Quelle: Kochen ohne Knochen Magazin 3/2016 (Heft Nr. 24), Seiten 10 bis 15
Lebensfreundliche Umstände
Der Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke im Interview
VON JOACHIM HILLER
Mark Benecke ist Kriminalbiologe und ergründet als solcher, oft im Auftrag von Angehörigen, ungewisse Todesumstände. Und er ist Kölner, war zuletzt sogar Oberbürgermeisterkandidat in seiner Heimatstadt. Und er ist vortragsreisender. Und Vorsitzender des Landesverbandes Nordrhein- Westfalen von "Die ParteiII. Und Talkshowgast. Und gefragter Interviewpartner für Funk und Fernsehen, wenn es um Leichenfunde geht. Und Autor diverser Bücher. Und Entwickler von Experimentierkästen für Kinder. Und Mitglied im Wissenschaftsrat der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. Und Vorsitzender des Vereins ProTattoo. Und Musiker. Und Präsident der Transylvanian society of Dracula. Und veganer. Und noch vieles andere. Und ein superguter Typ, den ich in seinem Kölner Büro besuchte, um über ein paar Aspekte seines so umtriebigen Lebens zu reden.
Mark, du bist ständig unterwegs - als Dauerreisender in Sachen ... ja was eigentlich?
Meine Frau Ines und ich sowie Tina, die auch zum Team gehört, vermischen alles. Gerade waren wir bei einer PeTAVeranstaltung zum Thema Verbandsklagerecht, aber das hat für mich die gleiche Wertigkeit, wie wenn ich hier im Büro an diesem Tisch sitze mit den Angehörigen eines toten Menschen. In beiden Fällen geht es darum, in dem kleinen Bereich, den ich selbst beeinflussen kann, etwas voranzubringen. Im Grunde geht es um Menschlichkeit, wobei ich eher vom Bemühen spreche, lebensfreundliche Umstände zu schaffen.
Und dafür gibt es verschiedene Optionen: einerseits klassische kriminalbiologische Fallarbeit, andererseits beispielsweise Hilfe beim Aufbau und Betrieb eines DNA-Labors auf den Philippinen. Oder auch indem ich Menschen dabei helfe, zur Klärung der Todesumstände eines Angehörigen Kontakt zu Journalisten zu bekommen. Oder ich bin unterwegs, um Spuren einzusammeln. Oder ich fahre zum Lesen nach London in die Bibliothek der Linnean Society of London, die sich nach dem schwedischen Gelehrten Carl von Linne benannt hat, der erstmals all die Pflanzen und Tiere in der heutigen Form benannt hat.
Da stehen viele alte Bücher, die ich teils restaurieren lasse. Ich fühle mich eben auch dem Bewahren des Wissens verpflichtet, denn sehr viele Bücher sind und werden nicht digitalisiert; dieses Wissen geht potenzieIl verloren. Um auf deine Frage zurückzukommen: Spuren, Menschen, Tiere, Bücher, das ist mein Spektrum.
Und dazu muss man auch im digitalen Zeitalter noch reisen?
Das geht gar nicht anders. Im Herbst erscheint mein nächstes Buch, da geht es um Fälle von Menschen, die aus den Augen bluten, was als christliches Wunder gilt, oder um Menschen, die sich ans Kreuz nageln lassen. Dazu muss ich Experimente machen, Ines etwa musste sich Blut aus den Augen laufen lassen, damit ich festhalten kann, welche Spuren das hinterlässt.
Und das gleiche ich dann mit echten Fällen ab, schaue mir vor Ort an, wie das aussieht, wenn Blut an Kacheln herunterläuft, im Vergleich zu Haut, und so weiter. So was muss man einfach selbst machen, ganz kindlich einfache Fragen stellen.
Das klingt für mich so, als ob du ein Universalgelehrter alter Schule bist ...
