Quelle: Münsterländische Volkszeitung (darin: Lokales / Rheine) vom 11. Juli 2017
VON SABINE STRODT (Text) und KLAUS DIERKES (Fotos)
Der Kriminalbiologe Mark Benecke hielt vor ausverkaufter Stadthalle einen Vortrag über die "Body Farm" in Tennessee
Den Geruch im ,Wald der Leichen' vergisst man nie. Er verursacht Übelkeit und Brechreiz. ,Das riecht wie dicke Bouillon mit Käse und Ammoniak', versucht Mark Benecke zu beschreiben. Der Kriminalbiologe ist bundesweit bekannt durch TV-Serien wie ,Medical Detectives" oder ,Autopsie', in denen er allgemein verständlich wissenschaftliche Hintergründe von Verbrechen mit Todesfolge erläutert. Am Dienstag war er zum dritten Mal in Rheine, wo der 1970 in Rosenheim geborene Kriminalbiologe inzwischen eine große Fangemeinde hat. Sein Vortrag in der Stadthalle über die ,Body Farm" in Tennessee war ausverkauft.
In der Pause signiert Bennecke Bücher und veredelt blanke Haut mit seiner Unterschrift. Der Forsensiker wird gefeiert wie ein Popstar. Viele Besucher stehen Schlange für ein Fotoshooting mit dem schwarz und stylisch gekleideten und auffällig tätowierten Wissenschaftler. Viele Frauen sind unter den Besuchern - angeblich doch das ,schwache Geschlecht"? Aber von Empfindlichkeiten keine Spur. Dabei ist dieser Vortrag echt nichts für schwache Nerven.
Die Body Farm ist ein 12.000 Quadratmeter großes bewaldetes Grundstück und liegt einige Meilen vom Campus der Universität in KnoxvilJe entfernt. US-WissenschaftIer studieren hier die Veränderungen, die an menschlichen Leichen im Verwesungs- oder Fäulnisstadium vor sich gehen. Das Gelände ist streng gesichert und darf nur von Wissenschaftlern, in erster Linie Anthropologen und Kriminologen sowie freiwilligen Körperspendern betreten werden. "Doch an Halloween klettern immer wieder Jugendliche über die Zäune, um Schädel von der Body Farm zu stehlen", erzählt Benecke.
Der Insektenspezialist hält hier einen Workshop über die Besiedlung menschlicher Leichen durch Speckkäfer, Fliegenmaden und andere Tierchen ab. Solche Erkenntnisse liefern Kriminologen wertvolle Hinweise über Tatorte, Tatzeiten und andere Details. Schon so mancher Mörder ist dadurch überführt worden.
Der Vortrag beginnt ganz harmlos mit der Anreise auf die Body Farm. Vier solcher Farmen gibt es in den USA, eine liegt im Bundesstaat Tennessee bei Knoxville und ist der örtlichen Universität angegliedert. Arbeitsräume für die Wissenschaftler gibt es auf der Body Farm nicht, deshalb wurden kurzerhand Umkleideräume eines in der Nähe liegenden Football-Stadions umfunktioniert. Benecke stellt einige der hier arbeitenden Wissenschaftler wie Knochenkundler und Leichenzahnspezialisten vor.
Die Leichen auf der Body Farm sind keine Opfer von Verbrechen, sondern stammen von freiwilligen Körperspendern. Als Danke für diese Spende durften sie sich wünschen, unter welchen Umständen sie verwesen wollten. Da ist zum Beispiel jener Herr, der nach Indianerart auf einem Holzgerüst bestattet werden wollte, mit dem Gesicht dem Himmel zugewandt. Leider ist dabei einiges schief gegangen: Erstens liegt die Leiche nun mit dem Gesicht nach unten. Und zweitens wirkt sie irgendwie schmierig, wenn auch weitgehend unverwest.
Des Rätsels Lösung: Der Bestatter hat die Leiche, so wie in den USA üblich, großzügig einbalsamiert, wobei auch sämtliche Körperflüssigkeiten durch Formalin ausgetauscht wurden. "In Deutschland wäre das verboten, weil die Leichen dann nicht ordentlich verwesen können", erklärt Benecke. Schließlich sollen Mineralien und andere elementare Stoffe dem Stoffkreislauf der Natur zurückgegeben werden. Rätsel gibt zunächst auch die völlig verfärbte Leiche eines älteren Mannes auf: Der Rücken des auf dem Bauch liegenden Torsos ist durch Trocknung rotbraun wie ein Schinken verfärbt, im Beckenbereich gibt ein großes Loch den Blick auf Knochen frei. Möglicherweise war hier das Gewebe durch Druckstellen vorgeschädigt. An solchen Stellen greifen Insekten bevorzugt an.
Weiter geht es mit verschiedenen Arten von Fäulnis, Leichenliegezeitbestimmung, Speck- und Schinkenkäfern oder schrotschussartigen Hautdurchtrennungen durch Madenbefall. Kurz vor Schluss kommt es noch einmal knüppeldick: Benecke zeigt die Verwesungsstadien eines menschlichen Kopfes im Zeitraffer: Wasserverlust und Gasbildung verformen den Kopf, dann fallen Fliegenmaden über Augen, Nasenschleimhäute und Mund ein, bis der ganze Kopf von einem Madenteppich bedeckt ist. Das letzte Bild zeigt einen skelettierten Schädel - fast eine Wohltat nach den vorangegangenen Bildern.
Der Tod ist nicht das Ende, danach passiert noch ganz, ganz viel mit Ihnen. Sie werden auf jeden Fall nicht allein sein", tröstet Benecke seine Zuhörer. Vielleicht ein Grund mehr, sich beizeiten für eine Urnenbestattung zu entscheiden. Den etwa 600 Zuhörern hat der informative und unterhaltsam gestaltete Vortrag gefallen. Sie bedanken sich mit donnerndem Applaus. Auch Ingo und Ina, ein junges Paar aus Emsdetten, sind begeistert: ,Klar, die Bilder waren schon ziemlich hart. Benecke hat uns den Tod gezeigt, wie er ist, aber mit dem gebührenden Respekt", finden sie.
Einige Besucher hatte sicher Sensationslust in die Stadthalle gelockt. Aber der Vortrag hatte durchaus auch eine ernsthafte, wissenschaftliche Seite. In einigen Pflegeberufen wird ein Benecke-Vortrag sogar als Fortbildung anerkannt. Fotografieren war während der Veranstaltung übrigens nur in der Pause erlaubt. Auch die Presse durfte von den auf einer Leinwand dargestellten Bildern keine Aufnahmen machen.
Mit herzlichem Dank an Sabine Strodt, Klaus Dierkes und die Redaktion für die Freigabe und die Genehmigung zur Veröffentlichung.