reagieren weniger verzweifelt, aber richtig, und gehen sogar an Orte, wo man keinen normalen Menschen hinschicken würde, um wichtige Spuren zu beschaffen. Fahren quer durch Europa. Das finde ich beeindruckend. Solche Menschen schimpfen nicht auf „die Unfähigkeit von denen da oben“, sondern nehmen Dinge selbst in die Hand. Uns gegenüber offenbaren sich „Normalos“ oft als stärkere Persönlichkeiten als die Jungs mit dem knallharten Auftreten. Dazu gibt es ein altes Lied von Paul Young: „Living in the love of the common people“. Erstrebenswert! Normale Leute sind nicht authentisch, weil sie so sein wollen, sondern weil sie es einfach sind.

Fine Tobacco: Eine ganz andere Frage: Wenn man Dich oberflächlich betrachtet, könnte man sagen, dass Du – als tätowierter Veganer, der sich für Vampire interessiert – voll im Trend liegst. Bist Du total hip?
MB: Ich glaube Tattoos sind als Thema in der Gesellschaft jetzt komplett durch. Es hat sich in drei etablierte Felder aufgespaltet: Als reine Gebrauchskunst – „Ich lass’ mich verzieren, kann ich dann auch wieder weglasern lassen“. Dann die Oberliga, bei der es sich tatsächlich um Kunst handelt, auch avantgardistisch. Und dann noch die grottigen oldschool-„Knast-Tattoos“. Alle drei Bereiche entwickeln sich getrennt voneinander weiter, fast ohne Überschneidungen. Insgesamt sehe ich jetzt weniger Tattoowierte als früher. Veganismus ist ein Trend in Großstädten wie Berlin, Stuttgart, Köln... Da ich bei PETA Kampagnen mitmache, verteile ich viele Flyer und Aufkleber zu dem Thema. Der beliebteste Aufkleber ist aber ein Schweinchen, das aussieht wie eine Mortadella-Wurst. Das sind weniger Vegetarier oder Veganer, die den mitnehmen, sondern Menschen, die nur gegen schlechte Fleischqualität sind: Ich denke das ist die Bewegung, die de facto übrig bleibt. Die ursprünglich tierrechtliche Veganer-Geschichte ist auf dem Rückzug. Ich esse zwar keine Tierprodukte, aber die Berliner Hipster-Fünf-Sterne-Vegan-Läden meide ich genauso. Einmal sind wir ahnungslos in einen reingestolpert, es war ein lächerlicher Alptraum. Ich mag lieber die punkigen Schuppen, in denen es um Tierschutz geht als die Yuppie-Buden.

Fine Tobacco: Du hast eingangs erwähnt, dass Du inzwischen E-Pfeife rauchst. Hat die analoge Pfeife bei Dir ausgedient?
MB: Wir hatten die letzten anderthalb Jahre eine Mördertournee und waren immer auf Achse. Ich hatte meine Pfeifen mitgenommen, aber mir ist immer der Tabak vertrocknet. Ich habe viel rumgetüftelt und verschiedene Befeuchtungssysteme ausprobiert. Aber das hat alles nicht funktioniert und es krümelte nur den Koffer voll. Jedenfalls bin ich jetzt bei der E-Variante gelandet. Das ist natürlich kein Vergleich. Aber ich habe jetzt eine, die musst du nicht immer ein- und ausschalten, ein recht schönes Modell. Eine normale Pfeife möchte ich ganz in Ruhe rauchen und wenn man todmüde von einem Hotelbett ins andere fällt, geht das nicht und der Genuss kommt zu kurz.

Fine Tobacco: Leidet eigentlich Dein Geruchssinn unter Deinem Beruf oder profitiert er?
MB: Ich bekomme unheimlich viele Informationen über den Geruch. Wenn am Tatort viel Blut ist, das trocknet, hat man nach einiger Zeit den Geschmack im Mund. Ich kann auch Rotweinsorten sehr gut unterscheiden, weil ich über die Jahre sehr viel stärker darauf geachtet habe. Für den letzten Forensik-Sommerkurs hatte ich auf den Balkon verwesende Hühner gestellt. Und plötzlich waren da ganz andere Fliegen als sonst. Wir hatten uns – typisch für Biologen – überlegt, woran das liegt. Weil es Richtung Süden ist? Liegt es daran, weil sich unter dem Balkon in der zweiten Etage nichts befindet? Liegt es daran, dass es Hühnchen statt Menschen sind? Das war interessant für uns. Und der Geruch spielt natürlich auch eine Rolle. Letztlich waren zwei Faktoren entscheidend: Dass sich das Fleisch in der zweiten Etage befand und dass es an diesem Tag heiß war. Man muss alles mit einbeziehen: Umwelt, Windgeschwindigkeit, Geruchsverbreitung...dabei hilft die Nase schnell und präzise.

