Zur Phänomenologie einer Zeitströmung.

Quelle: Kriminalistik 51 (1997), S. 475-479, hier gibt es den Artikel als .pdf

Techno. Zur Phänomenologie einer Zeitströmung.

Techno. Phenomenology of a prevailing trend.

Von Mark Benecke

Zur diesjährigen Berliner Love Parade werden eine Million Teinehmer erwartet. Die Parole der Veranstalter wendet sich offenkundig an Exstasy-Konsumenten: „Let the sun shine in your heart.“ 1989 hatte es mit dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ begonnen und jetzt beruft sich die „Raver-Familie“ sogar auf den Bundespräsidenten. „Wir machen genau das, was der Bundespräsident kürzlich angemahnt hat: Nicht ständig wehklagen, sondern optimistisch in die Zukunft schauen.“ Eine begrüßenswerte Erscheinung, diese Techno-Welle?

Gegenüber den Jugendsubkulturen, die unter dem Begriff Techno (auch Tekkno) zusammengefaßt werden, besteht allgemein eine ängstliche Voreingenommenheit. Drogen, sexuelle Ausschweifung und schrille Clubs sind die Zutaten des Bildes, das sich Erwachsene von der Partywelt der "Tekkno-Kids" machen. Auf eigener Anschauung beruht dieses Szenario meist nicht: Zu jung, zu "abgespaced", zu weit entfernt kommen vielen Eltern ihre feierfreudigen Nachkommen vor - der Blick hinter die Kulissen der neuen Partykultur bleibt jenen daher meist verwehrt.

Ausgehend von einer halbqantitativen Untersuchungsmethode (vgl. dazu Lautermann 1994), die der Autor dieses Artikels anhand mehrstündiger Gruppengespräche mit Ravern (Tekknopartygängern) im Frühjahr 1996 sowie eigener Partybesuche im Jahr 1997 durchführte, sollen in der folgenden, kurzen Momentaufnahme schlaglichtartig einige aus eigener Anschauung gewonnene Facetten der noch relativ neuen jugendkulturellen Strömung beleuchtet werden.

Die hier vorgestellte Skizze kann durch weiterführende Informationen zum Thema "Tekkno und Drogen" in einer detaillierten, systematisch-quantitativen Studie bei Schuster & Wittchen (1996) sowie einer Übersicht über Designerdrogen bei Forstenhäusler (1993) vertieft werden. Psychodynamische Aspekte des Ecstasygebrauchs beleuchtet Kuntz (1997), Insider- bzw. Detailinformationen enthalten die Broschüren des akzept e.V. (1996) und des Büros für Suchtpävention (1995). Ein aktuelles Projekt zum Status des Ecstasykonsums wird zur Zeit vom Arbeitskreis Ecstasy (Ansprechpartner: Dr. Hildegard Grass, Institut für Rechtsmedizin der Universität zu Köln) vorbereitet.

Die im folgenden kursiv gesetzten Zitate ohne Quellenagabe stammen aus Interwiews, die der Autor mit drei langjährigen Raverinnen bzw. Ravern aus Köln geführt hat (Benecke 1996) - Köln ist neben Frankfurt und Berlin eine der drei Tekkno-Hauptstädte Deutschlands. Alle in den Gesprächsprotokollen in eckige Klammern gesetzten Worte sind Ergänzungen des Autors.

Das Lebensgefühl: Vereinigung von Wirklichkeitssplittern

Die unter dem Sammelbegriff "Techno" seit Ende der achtziger Jahre zusammengefaßten Szenen verstehen sich selbst als lebendig, friedlich und spaßorientiert. Im Gegensatz zu früheren Jugendsubkulturen (z.B. Rocker, Punks) pointieren Tekkno-Anhänger (Raver) Lebensgrundeinstellungen, die sich sehr stark mit einigen in Deutschland allgemein anerkannten oder geforderten gesellschaftlichen Grundsätzen bzw. Realitäten decken: Leistungsprinzip, Selbstbewußtsein, Schnellebigkeit, Jetztbezogenheit, Desinteresse an Tagespolitik, dafür jedoch an politischer correctness.

