2014 05 Taetowiermagazin: Tattoos fuer die Voelkerverstaendigung
Quelle: Tätowiermagazin 05/2014, Seite 144
Kolumne mit Mark Benecke
Von Mark Benecke
Conventions sind Einsteigerdroge, Ausflugsziel für die janze Familie, Shoppingwunderland für TätowiererInnen und natürlich Treffpunkt für den irren, bunten Haufen. Während Dirk-Boris oder Travelingmic dabei durch nichts aus der Ruhe zu bringen sind und jeden Tätowierer schon aus dem Augenwinkel erkennen, renne ich immer noch wie ein kleines Kind mit 'nem geschenkten Hunni im Süßigkeitenladen rum: Day-of-the-Dead-Tassenuntersetzer, »Bitch«-Aufnäher, aus Horn geschnitzte Anker? Immer her damit.
Neulich traf mich allerdings ein härterer Schlag als sonst: Bei der Edition Reuss, bekannt unter anderem für fetteste Tattoo-Bilderbücher, stand Lars Krutak. Genau: Der, der seit immer von tätowierten Menschen berichtet, die ganz weit weg von uns leben. Er nennt sich Tattoo Hunter (Tätowierungsjäger), sein Arbeitgeber bezeichnet ihn allerdings als »Repatriation Case Officer, Alaska«. Hä?
»Also«, sagt Lars, »wenn ich gerade nicht für Tätowiermagazine schreibe, dann überlege ich zusammen mit der Urbevölkerung in Alaska, was wir mit ihren Skeletten, schamanischen Ritualgegenständen und Grabbeigaben machen. Viele liegen bei uns, im Smithsonian Museum in Washington. So zwischen 1860 und 1930 haben wir sie in Alaska massenhaft gesammelt. Heute würden wir natürlich nicht mehr ungefragt Gegenstände aus Gräbern holen, aber so war es damals. Seit 1989 bringen wir die Sachen wieder zurück an ihren Ursprung, oft in örtliche Museen.«
Tut es nicht weh, derart wertvolle und historische Ausstellungsstücke zurückzutragen? »Ein bisschen schon«, erklärt unser Tattoo Hunter, »aber der Stolz und die Freude, die mir vor Ort entgegenschlagen, machen das mehr als wett. Ehrlich gesagt sind viele der Gegenstände nach heutigem Verständnis ja eh illegal nach Washington gebracht worden. Bei der Rückgabe erklären mir die Ureinwohner im Gegenzug dann beispielsweise etwas über die Pigmente bei der Bemalung zurückgegebener Masken. Ich schreibe das alles auf und wir geben die alten Techniken vor Ort gemeinsam an Jüngere weiter. Denn keiner der Jüngeren wäre aus Alaska nach Washington gefahren.« So schließt sich der kulturelle Kreis.
Und seine Tattoos? »Meine rituellen Narbenmuster und Tätowierungen helfen mir sehr«, sagt Lars. »Die Menschen vor Ort sehen sofort, dass ich – ein Mensch aus einer total anderen Kultur – durch Schmerzen und Körperveränderungen meine Transformation durchgemacht habe, genau wie viele von ihnen. Ich habe bestimmt fünfundzwanzig Tätowierungen, die mit jeder auf der Erde bekannten Methode gestochen wurden: japanisch, von Hand, mit Tierzähnen, elektrisch – und oben drauf über tausend Narben. So eine Mischung hat kaum jemand.«
Erstaunlich ist, dass Lars dennoch in der USHauptstadt äußerlich unauffällig untertauchen kann: Hände und Hals bleiben bei ihm tintenfrei, auch wenn jüngere AnthropologInnen Tätowierungen und Körperveränderungen mittlerweile ganz normal fi nden. Doch das war nicht immer so, und viele ältere Forscher fänden zu auffällige Tattoos einen Tacken zu freakig.
Ich war gefl ashed: Lars Krutak ist wohl der einzige promovierte und öffentlich angestellte Anthropologe, der Body-Modifi cations und Tattoos berufl ich und gezielt zur Völkerverständigung nutzt.
Chapeau und hail diversity: Lars Krutak und Marky Mark