TV Movie, 1. Juni 2018, Heft 12/2018, Seiten 31—32
Interview: Uta Tiedemann, Fotos: Valery Kloubert; Ullstein; DDP
Dr. Benecke kann nahezu aus allem, was auf einer Leiche bzw. am Tatort krabbelt, frisst oder sich fortpflanzt, Schlüsse ziehen. In seinen 25 Berufsjahren hat er weltweit Leichen und Tatorte untersucht: „Wir könnten uns viel Gelaber sparen und sehr viel mehr Fälle aufklären, wenn die Spuren gründlicher angesehen und besser gesichert würden“.
Dr. Benecke, haben Sie Angst vor Ihrem eigenen Tod?
Nicht, solange er schmerzlos ist. Aus der Nähe betrachtet, verliert der Tod seinen Schrecken. Ich persönlich fühle mich positiv verbunden mit dem natürlichen Recyclingprozess, dem alle Lebewesen unterliegen.
Wie meinen Sie das?
Eine Faulleiche ist nicht mehr und nicht weniger als ein faszinierendes Biotop. Durch die Maden wird aus den Überresten wieder neues Leben. Das ist ein kleines Wunder!
Klingt trotzdem makaber...
Ich bin Biologe, kein Esoteriker.
Gibt es den perfekten Mord?
Jeder Mord, der nicht aufgeklärt wird, ist zumindest aus Tätersicht perfekt. In diesen seltenen Fällen liegt der Erfolg jedoch nicht an der Schläue der Mörder, sondern daran, dass die Spurensucher etwas übersehen haben. Denn es gibt keinen spurlosen Tatort.
Also könnte jeder Mord gesühnt werden?
Das hängt davon ab, aus welchem Milieu einer kommt. Am meisten schützen Macht, Einfluss und Geld. Wer das hat, hat gute Chancen, ohne Bestrafung davonzukommen.
Hört sich frustrierend an ...
Finden Sie? Es ist doch so, dass man sich mit Geld gute Anwälte leisten kann. Das ist schon mal extrem hilfreich.
Und wer nicht reich ist?
Der hat Pech und kommt in den Bau. Umgekehrt ist das genauso: Wird einer ermordet, der für die Gesellschaft nicht so interessant ist, hat weder der Staatsanwalt (noch die Gesellschaft) ein großes Interesse an der Aufklärung. Der hat nur begrenzt Zeit und Geld für Ermittlungen zur Verfügung. Da wird er im Zweifel nicht den Mord an einem Alki im Park untersuchen.
Mörder sind ja meist männlich. Aber wie tötet eine clevere Frau einen Mann?
Vielleicht, indem sie ihn mit ihren Brüsten erstickt? Nachdem ich von einigen Fällen gehört hatte, die auf so eine Art abgelaufen sind, haben wir in meinem Labor Experimente ge macht. Das Ergebnis: Je größer die Brüste, desto leichter saugen Mund und Nase des Mannes das Gewebe fest. Wegen der Sauerstoffarmut geht es dann sehr schnell. Mein Team musste teils nach 20 Sekunden abbrechen, da hatte unser Proband bereits Anzeichen einer Erstickung.
Ihr Interesse gilt an Tatorten und Leichen den Maden. Was verraten Ihnen die Viecher?
Aus dem Alter vorgefundener Maden und Insekten kann ich errechnen, wie lange ein toter Körper schon dort gelegen hat.
Wie sieht Ihre Arbeit genau aus?
Insektenlesen ist eine echte Kniffelei. Man muss wissen, welche Fliegenart bei welcher Temperatur schlüpft, wie das Wetter war, welche Käfer wo vorkommen, wie sich Maden verhalten. Erst dann werden aus stummen Leichenbesetzern hilfreiche Kollegen.
Hört sich ein bisschen so an wie bei „CSI".
Ach, Film-Figuren können ja alles. Spuren sichern, Hubscharuber fliegen, schießen, ermitteln. Und dann sind sie auch noch cool und tragen vernünftige Klamotten. Mir wird im Hubschrauber übel, ich trage abwaschbare Kleidung und Polyesterunterhosen. Damit der Geruch sich nicht so festsetzt. Einen Kaschmir-Pullover könnten Sie nach einer Faul -Leichenbesichtigung wegschmeißen.
Wie ist der Geruch des Todes?
Er ist auf jeden Fall nicht süßlich, nie. Bei frischen, zerstückelten Leichen riecht es wie beim Metzger. Ist ja im Prinzip auch dasselbe. Mumifiziertes Gewebe hat eine muffige, aktive faulende Leichen eine stechende oder würgende Note. Und dann gibt es noch Noten von altem Käse oder von Kot, etwa wenn die Leiche in einer Tonne lag.
Einige Krimi-Klischees: Stirbt man, wenn man Luft in die Adern gespritzt bekommt?
Nur wenn es viel ist. Eine kleine Spritze reicht nicht aus.
Was ist mit der Frau aus dem James Bond Film „Goldfinger", die erstickt, weil sie komplett mit Gold überzogen wird?
Super Story — und völliger Quatsch. Aber die Welt braucht am Feierabend schöne Geschichten, keine drögen Wahrheiten.
Wachsen Nägel nach dem Tod weiter?
Nein. Das sieht unter anderem aber so aus, weil die Haut darunter vertrocknet. Das gilt auch für Haare.
Glauben Sie an höhere Mächte oder über sinnliche Kräfte wie in „Akte X"?
Nein. Ich bin Naturwissenschaftler und Rationalist. Es existiert nur die Wahrheit. Und als Forensiker ist es meine Aufgabe, diese zu fördern. Manchmal ist mir das sogar so wichtig, dass ich Spuren aus sehr alten Fällen auf eigene Faust nachgehe, weil ich schlecht damit leben kann, lösbare Rätsel nicht zu lösen.
Gibt es etwas, vor dem Sie sich ekeln?
Vor Wurst. Das sind Leichenteile. Auch wenn ich sie untersuche: Die Leichen fühlender Wesen esse ich nicht.
Bekommt man durch Ihren Beruf eine andere Einstellung zum Tod?
Ich habe kein Konzept vom Tod. Lieb wäre mir eine Bestattung nackt im Waldboden. Ich wäre dann menschliches Futter für Maden und Aaskäfer, damit ich mich so schnell wie möglich wieder in Leben verwandeln kann.