Jürgen Laarmann, der Herausgeber der führenden Szene-Zeitschrift frontpage, schreibt: "Das Leben in der Raving Society war immer auch ein Leben in der wirklichen Gesellschaft. Der Alltag zwingt einen, die gesellschaftlichen Realitäten anzuerkennen. (...) Dabei gilt natürlich die Regel: Finde den kleinstmöglichen Kompromiß. Sei Dir bewußt was das Real Thing ist und was Du willst. Finde raus, wie man den Kompromiß so klein wie möglich halten kann." Und zur szeneeigenen Schnellebigkeit meint der Chikagoer Tekkno-Diskjockey DJ Rush: "Es passiert so viel in der Welt, vielleicht bin ich morgen tot, also warte ich lieber nicht, bis ich 50 bin, denn schließlich geht's vor allem um die Dinge, die jetzt passieren."

Als besonderes Merkmal der "Raving Society" sticht deren Wunsch nach liebevoller Zuwendung hervor. Dieser Wunsch kann als Antwort auf die familiäre Vereinzelung vieler Jugendlicher aufgefaßt werden. Es ist kein Zufall, daß die größten Tekknoversammlungen, die hunderttausende feiernd auf die Straße bringen, "Love Parades" genannt werden. Die Parallelen zu anderen Jugendkulturen, z.B. zur 10-14 jährigen Fangemeinde der vielköpfigen Musikerfamilie Kelly Familiy, deren Popularität ebenfalls auf dem Wunsch nach einer Geborgenheit bietenden Gemeinschaft verstanden wird, sind unübersehbar und zum Teil fließend. Dieser Aspekt wird auch von Kuntz (1997) treffend beleuchtet. Daß beim Tekkno neben der durch Drogen geförderten "Öffnung des Herzens" auch eine "narzistische Lust am eigenen Körper" (Kuntz) besteht und gefördert wird, entzieht sich jedoch der Einsicht der Raverinnen und Raver. Entsprechend selbstbewußt lautet eine der Maximen des Tekkno: "Zustände schaffen, die der eigenen Vision am nächsten kommen" (frontpage-Macher Laarmann).

Das Element des Fließens und Sich-Wandelns spiegelt sich übrigens nicht nur in der eigenen Biografie und dem Lebensstil der Tekknogänger wider, sondern öfters auch in grafischen Elementen auf CD-Covern und Flugblättern mit Partyterminen (Flyern) in Form von Strudeln, Tropfen, Blasen und dergleichen. Auch "fließende" Partykarrieren, in deren Verlauf die Tekknoszenen nur gestreift werden, gibt es häufiger.

Die Sub-Subkulturen

Im Verständnis der Raver existiert eine einheitliche Tekknoszene nicht. Dies ist für viele Erwachsene nicht nachzuvollziehen, wie zum Beispiel die folgende Äußerung einer Raverin zeigt.

Ich mein', ich brauch' doch nur die Läden in Köln anzugucken, [da] könnt' ich heulen. Und dann wird sowas im Fernsehn gezeigt, und dann denkt meine Oma, daß ich auch so bin. Ich kann ja schlecht jedem erklären, wo der Unterschied zwischen House, Acid und Gabba ist. Und dann sag' ich einfach Tekkno.

