PREMIERE: „Tanz der Vampire“ ist zurück in Berlin

Totale Finsternis an der Kantstraße. Experte Mark Benecke erklärt den Kult um die Blutsauger.

QUELLE: Berliner Morgenpost, 22. Oktober 2018, Seite 24 (gekürzte Fassung, hier die lange Fassung)

Von Katharina Weiß

Tanz der Vampire / Theater des Westens

Berlin. Die Vampire laden zum Tanz. Bereits zum vierten Mal gastiert das Musical im Theater des Westens. Zur Premiere herrschte dennoch volles Haus, viele Prominente erschienen kostümiert auf dem Roten Teppich. Der Kriminalbiologe Mark Benecke war für einen Vortrag eingeladen und erklärt der Berliner Morgenpost, warum die Faszination für die Blutsauger nicht alt wird.

Sie sind Vorsitzender der „Transylvanian Society of Dracula“, die hier auch „Deutsche Dracula-Gesellschaft“ genannt wird. Wie können wir uns so eine Vereinssitzung vorstellen?

Mark Benecke: Im klassischen Sinne gibt es keine Sitzungen, sondern eher spezielle Events. Um den Gag aufrechtzuerhalten, haben wir uns früher öfter in Transsilvanien getroffen. Dort steht das Schloss Bran, das als Dracula-Schloss berühmt wurde. 

Auch wenn dies historisch falsch ist, weil Vlad Ţepeş, das geschichtliche Vorbild des berühmten Vampirs, in der Walachei lebte. Na, jedenfalls haben wir schöne Blutsonnen-Spaziergänge über einen alten deutschen Friedhof gemacht und im Rathaus von Schäßburg, das heutige Sighişoara, jede Menge Vorträge gehört und viel gegessen und getrunken.

Natürlich nur rote Getränke?

Nein, das ist nur meine Macke. Die ­anderen finden das eher gruselig und suspekt. Das sind zum Beispiel Münzkundler oder Medizinerinnen – die haben nicht unbedingt meinen Subkulturbezug.

Muss man gebissen werden, um mitmachen zu können? 

Bei mir muss man einfach nur fragen. Beim alten Chef gab es noch lustige Einführungsrituale, der hat sich immer einen harmlosen Quatsch ausgedacht, der zum jeweiligen Interessenten passt. Das war ein toller Mann, seitdem er verstorben ist, fehlt er der folkloristisch orientierten Vampir-Szene sehr. 

Das popkulturelle Bild des Vampirs hat sich stark gewandelt. Vom unansehnlichen Klaus-Kinski-Nosferatu bis hin zu den sexy Blutsaugern aus „Vampire Diaries“. Welche sind Ihre liebsten Vampire?

Ich mag sie alle. Mich fasziniert das Gebrochene an diesen Figuren. Vor kurzem habe ich ein Interview mit Michael Kunze, dem Autor von „Tanz der Vampire“, geführt, der sagte: „Ich liebe die Traurigen“. Die dunklen Facetten können gerne changieren und schillern. 

Kinski ist dafür ein gutes Beispiel, weil er persönlich ein komplettes Arschloch war, aber eine fantastische Film-Figur abgibt, bei der man sich als Zuschauer selbst hinterfragen muss. Vampire wabern in der Sphäre der grauen, samtenen, nächtlichen Ungewissheit. 

Selbst die modernen „Twilight“-Vampire, die keinen Sex haben und lieber knutschen, bleiben darin verhaftet, weil natürlich jeder auch die finsteren Geschichten vom unsterblichen Verführer kennt, der dich mit seinem Blick in die Ewigkeit ziehen kann und dir das Leben aus den Adern saugt.

„Sink mit mir ins Meer der Zeit“ - so flirtet ja auch der Chefvampir die Jungfrau im Musical an. Trotz aller Leidenschaft wird ihm die ewige Existenz langweilig. Angenommen Sie wären ein Vampir. Wie lange würde es dauern, bis Ihnen die Unendlichkeit zum Hals heraushängt?

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Das kann keiner wissen. Vielleicht hat man auch eine andere Zeitwahrnehmung, wenn man mit jemandem ins Meer der Zeit sinkt, den man wirklich mag. Oder man sucht sich jemanden, mit dem es immer Streit gibt, dann bleibt man auch beschäftigt. 

Die depressiven Vampire haben aber eine lange Geschichte. Auch bei Anne Rice in „Interview mit einem Vampir“ verrottet Lestat lieber ein Jahrhundert im Wohnzimmersessel, ohne was Neues zu lernen. Ich glaube, das mit den Vampir-Superkräften kann man sich daher abschminken. Wenn ein Mensch depressiv ist und sich vornimmt, Klavier spielen zu lernen, dann wird das meistens nichts. Bei einem depressiven Vampir klappt es dann halt 500 Jahre lang nicht. 

Also ist Sterblichkeit doch schöner, nach dem Motto: „In der Kürze liegt die Würze“?

Ich vermute einfach, dass man immer so bleibt, wie man ist. Schon wir in unserer menschlichen Lebensspanne sehen ja ständig Wiederholungen. Je älter man ist, desto entspannter kann man mit diesen wiederkehrenden Mustern umgehen. Oder man verzweifelt.