Zum Liebespfeil der Schnirkelschnecken (Helicidae): Funktion und experimentelle Strukturaufklärung - On the "love arrow" of Helicid snails
Von Mark Benecke
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Aus: Club Conchylia 28(3/4), pp. 75-78, 1996.
Die Abbildungen sind im Original (Bibliotheken) und beim Autor erhältlich.
Abstract:
Some snails, especially Helicidae are build structures made of lime assotiated to their intenal reproductive organs. This is the first report of a physical structural anlysis of Helix pomatia's so-called "love arrow" which is shown to consist of calcium carbonate in the crystal modification aragonite. Furthermore, a method is introduced which allows fast brightening of the bag that contains the "love arrow" using NaOH. This allows working on the "love arrow" in situ and simplifies dissection of its opaque covering.
Der Liebespfeil von Schnirkelschnecken ist auch Nichtmalakologen oft bekannt. Dies ist umso verwunderlicher, da sowohl zoologische als auch populärwissenschaftliche Darstellungen - wenn überhaupt - meist nur in einem Nebensatz auf das Gebilde eingehen. Darüberhinaus gilt das "Liebesleben der Weinbergschnecke" im Volksmund als Sinnbild einer abstrusen und langweiligen wissenschaftlichen Thematik.
Die Durchsicht ausgewählter zoologischer Lehrbücher bzw. Monografien vermittelte uns den Eindruck, daß überhaupt nur wenige oder keine ausführlichen Untersuchungen zu Liebespfeilen vorliegen (siehe Übersicht am Ende des Textes; die beiden einzigen neueren Artikel sind Koralewska-Batura 1993 und Sauer 1972). Daher sollen an dieser Stelle einige selbst ermittelte und aus der Literatur gewonnene Tatsachen zusammengefaßt werden.
Liebespfeile entstehen auf einer Papille innerhalb des Liebespfeilsackes, der neben den fingerförmigen Drüsen und dem samenspeicherndem Gefäß (Receptaculum seminis) das dritte Anhangsorgan der Vagina bzw. des Atriums bestimmter Schnecken darstellt (Abb. 1). Die hohlen Pfeile bestehen aus Kalziumkarbonat (kohlensaurem Kalk), wobei deren Kristallkonformation als Aragonit (Ziegler, 1909), Conchin (Korschelt et al., 1913) oder Konchit (Kilias, 1995) angegeben wird. Eine von uns angestellte Röntgenbeugungsuntersuchung zeigte eindeutig, daß die Liebespfeile von Helix pomatia aus Aragonit bestehen (Abb. 2).
Bei der Begattung wird der Pfeil von der muskulösen Wandung des Pfeilsackes ausgetrieben und kann, wenn er nicht abbricht oder in der Fußmuskulatur des Sexualpartners steckenbleibt, auch zurückgezogen werden; bei Nichtbenutzung sollen Liebespfeile auch resorbiert werden können.
Die Kalkstachel transportieren nach Renner et al. 1991 ein Kontaktpheromon der fingerförmigen Drüsen, welches die bei der Begattung zu beobachtende Ausstülpung des Geschlechtsapparates bewirkt. Diese Tatsache erhärtet die Annahme, daß der Liebespfeil der sexuellen Stimulation im weitesten Sinne dient. Phylogenetisch ist der Liebespfeilsack als Umbildung der rechten Lippendrüse bei gleichzeitiger Reduktion der linken Lippendrüse entstanden. In Saugnapfschnecken (z.B. der Flußnapfschnecke Ancylus) ist die Pfeildrüse ein einfacher Schlauch, bei manchen Glanzschnecken (Zonitiden) und Schnirkelschnecken (Heliciden) gibt es auch Vervielfältigungen dieser Drüse. Einzelne Schneckenarten können so in mehreren Taschen gleichzeitig mehr als zwölf Liebespfeile mit vielkantiger Spitze bilden. Der Stachel der Weinbergschnecke ist oft säbelartig gebogen und vierschneidig (Abb. 3); er sieht im Sagittalschnitt kreuzförmig aus.