Die Auftrennung der Tekknoszene in Unterkulturen spiegelt sich in der Bevorzugung gewisser Musikrichtungen (Drum&Bass, Elektro, Trance, Goa, Gabba, Cybertechno, Slammin House, Oldschool, Minimal Techno, Electro Freestyle usw.), bestimmter Drogen (hier ist die Auswahl jedoch weniger differenziert und zudem vom Angbot bestimmt) und zum Teil auch der Kleidung wieder. Dabei dient die Kleidungswahl, wie in anderen Jugendkulturen, vor allem der Abgrenzung gegenüber den Erwachsenen und weniger gegen andere Teile der Tekknoszene. An der Kleidung zeigt sich gleichzeitig, daß die Vorstellungen "draußen" mit der Lebenswirklichkeit der Partygänger nur selten übereinstimmen. So fällt beim Besuch einer Tekknoparty beispielsweise sofort auf, daß dort praktisch keinen einheitlicher Modestil (Outfit) erkennbar ist. Bei kleineren Veranstaltungen - wozu der Autor auch sogenannte 72-Stunden-Raves in kleineren Konzerträumen in Gegensatz zu "Megaraves" mit vielen hundert bis zu tausenden von Teilnehmern zählt - sind viele Besucher mit Jeans, T-Shirts, ins Elegante spielenden Mänteln usw. bekleidet: Insgesamt gewöhnliche Großstadt-"Ausgehmontur". Miniberockte "Girlies", Ziegenbartträgern mit Wollmützen sowie in Silberuniformen gehüllten Jugendlichen mit einem auf den Rücken geschnallten Staubsauger haben wir fast nie angetroffen. Einzelne Kleidungsstücke wie "Sneaker" (Schuhe), "Dickiehosen" oder "GDEH-Sweater" können zwar zeiteise einen modischen Trend darstellen, eine sichtbare modische Uniformierung ist aber weder in Richtung einheitlicher Kleidung noch in Richtung eines betont überindividuellen Outfits erkennbar.

Frage: Ziehst Du Dich auch so szenemäßig an? Du siehst ja eher aus wie 'n Ök[o].
Corinna: Aufgerissene Hose und so, das steht für Gabba [Tekkno-Musikrichtung], und [ich habe] immer [eine] Adidas-Jacke oder Kappe an. Und so Sportanzüge, das gehört ja irgendwie zu Hardcore. Ja, und Sportschuhe.
Frage: Und den Wollpulli?
Corinna: Nee, quatsch, mit dem Pullover würd' ich niemals irgendwo reingehen. Es ist nur so, ich muß nur gleich nochmal weg, deshalb der Pullover.

Gelegentlich werden kleinere stilistische Anleihen an die Mode der frühen siebziger Jahre (z.B. kleine Plastiktaschen für Flugzeughandgepäck) sowie an die vierziger und fünfziger Jahre gemacht. Diese Tendenz der Rückbesinnung tritt aber zur Zeit in vielen verschiedenen Großstadtjugendszenen auf.

Selten wird bei Raves auch die unter vielen Jugendlichen ausgeprägte Fixierung auf Produktmarken modisch einbezogen, etwa als überdimensional auf T-Shirts aufgedruckte Originalschriftzüge von niederpreisigen Erzeugnissen bzw. deren Herstellern (Bärenmarke, Jägermeister, Afri-Cola; früher auch Aldi, Meister Propper). Nur in seltenen Einzelfällen können jugendliche Tekkno-Anhänger wie viele andere Menschen auch extreme Verhaltensweisen bezüglich ihrer Bekleidung entwicklen. Beispielsweise wurden einer Interviewpartnerin schon 1000 DM für eine zwanzig Jahre alte, blau schimmernde Jacke eines Adidas-Trainingsanzuges geboten.

In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Musik: Im Gegensatz zur Volksmeinung empfinden viele Außenstehende Tekkno als immerhin "tanzbar" - so formulierte es eine Ärztin bei einem unserer Partybesuche.

Die Drogen: Pillen, Pappen, Pep

Dass junge Menschen gerne und häufig feiern, ist nicht neu. Die Tekknokultur bedingt jedoch unter anderem, dass häufig auch unter 18 Jahre alte Raverinnen und Raver ganze Wochenenden feiernd verbringen. Jedem ist klar, dass solche Mammuttouren, werden sie konsequent durchgeführt, nicht ohne Aufputschmittel möglich sind. Zusammen mit dem bei Jugendlichen typischen Probierverhalten werden bei Tekknoparties also zwangsläufig – zumindest zeitweise – Drogen konsumiert. Daher stammt auch die halb spaßhafte Bezeichnung, die sich manche Raver selbst geben: „A-Heads“ für acid heads, also mit acid (LSD) „vollgeknallte“ Köpfe.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Akzeptanz gegenüber Drogen in den letzten Jahren im allgemeinen gestiegen ist, sowie dass nicht mehr Cannabis, sondern Ecstasy die heute unter deutschen Jugendlichen am häufigsten erprobte Rauschsubstanz ist (Die Welt 1997). Dazu eine heute zwanzigjährige Raverin, die ein Extrembeispiel schildert: 

Frage: Wieviel hast Du Dir denn höchsten in einer Nacht reingetan?

