Quelle: Tätowiermagazin 07/2012, Seite 144
Familienbande
Kolumne mit Mark Benecke
Von Mark Benecke
Liebe, Freundschaft und tätowierter Zusammenhalt sind die Themen dieser Kolumne im Geiste Herbert Hoffmanns. Öfters muss man für solche Werte kämpfen oder zumindest einen Preis bezahlen. Manchmal ist das der Familienfrieden.
Meine langjährigste ehemalige Mitarbeiterin Saksia aus dem kriminalbiologischen Labor machte es vor. Erst hatte sie die Schnauze voll von forensischer Mangelwirtschaft und suchte sich einen normal bezahlten Job in der angeblich freien Wirtschaft. Zugleich gab es weitere Veränderungen: Saskias Gatte Martin schloss seine genetische Doktorarbeit mit Bravour ab, die beiden sind umgezogen, ihr Bruder ist auffe Arbeit nach Irland entschwunden, die Eltern gründeten einen neuen Wein-Laden und der Hund bekam einen Kastrations-Chip. Einiges los also.
In diesen turbulenten Zeiten erblühte in Saskia die Idee, etwas symbolisches für die Keimzelle von allem, nämlich die derzeit etwas verstreute Familie zu tun. Natürlich durch Tattoos! Das einzig Dumme daran: Saskias Mutter findet Tinte in der Haut so prickelnd wie Sprudelwasser, das man mit einer fettigen Gabel durchgerührt hat. Selbst zwei saugeile Pieces auf ihrer Tochter, darunter eine blaue Schmeißfliege und eine Piratin, alleredelst gefertigt von The Sinner and The Saint aus Aaachen sowie die Bekanntschaft mehrerer tätowierter AkademikerInnen konnten Muttis Urteil nicht ändern. O-Ton: “Kind, seit Du Tattoos auf den Armen hast, ist es für mich so, als ob Du gar keine Arme mehr hättest.” Harte Worte für das sonst so tolerante Rheinland.
Doch wer wäre Saskia, die sich schon durch über zehn brotlose Jahre in kriminalbiologischen Labors gebissen hatte, wenn sie nun einfach aufgäbe.
Ihr Vater hatte des öfteren nach ein bis zwei Gläschen Bier davon gesprochen, trotz des Widerwillens seiner Ehefrau gerne tätowiert zu sein. Der Zufall (hust) wollte es, dass in meinem Regal ein Maschinchen namens “Forensic Tattoo” wohnt, das zweierlei kann. Erstens: Tattoo-Jungfrauen erklären, wie eine Spulenmaschine arbeitet, und zweitens: Meinen FreundInnen ermöglichen, in geselliger Laune Mini-Stern-Schneeflocken (oder wie man die aus drei geraden Strichen zusammengekritzelten Dinger nennen will) auf meinen Rücken zu hacken. Ja, nur so aus Scheiß. Ja, das ist unvernünftig. Ja, es macht trotzdem Spaß.
Saskia hatte mit der “Forensic Tattoo” höheres vor. Einer ihrer Diplomandinnen besaß bereits einen mit der Single Needle von Saskia gefertigten, sehr sehenswerten, tätowierten Stempel-Abdruck auf den Fuß und eine andere einen Popeye-Anker auf dem Handgelenk. Jetzt schlug auch für ihren Dad die tintene Uhr.
In einem Anflug wilden Lebens erklärte der sich nämlich endlich bereit, wenigstens die Namen seiner lieben Kinder tätowiert zu kriegen. Wer das Tattoo allerdings stechen sollte, blieb eine Überraschung. Denn voilá: Saskia persönlich war es, die mit Todesmut den Arm ihres Vaters verschönern wollte. Und es auch tat -- in coolster, schräger, unverwechselbarer und persönlichst möglicher Weise.
Was die tattoofeindliche Familienchefin dazu sagen wird, ist derzeit noch unbekannt. Weder der zuckersüßen Hommage an den eigenen Nachwuchs noch dem starken Arm ihres Gatten dürfte sie sich aber ernsthaft und auf Dauern verschließen...wir drücken die Daumen.
Ach ja, bevor das Geschrei los geht, ob man zuhause tätowieren darf: Ja, darf man. Ganz ausnahmsweise mal. Denn Liebe und Familienbande sind stärker als alles andere - auch als die Vernunft.
Das meint zumindest -
der Eure -
Maggot Man Markito