In einer eigenen Untersuchung maßen 37 Liebespfeile einer Weinbergschneckenpopulation von ca. 60 Tieren, die Ende April 1995 an der Donau gesammelt und danach einen Monat in einem großen Glasaquarium gehältert worden war, samt Krönchen im Schnitt genau 8 mm; die Häfte der Liebespfeile war zwischen 8,3 und 9,6 mm lang. Die in der Literatur manchmal angegeben Werte von bis zu 20 mm langen Liebenspfeilen traten bei unserer Population nicht auf; der längste Liebespfeil maß hier 11,2 mm.
In den Geschlechtsorganen weiterer Schneckenfamilien finden sich z.T. andere kalkige Strukturen. Neben einer schlichten Kalzifizierung der Papille im Liebespfeilsack mündet z.B. bei manchen Tellerschnecken (Planorbis) der Samenleiter durch ein hohles Kalkstilett, bei anderen Gastropoden finden sich Conchindornen in der Vagina bzw. dem Atrium.
Am Rande seien noch zwei von Ziegler genannte altertümliche Bezeichnungen für den Liebespfeil erwähnt, "Vitrina brecis" und "Parmarion". Erstaunlich erscheint uns, daß in der gesamten von uns durchgesehenen Literatur - auch wenn sie ausdrücklich auf solche Effekte abhebt - keine aphrodisierende Wirkung von Liebespfeilen vermutet wird, obwohl eine solche hier weit besser nachvollziehbar wäre als in den gewöhnlich angeführten Beispielen.
Wegen ihrer Formenvielfalt werden Liebespfeile auch zur Bestimmung herangezogen. Sie lassen sich nach Aufhellung des Liebespfeilsackes in etwa 30%iger Natronlauge gut darstellen und unter dem Binokular betrachten - innerhalb kürzester Zeit nach Einbringen des undurchsichtigen Pfeilsackes in die Lauge hellt sich dieser auf und der Liebespfeil tritt als scheinbar bräunlich-dunkle Struktur zutage.
Pfeilsäcke können beliebig lange in der weiter verdünnten basischen Lösung (pH 11) liegenbleiben. Das Gewebe erweicht, zerfällt aber auch bei monatelanger Lagerung nicht völlig. Zur Betrachtung des Liebespfeiles in seiner natürlichen Lage kann das Objekt mit einer an der Spitze umgebogenen Präpariernadel problemlos erfaßt und z.B. auf einem Deckglas unter ein Binokular gebracht werden. Für unser Empfinden eignen sich Durch- und Auflicht gleichermaßen zur Untersuchung.
Um den Liebespfeil ganz freizulegen, wird der Hüllsack mit zwei Präpariernadeln zerzupft, was wegen der Ätzwirkung der Natronlauge auf das Gewebe sofort leicht gelingt. Das oft zur Zerstörung des Pfeiles führende Zerschneiden des Sackes entfällt. Ggf. störende Gewebefetzchen schwimmen unter sachte fließendem Wasser auf (z.B. im Filmdöschen, in einer Petrischale etc.) und können so rasch entfernt werden; der Kalkpfeil bleibt am Boden liegen. Ein weiterer Vorteil der Verwendung von Natronlauge ist, daß dabei im Vergleich zur herkömmlichen Präparation des Liebespfeiles die vier Schneiden des Pfeiles unter dem Binokular deutlich abgegrenzt sichtbar sind.
Ist die alleinige Darstellung der Geschlechtsorgane bzw. des Pfeilsackes erwünscht, so eröffne man die Schnecke mit einem flachen Schnitt mit der Präparierschere von lateral kommend dorsal nach vorne bis etwa zwischen die Fühler (Abb. 4). Die weißen Geschlechtsorgane können dann leicht herausgezogen werden. Als Aufbewahrungsbehälter für Lauge und Pfeilsack haben sich durchsichtige oder milchig-weiße Kleinbildfilmdöschen bewährt. Solche Döschen erlauben eine Inspektion des darin befindlichen Präparates unter dem Binokular (Auflicht) und können jederzeit dicht verschlossen werden.
Dank
Die Kristallstruktur der Helix-Liebespfeile hat dankenswerterweise Frau Löhr vom Institut für Kalk- und Mörtelforschung in Köln bestimmt. Der Videoprint entstand im Labor von Professor Einhard Schierenberg, die Quelle der Weinbergschnecken stammte von Dr. Hoffmann, beide am Zoologischen Institut der Universität zu Köln.
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