Corinna: [Ecstasy-]Pillen? Zwölf. Wir sind Freitag abend weggegangen, und Sonntag morgen bin ich nach Hause gekommen, und in der Zeit von Freitag abend bis Sonntag hab ich zwölf Stück eingenommen.

Frage: Und welche Pillen waren das?

Corinna: „Hammer und Sichel“ waren das.

Frage: Und wie war’s?

Corinna: Schön, witzig, lustig, fertig, gut unterwegs gewesen.

Frage: In Köln?

Corinna: Ja, das war in Köln-Mülheim. Ich war zuerst im Wartesaal [Kölner Disko] und danach bin ich mit einem mitgefahren, und dann in Düsseldorf in einen Club, und dann noch mal kurz nach Holland, und in der Zeit hab ich zwölf Pillen reingeworfen.

Frage: Das war kein Problem mit dem Nachschub?

Corinna: Nein, wir hatten 250 Stück mit. Das war in einer Nacht so, da war ich halt mit Leuten unterwegs gewesen, da haben wir die so geklingt [eingeworfen] wie „viele, viele bunte Smarties“, und ich war wollte auch mehr oder weniger meine Grenze wissen. Ich wollte einfach wissen, wieviel ich aushalte. Ich kannte einen, der hatte in einer Nacht achtzehn Stück genommen und der ist dann in den Rhein-Rock-Hallen umgekippt und lag dann sechs Tage auf der Intensivstation mit Schläuchen in der Nase, und zwei Tage später, nachdem er aus dem Krankenhaus rausgekommen ist, hat er wieder neue Pillen geworfen, und ich wollte wissen, ob ich genau soviel schaffe. Ich hatte zwölf, und da hatte ich wirklich genug, da hatte auch keine Lust mehr drauf. 

Frage: Wie war denn das Gefühl da?

Corinna: Also ich war da schon heftig drauf, dass ich schon Probleme damit hatte, mich zu bewegen und zu tanzen, weil alles war am Wabbeln und am Zittern, und ich war schon so glücklich, ich dachte, ich kann glücklicher gar nicht mehr werden, das war schon irgendwie nicht mehr normal, weil ich habe gedacht, ich hätte echt jedem um den Hals fallen Können: „Ist die Erde schön, ist unser Planet nicht wunderbar, phantastisch, das ist wirklich!“ Jeder Mensch, der mich auf der Straße gesehen hätte, hätte hundert Pro gesagt, die ist verrückt, die hat Drogen genommen, die ist drogensüchtig.

Genau dieses Attribut – drogensüchtig zu sein – weisen die Raver jedoch weit von sich.

Corinna:

Warum sagst Du, ich wirk’ vollkommen normal und so? Weil die Leute glauben, Leute die Dorgen nehmen, denen kann man das sofort anmerken?

Frage:

Das hast Du doch selber gesagt, daß es Leute gibt, denen man es ansieht.

Corinna:

Das ist halt ’n Vorurteil.

Frage:

Die Leute können sich aber gar nicht vorstellen, wie normal Ihr das findet.

Corinna:

Ja, ist [aber] normal. Ich lauf mit Drogen in der Tasche rum und hab’ keine Probleme damit.