Ich denke bei dem Begriff an Menschen wie Alexander von Humboldt oder Charles Darwin, und die kannten sich mit dem Wissenschaftskanon seit Aristoteies aus. Gesteine, Mineralien, Geografie, Botanik, Zoologie, und so weiter. In Botanik, Geografie und Geologie bin ich aber sehr schwach, dafür kenne ich mich besser in Medienarbeit aus, weiß, wie man in Schulen Vorträge hält oder wie man mal "undercover" in irgendwelchen Kontexten agiert.
Ich glaube, Ingrid Newkirk von PeTA fragt sich seit Monaten, was dieser Mann mit dem Batman-Sammelbild-Heftchen eigentlich von ihr wollte ... Insofern sehe ich mich nicht als Universalgelehrter, aber ich frage viel. Ein Freund ist Astrophysiker, und den habe ich jüngst wie so ein kleines Kind gefragt, wie es sein kann, dass in sehr alten Galaxien noch neue Sterne entstehen. Das hatte ich gelesen und wollte es erklärt haben. Da hatte dann selbst er spontan keine Antwort parat und musste sich informieren.
"Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?" Dieses Zitat könnte man auch auf dich anwenden angesichts der verschiedensten Rollen, in denen man dich erleben kann.
Diese Frage stelle ich mir nie, ich bin total zentriert. Ich bin wie eine Eiche, alles ist langsam gewachsen. Auf meinem Facebook-Profil etwa wird das aber manchmal nicht verstanden. Mein neues Musikvideo war in den Alternative-Charts auf Platz eins, und da kommen dann so Kommentare wie: "Mark, das ist aber ungewöhnlich, eigentlich bist du doch Kriminalbiologe!"
Oder ich schreibe was zum Thema Veganismus dann heißt es, das seien "sektenhafte Bekehrungsversuche" - nur weil ich ein Video eingestellt hatte, das zeigt, wie mich der vegan lebende stärkste Mann der Welt hochhebt. Was hat das denn mit Bekehrung zu tun? Aber ich habe mit solchen Anfeindungen kein Problem, so wie eine alte Eiche Kriege und Frieden, Liebe und Hass, Groß und Klein an sich hat vorbeiziehen sehen. Mir ist nichts egal, aber ich weiß, wo mein Zentrum ist. Und zum Glück ist Ines genauso.
Es ist also ein Problem der Außenwahrnehmung von Menschen, die dich jeweils nur in einer bestimmten Rolle kennen lernen.
Genau. Da wird man dann zur Projektionsfläche anderer. Ich bin ja schon lange in der Grufti-Szene aktiv; halte Vorträge auf dem alljährlichen Wave Gotik Treffen in Leipzig. Da regen sich dann Menschen darüber auf, warum da einer, der aus dem Fernsehen bekannt ist, auftreten muss. Andere nehmen das zur Gelegenheit, über psychische Auffälligkeiten oder Depressionen reden zu wollen, und so weiter.
Das finde ich gut, aber wenn man da nicht aufpasst, kann man schnell von einer Gruppe vereinnahmt werden. Speziell, wenn man mich über meine TV-Auftritte wahrnimmt als einen, "der die Welt gut macht und die Bösen bekämpft". Da kann ich noch so oft sagen, dass ich nicht die Bösen bekämpfe, sondern höchstens dazu beitrage, dass die Bösen nicht wieder böse werden. Vor allem aber versuche ich, die Wahrheit darzulegen, und danach muss die Gesellschaft entscheiden, was sie mit der Wahrheit macht. Genau da lasse ich mich von niemanden einvernehmen, da bekommt ein HeIls Angel von mir das Gleiche zu hören wie ein Staatsanwalt.
Meine Projektionsfläche ist dein früher vegetarischer, mittlerweile veganer Lebenswandel. Als ich dich vor einigen Jahren schon einmal interviewte, lebtest du "nur" vegetarisch, wurdest dann vegan, hast aber bis vor kurzem noch deinen geliebten schwarzen Ledermantel verteidigt. Nun bekennst du: "Ich habe mich entledert" Wie kam es dazu?
