Kleine Teile des Textes wurden verwendet auf → https://www.gamestar.de/artikel/adhs-diagnose-ki-netzhautbilder-auge-neurodivergenz,3432156.html
1. Warum ausgerechnet die Netzhaut? Können Sie unseren Lesern in einfachen Worten erklären, warum sich gerade die Retina eignet, um neurodivergente von neurotypischen Menschen zu unterscheiden?
Es war eine wirklich abgefahrene Idee der Kolleginnen und Kollegen, in die Augen zu schauen. Uns ist klar, dass das Gehirn unsere Persönlichkeit ist. Dazu gibt es massenhaft Studien, auch unter Autistinnen und Autisten. Als nun die Augen von Autistinnen und Autisten angesehen wurden (klick hier und hier) fanden das besonders meine ärztlichen Kolleginnen und Kollegen zunächst "umstrtitten", obwohl die künstliche Intelligenz ja eine supergenaue Trefferzahl hinlegte. Aber es hätte ja an fehlenden Massen-Tests gelegen haben können.
Biologisch fand ich es nicht so merkwürdig, denn "die Dicke der ellipsoiden Zone (EZ) mit Zapfen-Photorezeptoren war bei ASD signifikant erhöht; die großkalibrigen arteriovenösen Gefäße der inneren Netzhaut waren bei ASD signifikant reduziert; diese Veränderungen in der EZ und den arteriovenösen Gefäßen waren am linken Auge signifikanter als am rechten Auge" — das ist ja schon deutlich.
In der ganz neuen ADHS-Studie, in der über dreihundert Erwachsene und Kinder untersucht wurden, war die Idee, dass sich Dopamin, das ja viele "seelische" Wirkungen hat, auch auf das Entstehen und Wachsen der Netzhaut im Auge auswirkt. Vermutlich hängt das mit der durch Dopamin veränderten Durchfluss-Menge von Blut, vielleicht auch mit der ebenfalls von Dopamin beeinflussten Durchlässigkeit der Butgefäße zusammen.
Da die Dopamin-Sache noch untersucht wird, haben sich die Kolleginnen und Kollegen gesagt: Warum nicht einfach schauen, was wie im Auge sehen? Die genaue Entstehungsgeschichte der möglichen Netzhaut-Veränderungen können wir ja auch später untersuchen.
Hinzu kommt, dass gerade im Berich von Künstlicher Intelligenz, Deep Learning, in Laboren und der Wissenschaft überhaupt superviele Autistinnen und Autisten arbeiten. Das mag ein weiterer Anreiz gewesen sein, einfach mal zu gucken anstatt zu denken.
2. Wie würden Sie den derzeitigen Standard zur Diagnose von Autismus und ADHS beschreiben?
Es gibt derzeit keinen Standard. Das ist sehr gute Forschung, keine allgemein zugelassene Anwendung.
Was kann ein solches, auf Biomarkern basierendes Verfahren, für die Diagnostik für potenziell Neurodivergente verändern?
Dass ihnen endlich — wie auch den ME/CFS-Patientinnen und -Patienten — nicht mehr von Menschen, die nichts davon verstehen, aber auch die Messungen nicht anschauen, gesagt wird, dass sie sich das alles einbilden oder, noch beknackter, es eine Mode-Erscheinung sei.
3. Sehen Sie ein generelles Potential in solchen neuen Verfahren, unseren gesellschaftlichen Blick auf Autismus und ADHS zu verändern?
Auf den Autismus-Vorträgen und -Kanälen von meiner Frau und mir ist richtig was los, wenn es um die Eigenschaften und die Erkennung von Neurodiversität geht. Ich finde es daher gut, dass die saubere Erkennung immer besser gelingt.
Der nächste Schritt ist, die Trennung zwischen angeblich normalen und dazu so verschieden dazu wirkenden Menschen aufzugeben. Nicht nur Autismus und ADHS sind ein Spektrum, wie es in der neuesten Fassung der Liste von Krankheiten (ICD-11) auch super dargestellt ist, sondern auch die angebliche Normalität. Wie wir in Köln sagen: "Mer sin all Mische": Wir sind alle Menschen mit Stärken und Schwächen.
Gerade Autistinnen und Autisten sind überstark in Computerzeugs, Ingenieurs- und Natur-Wissenschaften vertreten, ADHSler:innen in der Bühnen-Kunst und AuDHSlerinnen vielleicht noch in vielem mehr. Das hat schon Hans Asperger gewusst, ich habe das in den Tiefen der Autismus-Bibliothek in London selbst ergründet.
Es ist also schon mal prima, wenn Menschen mit Spezial-Interessen das in Ruhe machen können, was sie eben können. Hilft allen.
Außerdem können die Angehörigen lernen, nicht das Kind so zu biegen, wie die Nachbarn es gerne hätten, sondern es leben zu lassen, wie es möchte. Das macht auch den Angehörigen das Leben leichter, die oft tausendmal verzweifelter sind als die Autistinnen und Autisten, weil sie irgendwas erzwingen möchten, was nicht geht und nicht sinnvoll ist.
Unser Forschungs-Team hat in den letzten sieben Jahren schon heraus gefunden, wie wir es den Schülerinnen und Schülern leichter machen. jetzt führen wir eine fette Untersuchung mit Kindergarten-Kids dazu durch.
Und: Wer stärkere Schwierigkeiten hat, erhält mehr Unterstützung. So wie bei Knochenbrüchen oder Grippe auch.