Tatsächlich deckt sich das Bild des sozial und körperlich verelendeten „drogensüchtigen“ Großstadtjunkies nicht mit der Lebenswirklichkeit der Raver. Erst Verwahrlosung oder offenkundige psychische Veränderungen („Klebenbleiben“) gelten als Zeichen von „echter“ Drogensucht. Dies ist um so bemerkenswerter, als viele hartgesottene Tekknopartygänger neben Ecstasy vor allem Cannabisprodukte, Amphetamine („Pep“) und LSD („Pappen“) bzw. Halluzinogene Pilze, gelegentlich aber auch Kokain einnehmen. Während Cannabis in Deutschland zunehmend den Status einer Gesellschafsdroge gewinnt und von den Ravern gerne auch zum „chill out“, das heißt zur inneren Beruhigung zwischen einzelnen Partyabschnitten, verwendet wird, dient LSD im Tekkno zur puren Steigerung des durch Musik und Aufputschmittel erzeugten Amüsements. Rasch und vorübergehend werden dabei neue Sinneseindrücke („optics“, d.h. optische Sinnestäuschungen) produziert – eine Reinform der von Schmidbauer & von Scheidt (1993) dargelegten Profanisierung des Rauschmittelgenusses. Das Suchtpotential des seltener eingenommenen Kokains minimieren Raver gelegentlich dadurch, daß die Droge ausschließlich in engumgrenzten Situationen verwendet wird: 

Vor Kokain hatte ich schon immer Respekt: Teuer, geht irgendwie schon so Richtung härtere Drogen, und [es besteht] die Möglichkeit dabei, daß ich von der ersten Nase süchtig werde. Weil, von dem ganzen nderen Scheiß kann man nicht süchtig werden – man kann zu großen Gefallen daran finden oder so, aber das ist schon `n Unterschied. Und dann hab’ ich mir gesagt, wenn ich mal Koks zieh’n will, dann nur in Verbindung mit Sex, aber nicht mit irgendwelchen Leuten zusammen in `nem Zimmer.

Die drogenkonsumierenden Raver legen recht häufig eine verblüffende Realitätssicht an den Tag. Über ein Buch, das Ecstasy wohlwollend beschreibt, äußerten sich zwei unserer Interviewpartner so:

Corinna:

Also, ’n sehr guter Freund von mir, mit dem ich mehr oder weniger auf der gleichen Wellenlänge liege, der meinte, wenn er jemals einen Sohn haben wird, er wollte alles dafür tun, daß der niemals so’n derartiges Buch über Drogen in die Hände kriegt, weil da wird so richtig [zum Drogenkonsum] ermutigt, tierisch anziehend.

Frage:

Müßtest Du doch eigentlich okay finden.

Corinna:

ne Werbung für Ecstasy? Es ist verboten, in Deutschland!

Frage:

Aber warum stört Dich das? Du nimmst es doch auch, oder hast es genommen.

Corinna:

Jaja, aber wie würd’ bitte die Welt aussehen, wenn sich jetzt alle irgendwie Pillen schmeißen würden?

Thomas:

Hektisch. Sehr hektisch.

Corinna:

Pillen machen dumm!

Wegen der oft richtig eingeschätzen oder selbst erfahrenen Nebenwirkungen beschränken viele Raver ihren in der Regel nur am Wochenende gehäuften Drogenkonsum auf ein für sie verträgliches und ihren Zwecken dienendes Maß. Dies rührt auch daher, daß sich nach Meinung der befragten Jugendlichen gerade bei Ecstasy das überragende Rauscherlebnis „wie beim ersten Mal“ später nie mehr – d. h. auch nicht bei höherer Dosierung – wieder einstellt. Auch die unter Ecstasyeinfluß erhöhte Kontakfreude bzw. das typischerweise als verstärkt empfundene Einfühlungsvermögen werden im Nachhinein häufig als negativ bewertet. Eine Achtzehnjährige berichtet:

Frage:

Weswegen hast du [mit Ecstasy] aufgehört?

Claudia:

Weil ich dann über den Abend, über diese Nächte nachgedacht hab’, und im nachhinein dann meistens [festgestellt habe], daß ich mit den Leuten normalerweise gar nix anfangen kann, mit denen ich den ganzen Abend gelabert und geredet hab’ und Adressen ausgetauscht. Und nachher haben die mich irgendwie nochmal angerufen, und das sind einfach nur dumme Leute gewesen. Also, ich zieh’ mir [heutzutage] höchsten noch ’was [Pep]. Weil, das macht mich einfach nur ’n bißchen wach. Aber ich will nicht mehr dieses happy, happy, ich liebe alle.