Stimmt, das Leder ist weg, und das ist auch gut so. In Bezug auf Jahre oder Jahrzehnte getragenes Leder frage ich mich aber immer noch, ob es von der Ökobilanz her anders zu werten ist als etwa Kunstleder, das bei der Herstellung vielleicht auch vielen Tieren schadet. Es gibt auch in der Tierrechtsszene eine utilitaristische Richtung, die argumentiert, dass man mit Woll- und Lederprodukten möglicherweise in der Ökobilanz besser abschneidet, wobei die Ökobilanz nicht alles ist.
Aber das würde dann auf eine Argumentation hinauslaufen a la "Es wird zwar ein Tier für die Kleidung gequält, dafür geht es den Menschen besser". Und es stellt sich die Frage, wie gehen überhaupt die Menschen miteinander um? Es gibt ja auch die philosophische Behauptung, durch Tierschutz würde man üben, sich auch Menschen gegenüber gut zu verhalten. Dieses Eis, auf das man sich mit solchen Argumentationen begibt, ist mir zu dünn. Ich habe nach und nach begonnen, nachzuvollziehen - wobei ihr mir übrigens geholfen habt -, dass es aus Genussgründen überhaupt kein Problem ist, beim Essen auf Tierprodukte zu verzichten und auch Käse und Eier wegzulassen.
Zudem habe ich gelernt, wie leicht es ist, auf pflanzliche Weise Tierprodukte "nachzubasteln", etwa mit "Eischnee" auf der Basis von Kichererbsenwasser. Vegan zu leben ist sehr einfach, das ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt. Und der andere ist, dass mir das mit den Tieren irgendwann wehgetan hat, ich habe es einfach gerafft. Also etwa wie mit den Kühen in der Milchviehhaltung umgegangen wird. Wenn man das einmal tief ins Herz hat einsickern lassen, muss man auch mit den Konsequenzen leben.
Ich weiß, dass man sich mit dem Holocaust-Vergleich bei der TierhaItung angreifbar macht, aber in gewisser Weise ist das für mich schon schlüssig, gerade angesichts der jüngsten Gerichtsverfahren gegen KZ-Wachleute. Die sind bis zum Schluss unfähig' den Schleier der Erkenntnis, was sie da getan haben, wegzuziehen, denn wenn sie das täten, wie sollten sie dann weiterleben? Und in gewisser Weise ist es auch dieser Schritt, den man tun muss, wenn man Tierprodukte verwendet. Kann ich meine blöde Lederhose weiterhin anziehen, wenn ich mir die Schmerzen der Tiere vergegenwärtige?
Der Horror, der über einen hereinbricht, wenn man sich eingesteht, was da mit den Tieren passiert! Und dann noch all die Konsequenzen, die Tierprodukte für Klima und Umwelt haben. Erst gestern habe ich gehört, dass 51% aller klimarelevanten Treibhausgase aus der Tierwirtschaft stammen. Wenn das stimmt, ist es alternativlos, auf eine pflanzenbasierte Wirtschaft umzustellen. Es würden dabei nicht mal Arbeitsplätze verloren gehen, aber es würde die Welt angenehmer und langlebiger machen.
Wie bist du zu dieser sachlichen Sichtweise gekommen?
Wir haben hier im Büro bedingt durch unsere Arbeit mit Angehörigen von Verstorbenen bei einem Psychoanalytiker Supervision gemacht. Denn wir erleben es immer wieder, dass wir mit Angehörigen zu tun haben, die den sachlich richtigen Schritt nicht machen können, den Tod des Angehörigen zu akzeptieren, trotz klarer Fakten zur Todesursache. Und nach zwei Stunden Gespräch sagte der Psychoanalytiker nur: "Lassen Sie die Leute in Ruhe! Die können das nicht, weil die das nicht können."
