Familie mit dem Überflieger-Gen
Quelle: MFG-Magazin, März 2023
Der Name Prokop ist der Region um St. Pölten kein unbekannter. Nicht nur Otto, sondern fast alle Familienmitglieder standen durch ihre Erfolge in der Öffentlichkeit.
DER GROSSVATER Ottos Großvater väterlicherseits, Josef Prokop (1868-1937), zog um die Jahrhundertwende aus Böhmen nach St. Pölten, wo er zum Stadtbaudirektor ernannt wurde. Unter anderem wirkte der Architekt entscheidend beim Bau des Elektrizitätswerkes im Hammerpark, dem Reithallenkino, der Daniel-Gran-Volksschule und dem Straßenbahnbau mit.
DIE GESCHWISTER Bruder Ludwig Prokop war Sportmediziner und erlangte als vierfacher Doktor sowie als „Dopingjäger" internationale Bekanntheit. Heinz Prokop war ebenfalls Doktor, der als forensischer Psychiater, Gutachter und Sachverständiger fungierte. Gunnar Prokop, der Halbbruder aus der zweiten Ehe von Vater Ludwig sen., wurde als Leichtathletik-Trainer seiner Frau Liese sowie Schwägerin Maria Sykora bekannt, die er zu diversen internationalen Titeln führte, ebenso wie die Damen des Handball-Vereins Hypo Niederösterreich, den er mitbegründet hatte. Heidi Prokop erzielte beachtliche Erfolge als Turnerin und heiratete den St. Pöltner Baumeister Julius Eberhardt und widmete ihre Freizeit als Vorständin der Sportunion.
Doyen der Gerichtsmedizin nicht nur Studentinnen und Studenten, sondern alsbald auch die breite Öffentlichkeit. Die Hörsäle waren sogar an Sonntagen oft zum Bersten voll, wenn Otto Prokop für ein breites Publikum über abscheuliche Verbrechen und deren Aufklärung vortrug. Auch in den Medien wurde gerne über den charmanten Professor und seine maßgeblichen Gutachten bei Prozessen berichtet. Prokop hinterließ der Nachwelt mehrere Standardwerke zur Gerichtsmedizin, Fortschritte in der Vaterschaftsbestimmung und kämpfte vehement gegen Homöopathie und Erdstrahlengläubige. Beinahe Legendenstatus bekamen seine Lehrfilme über Leichenfäulnis, die Prokop für Kriminalbeamte an der Charité anfertigte. Die als „Horrorfilme" verschrienen Dokumentationen verließen selbst hartgesottene Kriminalisten mit fahlem Gesicht und einem flauen Gefühl im Magen. Nicht wenige mussten gar noch vor Ende der Vorführung überstürzt zur Toilette laufen. Auf der Suche nach Tätern war Prokops Zugang „Wenn das Herz klopft, steht der Verstand still". Stresssituationen führten zu Fehlern, war er überzeugt, und genau das nutzte er, um Mördern und Verbrechern mittels nüchterner Betrachtung der Fakten und Experimenten auf die Schliche zu kommen. Nachdem „Das Böse" Menschen seit jeher fasziniert, avancierte Otto Prokop mit seiner Arbeit auch zu einem Star der True Crime Fans. Der deutsche Kriminalbiologe und „Forensik-Rocker" Mark Benecke etwa verfasste als bekennender Otto Prokop Fan diverse Bücher über sein Idol. 2021 wurde Prokop zudem gar zum „Filmstar". In der dritten Staffel der Fernsehserie „Charité" schlüpfte Philipp Hochmair in die Rolle des charismatischen Professors. Die Bande zu seiner Familie und St. Pölten rissen nie ab. „Zu Weih-nachten mussten immer alle Familienmitglieder zu Hause in St. Pölten antreten, egal wo sie lebten. Da führte unser Vater ein strenges Regime. Otto fuhr dann immer im Porsche vor", erinnert sich der 19 Jahre jüngere Bruder Gunnar Prokop.
Das Stadtmuseum St. Pölten erinnert aktuell mit einer kleinen Dokumentation an den berühmten St. Pöltner, noch zu sehen bis April.
www.stadtmuseum-stpoelten.at
Gerichtsmediziner mit weißer Fliege zum Laborkittel
Quelle: Kronen Zeitung, Niederösterreich, 18. Februar 2023, Seite 25
Von Petra Weichhart
Der St. Pöltner Otto Prokop war an der Berliner Charité ein Star. Eine Spurensuche im Stadtmuseum.
Der Tod war sein Leben. Und Mord sein Hobby. Im Jahr 2021 hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert: Otto Prokop — einst führender Gerichtsmediziner an der Berliner Charité. Als Arzt und Forscher obduzierte er an die 50.000 Leichen und brachte durch seine akribischen Untersuchungen unzählige Verbrecher hinter Gitter. Heute ist der gebürtige St. Pöltner bei vielen in Vergessenheit geraten. Als eines von sieben Kindern der berühmten Prokop-Familie ist Otto heute vor allein deutschen Kriminal-Fans ein Begriff. Hierzulande läuft ihm sein jüngerer Bruder Gunnar in Sachen Bekanntheit den Rang ab. Dabei teilten die beiden, wie alle Familienmitglieder, schon in frühen Jahren ihre Begeisterung für den Sport.
Während es den Jüngeren der beiden bekanntlich zum Handball verschlug, konnte Otto Erfolge im Wasserkunstspringen vorweisen. Während seines Medizinstudiums in Wien geriet er 1945 in Kriegsgefangenschaft. 1957 verschlug es den St. Pöltner schließlich in die Stadt an der Spree, wo er bis zu seiner Pensionierung als Leiter der Rechtsmedizin an der Charité selbst hartgesottenen Kriminalisten mit seinen Lehrfilmen über Leichenfäulnis Laune und Magen verdarb.
Wissenschaftlich war Prokop seiner Zeit oft voraus", hält Mark Benecke, bekannter Forensiker und Prokop-Biograf fest. Eine Fliege unterm weißen Laborkittel war sein Markenzeichen. Auch in der DDR hielt Otto Prokop Kontakt zu seiner Familie in St. Pölten. Sein Bruder Gunnar soll sich bei Gegenbesuchen mit sportwissenschaftlicher Literatur auf den neuesten Stand gebracht haben — denn in der DDR war man diesbezüglich seinerzeit viel weiter.