Silikon, ein unterschätztes Abformmittel
Quelle: Der Detektiv, Ausgabe 02/2012, Seiten 7-9
Von Mark Benecke und Kristina Baumjohann
Eine viel zu selten in der Kriminaltechnik, Kriminalbiologie und
Rechtsmedizin eingesetzte Methode der Spurenabformung ist die anhand von
Poly(organo/vinyl)siloxanen (Silikon). Dabei kann buchstäblich jede Art
von Oberfläche bis hin zu Hautleistenabdrücken und sogar gedruckte
Schrift abgeformt werden. Die Zweikomponentenanwendung des Silikons
(bspw. mit Mikrosil) erfordert normalweise etwas Übung, da das Silikon
sehr schnell abbindet und daher aus zwei Tuben stets neu angemischt
werden muss. Wir testeten ein neues Produkt (vermarktet bspw. als
Reprocast und Accutrans), bei dem das Mischen entfällt, da die
Komponenten automatisch, im richtigen Verhältnis und zielgerichtet
anhand von Einweg-Spitzen auf die Spur gelangen. Zudem ist das Produkt
in mehreren Farben erhältlich, so dass beispielsweise verschiedene
Farben von Latentspurenpulver (weiss, silber, gelb usw.) kontraststark
abgebildet werden können.
In einer Versuchsreihe prüften wir die Eigenschaften eines Silikongemisches auf seine Qualität, Robustheit und besonders seine Anwenderfreundlichkeit im kriminaltechnischen Laborumfeld. Bei Raumtemperatur fertigten wir Abdrücke von verschiedenen Oberflächen, darunter auch gekrümmte Oberflächen und mehrfarbig tätowierte Haut, deren Feinstruktur auf Fotografien nicht abgebildet werden kann. Hier ist besonders an Bissspuren, Narben, heilende Wunden, Kratzer und ähnliches auch im Bereich der rechtsmedizinischen Dokumentation zu denken.
Zum Abformen verwendeten wir beispielhaft:
- Hammer (Typenbezeichnung, Schlagfläche)
- Ausweis mit eingedruckter Schrift und Prägepunkten
- tätowiertes Handgelenk mit Knöchel (krumme Fläche, Hautstruktur wegen der dunklen Farbverläufe nicht fotografierbar)
- Fingerabdruck auf gekrümmtem Boden einer Sprühdose.
Als Trocknungszeit wählten wir 5 Minuten. Die Hersteller geben für 20°C vier Minuten, für 10°C acht Minuten an.
Ergebnis:In allen Fällen konnte die Oberfläche verlustfrei und vollständig dargestellt werden. Auch bei Vergrößerung mit einem Leica Mz 12.5-Binokular waren alle Merkmale beispielsweise des Fingerabdruckes bis ins Details sichtbar und konnten zudem problemlos in einer geraden Fläche gebogen werden. Die Abformung von der Schlagfläche des Hammers erfolgte ohne dass die daran haftende biologische Spur mit abgezogen wurde. Die Vorteile der Methode, auch gegenüber der Fotografie, sind:
Die Trocknungszeit genügte für dünne Schichten (<1 mm, etwa auf
Papier) ebenso wie für dicke Schichten des Silikons (bis 5 mm,
beispielsweise bei Typenbezeichnung des Hammers). Eine Mindestdicke von
> 1 mm empfiehlt sich aber, um ein mögliches Zerreißen bei größeren
Flächen (Ausweis) zu verhindern. Einzig wichtig ist, dass das Silikon
sofort verstrichen wird, und zwar aus einer einzigen Auftragung heraus,
nicht aus spiral- oder bahnförmig aufgebrachtem Silikon. Dabei können
sehr kleine Luftblasen entstehen, die hinterher blinde Stellen erzeugen.
Einige Hersteller des Silikons bieten mittlerweile Aufsätze an, die das
sofortige Verstreichen direkt mit einer verbreiterten Spritzenspitze
oder zum Auftupfen für Fingerkuppen ermöglicht, so das Anwendungsfehler
selbst für ungeübte Personen aus anderen Dienststellen unmöglich sind.
Versuche von Kollegen zeigen, dass auch problemlos Früchte, Blutspuren, Patronen, Münzen usw. abgeformt werden können (Frost 2005), ebenso wie die Fingerkuppen einer Eisleiche mit Liegezeit von sechzig Jahren, die zum Zeitpunkt des Fundes praktisch keine erkennbaren Hautleisten mehr aufwies (Loreille et al. 2010). Die Unempfindlichkeit des Silikons gegen extrem verschiede Oberflächen können wir bestätigen. Uns gelang es beispielsweise problemlos, auch die Oberfläche einer Schmeißfliegenmade abzuformen. Die Made blieb dabei, also auch beim Abziehen des Silikons, unbeschädigt.
- Mischen nicht erforderlich
- Methode ohne Übung anwendbar
- vor Gericht vorzeigbares und anfassbares Probestück (Problem des blutigen Messers), ohne dass die Spur verändert wird
- gewölbte Flächen abformbar, auch bei Fingerspuren, was fotografisch schwierig sein kann
- Hautleisten auch von spiegelnden Oberflächen und teils auch von Haut des Opfers abformbar
- sehr kurze Trocknungszeit (maximal fünf Minuten), daher auch kein versehentliches Verschmieren
- sauberer schneller Austausch der Farb-Pistolen wäh- rend der laufenden Arbeit beliebig oft möglich
- Verstreichen des Silikons mit jedem Beliebigen Gegenstand (Handschuh, Kaffeerührer, Holz usw.)
- sehr gute, rückstandsfreie Ablösbarkeit des Silikons, auch von Kleidung, Papier usw.
- sehr stabiles, biegbares, auch gegen Dehnung unempfindliches, robustes Beweismittel
- 1:1-Abbildung
- keine Verfälschungen der Oberfläche
- schnelle Vorab-Vergleiche, ohne das Asservat hervorholen zu müssen (bspw. andere Dienststelle, Gericht, Altfälle)
- Abformung von großen Automaten, Steinblöcken, Wänden, Böden, Schmuck usw. auch ohne Heraus- sägen des Spurenträgers möglich
- Abformung von lebenden Personen (Haut usw.) möglich
- bei transparentem Silikon entfällt die Spiegelung von Fingerabdrücken.
Die Spritzpistole ist leicht, aus stabilem, dickem Plastik gänzlich
ohne zerbrechliche Teile gefertigt. Mit und ohne eingelegte
Silikon-Patronen ist das System sehr platzsparend und auch in beengten
Tatortfahrzeugen gut lagerbar; die Spitzen sind ebenfalls bruchfest. Ein
gesonderter Koffer ist zur Lagerung und Mitnahme nicht notwendig.
Es handelt sich hier um ein ausgereiftes Produkt, das
uneingeschränkt für den Routinebetrieb, besonders auch in Hinblick auf
die Präsentation vor Gericht, zu empfehlen ist.
Literatur
Frost DJ (2005) Clearly Superior Recovery. Evidence Technology Magazine 11/12--2005, S. 32-35
Loreille O, Parr RL, McGregor KA, Fitzpatrick CM, Lyon C, Yang DJ, Speller CF, Grimm MR, Grimm MJ, Irwin JA, Robinson EM (2010) Integrated DNA and Fingerprint Analyses in the Identification of 60-Year-Old Mummified Human Remains Discovered in an Alaskan Glacier. Journal of Forensic Sciences, Vol. 55, S. 813-818
Mit herzlichem Dank an Cornelia Haupt für die Freigabe und die Erlaubnis zur Veröffentlichung.