Wenn sie sich der Erkenntnis stellen würden, würden sie verzweifeln, von der Brücke springen. Sie brauchen das Konstrukt, das sie sich zurechtgelegt haben, um weiterleben zu können. Ich wollte nicht so sein, sondern sachlich richtige Schritte machen. Zum Beispiel war der Sessel hier drüben mit Leder bezogen. Ich hätte argumentieren können, dass das Tier sowieso schon tot ist und ich den Sessel nutze, bis das Leder durchgewetzt ist. Stattdessen ging ich zum Polsterer um die Ecke und ließ den neu beziehen, mit Stoff. Und jetzt bin ich glücklicher.
Woher kommt die Verweigerung der Einsicht in die Ursachen und Konsequenzen des eigenen Tuns, auch wider besseres Wissen?
Melanie Joys Theorie des Karnismus ist eine Art, das zu erklären. Ich hingegen hatte ja vorher schon kein Fleisch gegessen, da musste ich nicht überzeugt werden. Nun lese ich Statistiken, Daten und Zahlen berufsbedingt nicht nur, sondern prüfe sie auch, was im Gegensatz zur Physik in meinem Bereich, der Biologie, eine andere Bedeutung hat, denn bei uns sind die Daten nicht so "hart". Ich wusste also von der Datenlage her längst, was Sache ist, nur verweigerte ich mich, den entscheidenden Schritt zu tun, die Schwelle der Erkenntnis zu überschreiten, wissend, dass mir dann die ganze Höllenhitze ins Gesicht schlägt.
Dabei führt angesichts des Klimawandels kein Weg mehr an einem Umschwenken zu pflanzlicher Ernährung vorbei. Jetzt wird schon über die Anzahl der Flüchtlinge gestöhnt, aber was wird erst sein, wenn in den nächsten Jahrzehnten Länder wie die Niederlande und Bangladesh absaufen? Mit diesem Wissen ist klar, dass man allmählich mal die Autos stehenlassen und auf pflanzliche Ernährung umsteigen sollte, denn sonst ist es schnell zu spät. Und dafür müssen Leute wie du und ich eintreten.
Ich hörte neulich in Berlin einen Vortrag von einem Menschen von einem Schweizer Thinktank, der sagte, mit dem eigenen veganen Leben sei noch nichts erreicht. Um wirklichen Wandel zu erreichen, müsse man aktiv andere Menschen von dieser Lebensweise überzeugen und zudem die Hälfte seines Einkommens für diesen Zweck spenden. Und er sprach nicht von "Missionieren", sondern davon, Verbände und Organisationen zu unterstützen, die wissenschaftliche und politische Fakten liefern können.
Um nun final auf deine Frage nach meiner Motivation zu antworten: Ich wollte mir nicht mehr länger zusätzlich zu all dem menschlichen Leid, mit dem ich beruflich zu tun habe bin, auch noch das Tierleid auf die Schultern laden. Meinen Ledermantel habe ich übrigens im Internet versteigert und das Geld gespendet. Ich fühle mich jetzt tausendmal besser.
Du argumentierst mit Tierrechtsgründen und Umweltschutz, andere leben rein aus gesundheitlichen Gründen vegan.
Ich finde es überhaupt nicht okay; auf solche Menschen herabzuschauen. So etwas ist total"kleingärtnerisch". Letztlich haben gesundheitsbewusste Menschen die gleichen Motive: Sie fühlen sich mit dieser Ernährung besser, es passt zu ihren Werten, und sie tun das Richtige. Was kann daran verkehrt sein?
Du trafst kürzlich Ingrid Newkirk von PeTA. Wie empfandest du diese Begegnung?
Sie hat mich ganz unerwartet sehr beeindruckt, besonders ihre tiefe Weltfreundlichkeit, ihr Eintreten für eine schöne, freundliche Welt, in der man auch für das Gute kämpft, und ihre Milde. Ich mag keine Vorbilder, aber dieses Treffen war bewegend und richtungsweisend.
PeTA ist in der veganen Bewegung durchaus umstritten, manche Kampagnen werden als populistisch und sexistisch kritisiert.
