Jeder ist ein Unikat - und manch einer mehr als das (Tätowiermagazin)

Quelle: Tätowiermagazin 04/2013, Seite 144
Kolumne mit Mark Benecke

Von Mark Benecke

Jeder ist ein Unikat. Manche sind aber mehr als das: Originale. In meinem Leben zählt dazu Claudia Schmitt, Putzkraft bei HolzCity. Das ist die Holzhandlung, über der ich mein Labor (= meine Bude) habe. In ausgesuchtestem Kölsch scheucht »datt Schmittschen« die Mitarbeiter des über hundert Jahre alten Betriebes dort regelmäßig in Ecken und Winkel. Denn dort lauern Spinnen, und die hasst Claudia von Herzen. Weil es sich um ein altes, efeuberanktes Klostergemäuer handelt, gibt es entsprechend viele Krabbler. Irgendwer muss sie ja wegmachen …

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Claudias wichtigste Beschäftigung ist neben ihrer Familie »der« FC. Obwohl der Club fußballerisch vorwiegend Pein über seine jährlich wachsende Schar von Dauerkarten-Fans bringt, vereint er aber eben doch perfekt die kölschen Lebensgrundsätze: »Lääve un lääve looße« (Leben und leben lassen), »Mer muss ooch jönne könne« (Man muss auch gönnen können) sowie »Et hätt noch immer joot jejange« (Es geht letztlich immer gut aus). Wann genau es mit dem FC gut ausgehen wird, steht aber in den Sternen. Claudia überbrückte die Wartezeit schon vor Jahren sicherheitshalber mit einem dicken, fetten Fan-Tattoo. In der Stadionecke bei den ganz harten Jungs heißt sie nicht umsonst respektvoll »FC-Claudi«.

Tragisch wurde es, als Claudias Mutter letztes Jahr nach langer Krankheit starb. Zwar konnte sich eine zehnköpfige Kinderschar um die Pflege der liebevollen Frau kümmern. Allerdings waren die Kölner Friedhofsgärtner wenig einfühlsam und füllten das Erdgrab mit oldschooliger Friedhofserde auf. Diese enthielt, wie sich beim Rechen des Grabes wenige Tage später zeigte, nicht nur menschliche Langknochen, sondern auch einen Schädel. Claudias schockiertes Gesicht am Grab zierte am folgenden Tag die Titelseite unserer örtlichen Boulevardzeitung. Tatsächlich hatten die friedhofsgärtnerischen Piefeköpp un Kalledresser (= nachlässigen Schmutzfinken) die recycelte Erde vor dem Verfüllen nicht mal ansatzweise durchgesiebt und so eine in der Tat unschöne Szene erzeugt.

Mittlerweile hat Claudia den Schreck überwunden und sich von Ralf (Freywerk) ein Porträt ihrer Mutter stechen lassen. »So habe ich das Gefühl, dass sie nach ihrem Tod jetzt in mir weiterlebt«, berichtet Claudi. »Ich habe mir das ausgedacht und Ralf hat das super umgesetzt. Du weißt ja, ich bin extrem und nicht schnell zufrieden zu stellen. Alle Achtung, dass er mich ausgehalten hat bei meinen Wünschen und Vorstellungen. Ich bin stolz auf das Tattoo und muss mir das immer anschauen und jedem auf dem Handy zeigen. Auch meine Tochter sagte einfach nur ›Wow, ist das geil! Hammerhart!‹.

Das wohl ungewöhnlichste an dieser Geschichte ist der große Ernst, mit dem Claudias Mutter von ihrer Schulter lugt. »Tja, ich weiß«, erklärt datt Schmittschen, »aber das ist eben das Gesicht, das ich in mir hatte, als meine Mama von uns ging. Die heilige Mutter Gottes lächelt ja auch nicht.«
So isses. Oder anders jesacht: Et is wie et is.

Damit einverstanden und ganz der eure – Marky Mark