Stephan Harbort (2004) "Ich musste sie kaputt machen" -- Anatomie eines Jahrhundert-Mörders

uelle: SeroNews 10(1):8-9 (2005)
Harbort S (2004) "Ich musste sie kaputt machen" -- Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (Kroll).
Droste, Düsseldorf, Hardcover, 19,95 €, ISBN 3-7700-1174-0 (Buchbesprechung SeroNews)

Rezension Mark Benecke

Wie schon in seinem Buch "Das Hannibal-Syndrom" legt Stephan Harbort eine im Grunde sehr polizeilich-beschreibende Schilderung vor; diesmal allerdings hat er sich durch die gesamten Original-Akten des Falles Kroll gewühlt, die Geschehens-Orte aufgesucht und mit Zeugen gesprochen. Heraus kommt eine Schilderung, die mir vor allem zeigt, wie viele Unschuldige vor Gericht stehen, wenn ein keineswegs intelligenter, aber bauernschlauer paraphiler Täter durch die Welt streift. Konrad Meckler heißt einer dieser Männer: Er wollte eine "Aus-Zeit vom Leben" und gestand daher eine von Krolls Taten -- um im Knast zu sich zu finden. Unglaubliche Rand-Geschichten wie diese haben mir im Buch gut gefallen. Auch die noch immer umstrittene Frage, ob paraphile Täter ins Gefängnis oder die Psychiatrie gehören, lässt sich am Beispiel Krolls dank der Recherche Harborts gut diskutieren.

Das Anliegen, ein wenig durch die Augen des Täters zu blicken, ist hingegen blass geraten. Der Kannibale Joachim Kroll war halt eine erdrückte, verdruckste und graue Figur, die ihre eigenen Tat-Motive selbst nicht verstanden hat, sondern bloß "ein Kribbeln in der Brust" spürte und dann "poppen" wollte. Da die Frauen das aber nicht wollten, musste er sie vorher "kaputt machen". So schlicht ging es in Krolls Kopf zu, und so farblos muss er daher zwangsläufig bleiben, wenn man die Taten aus seiner Sicht aufrollt. Nur stellenweise blitzt tieferes Verständnis auf, etwa, wenn Gutachter Eberhard Schorsch kurz zu Wort kommt.

Aus mir völlig unerklärlichen Gründen ist das Ganze in eine Dramaturgie gepackt, die in einem Sachbuch unnötig ist, umso mehr, als die jahr(zehnte)langen Ermittlungen für sich genommen nervenzerfetzender nicht sein könnten. Immer wieder bricht aber der Erzählfaden zugunsten von drehbuchartigen cliffhangern ab, was mich als Leser wahnsinnig macht. Ein weiterer Roman-Trick: "Er hielt ein Beweismittel in Händen, dem später entscheidende Bedeutung zukommen würde." -- Welches, das wird erst später verraten, wenn die Erzählung schon längst fortgeschritten ist. Argh!

Unschön sind auch immer wieder verwendete Stereotypen: Zeitungen sind die "Journaille", die BILD ist blutgierig und der/die EXPRESS "schreibt eine Fortsetzungsklamotte", während die Ermittler fleißig und "wacker" sind. Räusper! Ansonsten "platschen Schweißtropfen auf den hölzernen Fenstersims" und Kinder stürzen wegen der Hitze "hastig ein Glas hinunter". Platschende Schweißtropfen?

Ein Sach- und Namens-Register gibt's leider auch nicht. Und das, obwohl Harbort das erste und einzige Buch zum leider vergessenen Fall Kroll geschrieben hat... Ich werde den Pitaval natürlich trotzdem in meine Sammlung aufnehmen -- dass ich aber Hunderte von Zetteln in das Buch kleben musste, um den Fall nachträglich wieder zeitlich und sachlich in eine Reihenfolge zu sortieren, dafür schuldet mir der Autor viele, viele, viele Biere.