Ingrid Newkirk hat dazu wohl mal sinngemäß gesagt, dass alles okay ist, was die Aufmerksamkeit in die richtige Richtung lenkt. Ich persönlich würde das nicht tun, mein Weg ist der, durch freundliches, leichtfüßiges Vorleben zu überzeugen. Die Frage ist, wer am Ende des Tages mehr erreicht hat, und das wird wahrscheinlich PeTA gewesen sein und nicht ich. Aus meiner täglichen Arbeit mit meinen Klienten weiß ich allerdings, dass man bisweilen eine Ramme braucht, um - im übertragenen Sinne - die Tür aufzukriegen.
So eine Ramme ist das Verbandsklagerecht, und damit können eben nur große Verbände arbeiten. Was nicht heißt, dass damit kleine Verbände und Vereine unwichtig sind, denn beispielsweise Tierheime können viel für die Tierliebe und damit auch Menschen- und Weltliebe tun - die muss es auch geben. PeTA ist manchmal das schwarze Schaf oder ein krakeeliges Kind, aber es geht nicht anders. Außerdem sind 95% der Arbeit von PeTA leise und im Hintergrund. Und im persönlichen Umgang sind die MitarbeiterInnen, das ist meine Erfahrung, mega angenehm. PeTA gehört zu denen, die die Welt schützen.
Was sagt es über einen Menschen aus, wenn er bereit ist, für das "Gute" einen nennenswerten Teil seiner Zeit einzusetzen? Warum ist dir das wichtig, warum treibt dich das um? In der Zeit könnte man doch auch dösend auf dem Sofa sitzen.
Bei mir ist es eine Charakterfrage. Ich bin etwas autistisch, ich mag es nicht, wenn unwahre Dinge als wahr hingestellt werden. So wie vor Jahren in dieser TV-Talkshow: wo die Herren von der Fleischindustrie einfach die Unwahrheit gesagt haben, während ich daneben stand. Ich möchte solchen Arschlöchern sagen können, dass sie lügen, also eine bewusst unwahre Aussage machen. So was regt mich auf!
Und so gerne ich schlafe, habe ich einfach keine Lust herumzusitzen und nichts zu tun, da wird mir langweilig. Ich kämpfe für Wahres, damit mir nicht langweilig ist, wobei mir die Wahrheit immer wichtiger ist als das Gute. "Gut" ist eine Definitionssache.
Bei dem Talkshowauftritt bei "Hart aber fairll hat mich beeindruckt, wie ruhig und sachlich du geblieben bist.
Ich kann gar nicht anders, das ist wohl das Aspergerisch-Autistische an mir. Neulich haben wir ein Video gedreht, wo ich Hass-Kommentare auf der PeTA-Facebook-Seite kommentieren sollte, und hinterher waren alle um mich herum überrascht, wie sachlich ich auf diese Kommentare eingegangen bin. Dabei hätte ich gar nicht anders gekonnt. Ich kenne es aus meiner Arbeit nicht anders, als dass man auf jeden Einwand, egal wie hirnverbrannt er auch scheinen mag, sachlich eingeht. So ist mein Charakter.
Sagt zu mir jemand: "Du als Veganer isst meinem Essen das Essen weg", dann antworte ich ganz sachlich, dass es Zeiten gab, da haben die Leute wirklich Gras gegessen, weil es nichts anderes mehr gab. Das war 1816, das "Jahr ohne Sommer", als wegen eines Vulkanausbruchs eine Hungersnot in Europa herrschte. Seitdem weiß man, dass Gras nicht nahrhaft ist - bestimmte Inhaltsstoffe kann die menschliche Verdauung nicht verarbeiten, weshalb man Darmbeschwerden bekommt. Man muss also eine Kuh oder Pferd sein, um Gras verdauen zu können. Das wäre also meine Antwort gewesen. Damit habe ich nur gute Erfahrungen gemacht, auch auf meiner Facebook-Seite.