Die meisten Raver nehmen viele objektive, unmittelbare Gefahren bei Ecstasykonsums – vor allem Brechreiz, Kreislaufstörungen und Dehydrierung – längere Zeit in Kauf und kontern vorwitzig:

Das ist mir viel zu anstrengend, so viel zu trinken, weil da muß ich dauernd auf Toilette laufen, und ich will ja tanzen und was mit den Leuten zu tun haben.

Hingegen können subjektiv wahrgenommene Eigenschaften der Droge – wie in diesem Abschnitt weiter oben dargestellt – dazu führen, daß der Ecstasykonsum erheblich eingeschränkt bzw. beendet wird. Präventionsarbeit könnte daher auch an diesem Punkt ansetzen.

Polizeiliche Ermittlungen

Wegen des Drogenkonsums kommen manche Raver in Kontakt mit der Polizei. E ist jedem Ermittler bekannt, daß die Raver einen normalen Zivilbeamten rasch erkennen, und dies nicht nur wegen dessen Kleidung, sondern auch wegen des unrichtigen Gebrauches von Soziolektausdrücken:

Also, mir ist das jetzt schon zwei Mal passiert, aber ich erkenn’ die. Wenn man ’n paar Minuten in der Disco ist, dann merkt man das schon. Alleine, wie sie danach fragen. Weßite, kommt so’n Bulle, frisch gebügeltes Hemd, feine Hose, und dann so’n bißchen durcheinander die Frisur, steht so da mit ’nem Bierchen, und [sagt] dann: „Tschuldigung, haste vielleicht Ecstasytabletten?“ Ich: „Nee, ich nehm’ keine Drogen.“

Während hier noch die bare Vorsicht waltet (die von der Polizei durch den Einsatz junger Ermittler umgangen wird), stößt ein erfolgreicher polizeilicher Eingriff bei den Ravern vor allem auf Unverständnis bzw. auf das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden. Der Grund: In den Augen der Partygänger sind nur die von ihnen allgemein gemiedenen Opiate zu verurteilende Suchtmittel. Selbst der Transport größerer Drogenmengen rechtfertigt in den Augen mancher Raver keine polizeilichen Ermittlungen.

Im folgenden der Bericht einer Raverin, die mit Dealern unterwegs war und dabei mit 200 Gramm Pep im Auto aufgegriffen wurde:

Die [Polizisten] haben mich erst ’mal gut fertig gemacht, ich hab’ sechzehn Stunden lang nichts zu trinken gekriegt und nichts zu essen, und irgendwann nach zehn Stunden hab’ ich erstmal ’ne Decke reingekriegt in die Zelle. Also, ich bin echt behandelt worden wie ’n Schwerverbrecher, als ob ich ein Massenmörder wär’, oder was weiß ich, ’n Psychopath. Seitdem hab’ ich ’nen Haß auf die Bullen, ich kann sie nicht sehen. Und die Fragen, die sie mir gestellt haben. (…) Die waren da alle so drauf. Die haben uns wirklich so behandelt wie Müll: So Tritt in den Arsch und zack in die Zelle, egal ob die Eltern Bescheid wissen oder nicht. Ich wußte überhaupt nicht, wie ich mich da verhalten soll.

Es ist dieses in bezug auf Partydrogen vollkommen fehlende Unrechtsbewußtsein, das die meisten Erwachsenen sprachlos und einige Polizeibeamte offenbar unsichtbar macht.