Fine Tobacco: Fehlt noch das Thema Vampire...
MB: Ein absolutes Nischenthema. Ich werde da im Alltag tatsächlich nie darauf angesprochen – nie! Die Skeptiker machen das manchmal auf Konferenzen. Meine Frau und ich hatten 2015 die erste große, europäische Studie über Vampire herausgebracht – sie hat geschrieben, ich habe redigiert. Wenn wir dazu Veranstaltungen machen, kommen aber nur Gruftis und ein paar Normalos. Das sind die am schlechtesten besuchten Veranstaltungen von allen. Wenn du mit solchen Themen die Tiefen ausloten möchtest, merkst du, dass das vielen Leuten zu sehr ins Detail geht. In einem Subkultur-Vampirkongress geht es eher um Bindungsprobleme oder um nerdige Filmthemen, und den meisten gehen die Vampir-Motive doch zu sehr an die Extreme dessen, was man von sich selber noch wahrhaben möchte. Selbst Experten wie Religionspsychologen oder ParaforscherInnen, die dem Thema am nächsten sein sollten, ist das oft zu grenzwertig. Frauenzeitschriften suchen sich höchstens die Romanze raus, wie bei „Vampire’s Diary“. Das ist der Soap-Aspekt. Der Rest wird nie angesprochen und ist offenbar zu gruselig, „weird“ oder uncool.

Fine Tobacco: Also „Dracula Light“?
MB: In Romantik-Schnulzen eher „Dracula Zero“ (lacht)

Fine Tobacco: Was sind Deine Aufgaben als Präsident der „Transylvanian Society of Dracula“?
MB: Die Leute zusammenbringen. Die „Transylvanian Society of Dracula“ vereint seit vielen Jahren Interessierte und veranstaltet Kongresse: Musiker erzählen was über Moll-Akkorde in Horrorfilmen, Historiker referieren über den echten „Dracula“ Vlad Tepes, ein Architekt spricht über Gruselschlösser in Horrorromanen – die gibt es nämlich wirklich: Schlösser von Fürstentümern, die in größere geographische Gebiete zusammengefasst wurden und dann leer standen. Und darin lebte tatsächlich das letzte Haushälterehepaar. Früher haben wir uns immer in Transsilvanien getroffen; jetzt treffen wir uns auch mal in anderen schönen Locations. Aber inzwischen kümmere ich mich mehr um die Subkultursachen. Meine Frau und ich versuchen die Subkulturellen und die WissenschaftlerInnen zusammen zu bringen. Also, letztendlich eine Netzwerks- und Kongressarbeit.

Fine Tobacco: Nach der Silvesternacht und Karneval: Ist Köln eine Stadt der Widersprüche?
MB: Eigentlich nicht. Letztlich fließt immer alles zusammen, was gegensätzlich erscheint. Das beste Beispiel ist das große Richter-Fenster des Kölner Doms: Der Künstler Gerhard Richter hat die farbigen Vierecke zufällig angeordnet und die ZEIT schrieb: „Wer sich darin vertieft, mag den Eindruck bekommen, als sei das stolze mittelalterliche Kirchenschiff auf seiner langen Kreuzfahrt durch die Geschichte an einer Stelle angelangt, wo sich die Welt draußen als Pixelchaos darstellt.“ Neulich stand ich im Dom, als eine Führung vorbeikam und ich ein abenteuerliches Lügenmärchen hörte. Die Dame erzählte: „Jede Farbe steht für einen katholischen Märtyrer. Und immer wenn die Sonne scheint, flutet das Licht Gottes durch die Märtyrer in die Herzen der Menschen in der Kirche.“ Das hat die sich einfach ausgedacht! Weil Christen ja nicht hören wollen, dass irgendwas Zufall ist, nach dem Motto „Gott würfelt nicht!“. Und dann springt das Hirn eben auf Bekanntes in ungewohnten Situationen, die Frau kriegt eine Mikroschizophrenie und erfindet sich ihre eigene Wahrheit, von der sie glaubt, sie erzählen zu müssen. Aber das ist eben kölsch, dass keiner zu ihr geht und sagt: „Sie können den internationalen Gästen doch nicht so einen Kappes erzählen!“ Jeder steht daneben, schmunzelt und geht seines Weges.

HINWEIS: Mark verwendet schon lange kein Leder mehr; die Redaktion hat für den Artikel alte, aber gute Fotos ausgesucht.

Mit großem Dank an Elmar Schalk und die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.