Die Gesamtheit vegan lebender Menschen ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, denn wenn die erste Begeisterung sich gelegt hat, stellt man oft fest, dass sich in dieser Szene auch sehr viele Wirrköpfe tummeln, Glutenverteufler und Chemtrails-Gläubige inklusive.Wie geht es dir da als Wissenschaftler?
Ach ja, der ganze Bullshit ... Ich habe schon mehrfach öffentlich homöopathische Überdosen zu mir genommen, ich habe bei Veranstaltungen Homöopathika angerührt aus Leichenfliegen und Sperma, und dabei festgestellt, dass für das Publikum Leichenfliegen noch okay sind, Sperma aber als eklig empfunden wird. Komisch, denn da ist doch nach der Verdünnung sowieso nichts drin. Das ist immer wieder sehr lustig.
Bei Chemtrail-Leuten war ich auch schon, und da habe ich dann eine Lektion gelernt: Man muss zu diesen Bullshittern hingehen und mit denen reden. Viele von ihnen sind depressiv und haben Angststörungen, wobei ich das nicht in die "klinische Ecke" drängen will. Wie sie sind, ist eben Teil von ihres Charakters. Und wenn man das Ängstliche dann auf ein Thema wie Gluten "das klebt, also verklebt es auch was im Körper" - bezieht, kommt eben ein klassisches magisches Denken zum Tragen. Dazu muss man nur mal in das "Lexikon des Aberglaubens" schauen - das steht hier im Regal.
In dieses Buch schaue ich öfter als in jedes andere, und da stellt man schnell fest, was es mit der Homöopathie auf sich hat und dem dortigen Glauben: "Gleiches hilft gegen Gleiches". Bei den Chemtrail-Leuten kommt noch was anderes dazu: Viele fühlen sich körperlich schwach, suchen eine Ursache, und suchen dann dreißig Jahre lang... Ich kann dieses Suchen aber gut nachvollziehen.
Warum?
Ein Freund von mir hat früh einsetzendes Parkinson, das ging schon in der Schule mit von uns nicht erkannten Frühanzeichen los: Winzig kleine Schrift, starre Mimik und so weiter. Jeder Neurologe hätte eine Diagnose stellen können, stattdessen wurde behauptet, er sei Alkoholiker, weil seine Hände zitterten. Zehn Jahre ging er zu Ärzten, keiner fand was, obwohl die Symptome klassisch waren. Wie mag es da erst Leuten gehen, die sich einfach schwach fühlen und keine Ursache finden, denen jeder, den sie fragen, etwas anderes sagt?
Dass solche Erlebnisse, solches Leiden die Menschen dazu bringt, alle möglichen Ursachen inklusive Chemtrails dafür verantwortlich zu machen, das wurde mir klar, als ich in meiner Eigenschaft als Mitglied von Die PARTEI zu einer großen Chemtrail-Demo in Berlin ging. Da bat mich eine Frau, dieses ganz leichte Transparent für sie zu halten, sie sei zu schwach. Das wog nichts, aber ich erkannte, wie sehr sie leiden muss, wie sehr sie sich Hilfe wünscht und eine Ursache zu kennen.
Na ja, die Folge dieses Gefallens war, dass ich jetzt auf Fotos zu sehen bin, wo ich dieses Transparent halte ... Viele von diesen Menschen lassen sich nicht helfen, aber vielen anderen könnte man helfen - sie auszulachen hilft nicht weiter. Sie fühlen sich dann nur weiter zu der Gruppe hingezogen, die sie "versteht". Da kommt eine ganz klassische Erscheinung zum Tragen, die auch an vielen Tatorten bei Ermittlungen zu Fehlern führt: Die Beobachtung ist korrekt, die Interpretation aber falsch.
Wie gehst du als logisch denkender Mensch mit dem Argument von "Veganfeinden" um, dass vegane Ernährung doch nicht natürlich sein kann, wenn einem bei dieser Ernährung Vitamin B12-Mangel droht und man dieses substituieren muss?