Selbstaufklärung

Die entscheidende Hürde bei der Behandlung der drogenbezogenen Probleme ist das ungenügende Sachwissen der üblichen erwachsenen Bezugspersonen: Eltern, Lehrer und deren Bekannte. Viele Raver berichteten beispielsweise, daß in der Schule vorwiegend über Cannabis und Heroin, nicht aber über Partydrogen gesprochen wurde. Manche Erwachsene, so die Raver, kannte auch den Unterschied zwischen Cannabisprodukten und Heroin nicht. Hinzu kommt, daß Raver sich für Informationen zu den Gefahren des Alkohols meist nicht interessieren, weil sie diesen nur selten oder gar nicht trinken.

Thomas:

Unser Lehrer wollte uns wahrscheinlich keine Scheiße erzählen, also hat er es sein lassen. Das find ich auch arm. Wir haben über Alkohol und Drogen [Heroin] geredet, aber über Haschisch haben wir nie gesprochen. (…) Das Problem ist, daß die das nicht anders können: Wo die ihre Informationen herkriegen, das ist fürchterlich. Die kriegen das von irgendwo oben, von der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat das aus Amerika von irgend ’nem blöden Wissenschaftler, der in den fünfziger Jahren rausfinden sollte, warum es denn tödlich sein kann. So, und darauf bauen die in der Schule in den Neunzigern auf. Das geht nicht.

Nadja:

Das war bei mir aber irgendwie nicht so. Also, bei mir in der Schule, da wurde über alles, über Speed, über Pillen, über Haschisch [geredet] … klar [das] waren nicht so tolle Informationen. Aber sehr intensiv haben wir halt so über Pilze und LSD und sowas [geredet].

Corinna:

Waas?

Nadja:

Das war nicht unser normaler Biolehrer, das war halt so ‘ne Referendarin, und ich fand eigentlich schon, daß die es so ganz cool rübergebracht hat, so für die Leute, die da gar nichts von wußten, war‘s glaub‘ ich schon ganz aufklärend. Ja, war natürlich auch nicht so, daß alles gestimmt hatte, war ziemlich übertrieben.

Da die in Schulen und Medien versuchte Aufklärung über Partydrogen von den Ravern zwar gerne verfolgt, dann aber als inhaltlich unrichtig empfunden wird, sinkt auch das Interesse an diesen Informationsquellen oder schlägt sogar in Ablehnung um:

Corinna:

Die Artikel, die Focus und Stern so ‘rüberbringen über Drogen und so … wenn ich das sehe!

Thomas:

Ein Artikel, der war so schlecht recherchiert, da hab‘ ich wirklich Galle in den Hals bekommen.

(…)

Frage:

Findest du die Aufklärung [in der Schule] wichtig, oder ist es egal?

Corinna:

Ich weiß nicht, von meinem Standpunkt aus ist es mir egal, weil ich sowieso dadrüber aufgeklärt bin. Für diese ganzen Kids da, die das halt wirklich einfach nur machen, um irgendwie cool zu sein oder so, sollte man da vielleicht schonmal vorher…

Thomas:

.. Informationen geben.

Im Gegensatz zu den erwachsenden Bezugspersonen gibt es in der Szene regelrechte große Berater, die sich mit den Wirkungen der Partydrogen sehr gut auskennen und bei drogenbezogenen Fragen gerne aufgesucht werden. (Überhaupt fanden wir es erstaunlich, daß einige der Raver im Gespräch manches chemische, pharmakologische und botanische Detail richtig aus dem Hut zauberten.) Die im Umgang mit Drogen erfahrenen jungen Erwachsenen wenden ihre Beraterfunktion im Kontext der Tekknokultur sinnvoll an. Sie raten durchaus vom Gebrtauch verschiedener Drogen zu bestimmten Zeitpunkten ab (die hat selber gesagt, solange die ihr achtzehntes Llebensjahr nicht vollendet hat, will die keine Pappen nehmen, immerhin entwickelt sie sich noch) und kümmern sich um „abgestürzte“ Partygänger. Eine der „großen Beraterinnen“ berichtet dazu beispielsweise folgenden Fall:

Gefunden haben wir ihn hinten im Gang, saß der einfach so vor ‘nem Spiegel und dachte, immer wenn er sich bewegt, springt der Typ aus dem Spiegel raus und schneidet ihm die Kehle auf. Das war wirklich nicht witzig. Dann sind erst mal alle ‘raus, und [ich habe] erstmal angefangen, Gespräche zu führen: kann er mir vertrauen, und traut der mir wirklich, kann er mir seine Hand in die Hand geben. Und [ich sage:] „Hör mal, das ist ‘ne Pappe. Du bist soundso draufgekommen, ist okay, kein Problem, wir gehen jetzt“. Lange Gespräche, okay, alles klar, meine Hand genommen, zitter, zitter, mir fast die Finger gebrochen, sind aus dem Laden raus, und dann fing er an, mir Blümchen auf der Straße zu zeigen, und war so glücklich, und schwebte im siebten Himmel. Also, [die Qualität des Trips] hat sich sehr schnell verwandelt. Und das haben halt mehrere mitgekriegt, und ich hab schon mehrere aus schlechten Filmen rausgebracht, und denen wieder auf den Weg geholfen, oder auch schon Kinder nach Hause gefahren, vom Bahnhof aus, die erstmal zum Kakaotrinken genommen, gelabert, Leute zum Kotzen gebracht. Weil, ich hatte so jemanden nicht, und ich wünsch‘ es Leuten nicht, die irgendwie so schlecht [wie ich] angefangen haben.

In diesem Zusammenhang ist es vielleicht noch interessant zu hören, daß mehrere Raver glaubhaft versicherten, ihnen seien von Bekannten Amphetamine oder LSD in ein Getränk geschüttet worden bzw. Die Befragten hätten dasselbe bei anderen getan.

Schlußbemerkungen
Die Tekknopartykultur besteht aus zahlreichen Subkulturen, deren selbstgesetzte Hauptanliegen (Party-)Spaß und Liebe sind. Von außen wird die Bewegung meist als – allerdings sich selbst ad absurdum führende – Flucht vor dem leistungsorientierten Alltag und der Vereinzelung der Menschen gedeutet. Diese Flucht wird im Tekkno zwar auch, aber keineswegs ausschließlich durch Drogen inszeniert. Drogen sind 

nur ein Teil des Verhaltensrepertoires, das wie in den meisten Jugendkulturen von einer fein ausdifferenzierten Musikrezeption bis hin zur Wahl der richtigen Kleidung reicht.

Frontpage-Herausgeber Jürgen Laarmann: „Techno ist alles: Musik, Lebensstil, Kulturprinzip, Mittel, manchmal sogar Zweck“.

Tekkno ist jedoch vor allem ein eindeutiges Produkt unserer gesellschaftlichen Gegebenheiten. In unseren Interviews zeigte sich, daß viele Raver stark an diese Wirklichkeit angepaßt sind, wenn gleich sie es scheinbar verleugnen. Raver laufen in den Augen des Autors wegen des situationsbezogenen Drogeneinsatzes in der Regel nicht Gefahr, eine echte Drogenkarriere zu beginnen. Auch eine extreme Szeneanbindung wie bei Straßenkindern und Junkies besteht nicht (keine Szenenamen, keine größeren Cliquen mit festem Gefüge usw.). Es ist daher gut vorstellbar, daß die Tekknoströmung mit all ihren Begleiterscheinungen in einigen Jahren schlichtweg vergangen bzw. In eine andere Mode übergegangen sein wird. Vermutlich erleben wir dann, daß sich viele Raver wie seinerzeit viele Hippies etwas verspätet in einem Beruf hocharbeiten und sich dann nur noch gelegentlich an ihre wilden Jugendtaten zurückerinnern. Ob und welche körperlichen und psychischen Spätfolgen das gelegentlich exzessive Partyleben bis dahin nach sich zieht, kann nur die Zukunft zeigen.

Literatur

Literatur ist bitte im .pdf nachzulesen.


Toxisch

Geleitwort von MB


Auf falscher Fährte

Fehlinterpretationen & Leichenerscheinungen


Abformmittel in Extremsituationen

Accutrans


“Schlachtungs”-Handlungen”

gesellschaftlich Randständiges