Für mich ist B12 zu substituieren wie die tägliche Benutzung von Seife. Warum dieses Beispiel? Letztes Jahr wurde das Ergebnis einer sich über 15 Jahre erstreckenden Studie veröffentlicht, und die ergab, dass die bakterielle Zusammensetzung deiner Hautoberfläche besser ist, wenn du niemals Seife benutzt, allerdings riechst du dann halt nicht so toll.
Und in einem anderen Fall wurde erprobt, wie es um die Zahngesundheit steht, wenn man im Rahmen einer PaläoErnährung auf normale Zahnpflege verzichtet. Das Ergebnis war, dass es kaum Karies gab. Nun entscheiden wir uns aus sozialen Gründen - starker Körper- und Mundgeruch ist heute nicht mehr akzeptabel - oder weil es uns einfach Freude macht, Lavendelseife zu benutzen, für die Verwendung von Seife und Zahncreme.
So ist es mit B12 auch. Ich stufe das immer auf ein Problemlevel von 0 bis 100 ein - meine Frau behauptet, bei mir habe nichts ein nennenswertes Problemlevel - und da hat das B12-Thema einen Wert von 0,01. Die B12-Supplementierung hat eigentlich sogar überhaupt kein Problemlevel, wenn man dadurch ein glücklicheres und gesünderes Leben führt. Das vermeintliche B12 - Problem, logisch abgewägt gegenüber den grundsätzlichen Vorteilen der veganen Ernährung, ist es die beste Nachricht des Jahrtausends, denn es ist es nur B12 das man einnehmen muss, sonst nichts.
Du bist sehr viel unterwegs, was bedeutet, dass du dich im Gegensatz zu jemandem, der viel in der Nähe seines eigenen Kühlschranks ist, jeden Tag einer neuen Herausforderung stellen musst: Wo bekomme ich was Veganes her? Wie sieht deine Strategie aus?
Wenn wir auf Vortragsreise sind - wir sind grundsätzlich nur per Bahn unterwegs - verbieten wir dem Veranstalter das Backstage-Catering. Aus Erfahrung scheitert jede Form der Erklärung, was wir wollen und was nicht - die Schüssel mit Mars und Bounty ist sonst unvermeidlich, genau wie im Osten Deutschlands das Ei-Brötchen. Zudem essen wir selten, eigentlich nur Frühstück und Abendessen, das war's. Ein Strukturvorteil ist, dass viele vegane Cafes nur bis 17 Uhr geöffnet haben und wir dann an solchen Orten was essen, bevor es mit Technik, Presse und Vortrag losgeht.
Selten essen, wenig essen, genau darauf achten, was man will - das ist die "Strategie". Anfangs nahm ich noch so Fruchtriegel mit, bis mir klar wurde, was für ein Beschiss das ist: da steht dann zwar drauf "Himbeere" oder "Heidelbeere", aber dann ist es doch immer nur zu 80% Datteln und Äpfel. Ich mag es in meinem ganzen Leben nicht, beschissen zu werden, also warum soll ich das bei veganen Riegeln akzeptieren? Ansonsten trinke ich viel, ich habe immer eine Thermoskanne bei mir, und sowieso war ich noch nie für ständiges Snacken anfällig. Allerdings bin ich im Gegensatz zu Ines auch kein Obstfan.
Das klingt eher so, als ob du isst, weil dein Körper was braucht. Bist du auch mal Genuss-Esser?
Naja. Ich habe ein eindeutiges Lieblingsrezept, das haben wir selbst entwickelt, das gibt es bei uns dauernd: "Death by Tomato". Tomatenstücke, getrocknete Tomaten, Tomatenmark, das war's. Dazu Nudeln oder Reis. Ende! Kein Knoblauch, wir essen den beide nicht. So zu essen ist für mich großer Genuss. Und ich kaufe auch nichts Fertiges, nichts Abgepacktes. Wenn ich Lust auf Möhre habe, dann esse ich eine gekochte Möhre.
Etwas Pfeffer und Salz dran und fertig. Ines mag zudem keine Kräuter, also lasse ich die mittlerweile auch weg. Unser Gewürzrepertoire ist also Pfeffer, Salz, Chili und Petersilie. Das mag jetzt alles freakiger rüberkommen als alles andere, was ich gesagt habe, aber ... ich liebe Kartoffeln. Einfach nur gekocht oder geviertelt im Ofen gebacken. So was ist für mich ein Genuss-Essen.
Und auch wenn es sich jetzt wieder etwas autistisch anhören mag: Ich kann nicht nachvollziehen, was an einem super aufwendig hergestellten Produkt so toll sein soll. Wenn man sich mal auf den puren Geschmack der Rohstoffe konzentriert hat, magst du das Verarbeitete, Gezuckerte und Gewürzte irgendwann nicht mehr. Das hat nichts irgendeinem Foodietum oder Trend zu tun. Wir mögen es einfach so, das ist alles.
Was steht bei dir für den Rest des Jahres auf dem Programm?
Business as usual, plus die ganzen bekloppten, schrägen Mini-Aktionen, die wir so machen. Irgendwelche Konferenzen, oder wenn irgendwo ein GruftiClub in der Provinz von der Schließung bedroht ist und meine Unterstützung braucht, dann helfe ich, wenn ich in der Nähe bin. Hauptsache, ich kann irgendwie Quatsch machen und es hat nichts mit einer Ideologie oder Religion zu tun und ist nicht missionarisch.
Deshalb habe ich mir auch mit Ingrid Newkirk mein Panini-Batman-Klebealbum angeschaut. Das Wichtigste ist, dass mir nicht langweilig wird. Apropos: Ich lese ja eigentlich keine Romane, aber ich habe mir jetzt mal das Gesamtwerk zu Sherlock Holmes im Original besorgt, das fällt ja eher unter Fachliteratur. Und da fiel mir auf, dass Holmes und ich durchaus ähnliche Charakterzüge haben: Einerseits so eine gewisse Eingeschränktheit, zum anderen, dass es nie langweilig werden darf.
Der Unterschied ist, dass Holmes irgendwelche Substanzen nimmt, Kokain oder so, oder er spielt Geige, ich aber nicht. Dafür fahre ich nach London in die Bibliothek und unterhalte mich mit der Restauratorin über alte Bücher. Die Welt ist super! Deshalb lohnt es sich, weltfreundlich zu sein, auch wenn keine große Hoffnung besteht. Das kulturelle und soziale Ding, wie wir es kennen, das ist vorbei. Wir sind die Letzten, die das so kennen werden.
Bist du so kulturpessimistisch?
Das ist kein Kulturpessimismus, das ist eine Tatsachenfeststellung. Ich war vor zwanzig Jahren mal auf einer Konferenz der Linnean SocietJ" da ging es um eine künstliche Biosphäre, wie so ein Modul für eine Mars-Mission. Die internationalen KollegInnen haben festgestellt, dass da manches machbar ist an künstlichen Welten, aber so ein System wie ein Ozean, das klappt nicht.
Eine Versuchs-Teilnehmerin war betroffen über das Sterben der Korallen in ihrer künstlichen Biosphäre, aber das nahm niemand ernst. Heute wissen wir, dass das Great Barrier Reef zu 90% absterben wird. So einer Erkenntnis muss man sich nach Lage der Daten stellen. Und dass jetzt endlich ein Vertrag unterschrieben wurde, der denTemperaturanstieg der Erdoberfläche auf 1,5 oder 2 Grad beschränken soll? Das ist doch ein Witz.
Die einzige Methode, das zu erreichen, wäre neben Verbrauchsminderung die rein pflanzliche Ernährung. Und dafür müsste sich ja eigentlich niemand einschränken. Zumindest wenn man das so autistisch sieht wie ich.