Ich trenne nicht zwischen Arbeit und Freizeit

Quelle: Rheinschau Uerdingen, Herbst-Ausgabe vom 25. September 2016

VON REBECCA HEISTERHOFF

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In diesem Herbst beweist Dr. Mark Benecke, Deutschlands populärster Kriminalbiologe, dass er in der Tat vor nichts fies ist – der bekennende Kölner kommt zu uns an den Niederrhein, um gemeinsam mit den Besucherinnen und Besucher der Krefelder Kulturfabrik an zwei Abenden auf Spurensuche zu gehen. Der 45-jährige Diplom-Biologe Dr. rer. medic., M.Sc., Ph.D. ist nicht nur Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren, er ist auch eloquent, unkompliziert und in der Lage, seinen einzigarten Blick auf das Leben und den Tod mit seinem Publikum zu teilen. Außerdem ist der Mann mit den vielen Spitznamen auch noch Autor, Politiker, Tierschützer, Moderator, Tattoo- und Comic-Fan und damit Spezialist im vermeintliche Gegensätze vereinen. Ein E-Mail-Gespräch:


Rheinschau: Wir sind sehr froh, dass Du Dir Zeit für uns nimmst, denn Du bist viel unterwegs – wo erwischen wir Dich denn gerade?

MB: In Berlin am Rosenthaler Platz. Ziemlich viele kotzende Jugendliche gestern Nacht, aber dafür auch viele vegane Läden. Eine wilde und daher schöne Mischung.


Das Stadtmarketing hier in Krefeld ist im Moment dabei, Krefeld stärker als „Stadt am Rhein“ in den Köpfen der Bewohnerinnen und Bewohner in und rund um unsere Stadt zu verankern. Was sagst Du als Kölscher Jung dazu?

War mir jetzt nicht so bewusst, dass Krefeld superrheinisch ist. Die ZuschauerInnen dort sind esaber auf jeden Fall: Es ist eine der Städte mit dem jüngsten und lockersten Publikum. 


Wie geht es mit Dir und Deiner politischen Heimat von der Partei „DIE PARTEI“ weiter?

Wir sind im Europaparlament, in den Stadtparlamenten von Lübeck bis Krefeld, haben bei den OB-Wahlen immer gut abgeschnitten (Greifswald, Köln...), sind in Niedersachsen soeben in viele Stadtparlamente gewählt worden und erst kürzlich bin ich in Dortmund erneut zum NRW- Landesvorsitzenden des größten PARTEI-Verbandes gewählt worden. Läuft!


Die abflauende Flüchtlingskrise beherrscht nach wie vor die Medien. Und Köln ist nach den Ereignissen in der Silvesternacht am Hauptbahnhof immer wieder im Fokus. Wie stehst Du als Wissenschaftler zu Religion im Allgemeinen? Und was sagst Du als Satire-Politiker zu Merkels ‚Wir schaffen das’? 

Ich finde Weltanschauungen angenehm, wenn sie Frieden und Liebe beinhalten. Ich selbst war lange und gerne Messdiener in Köln-Zollstock. Nach dem Zivildienst in einem Kloster bin ich allerdings sofort aus der Kirche ausgetreten. Ansonsten kann gerne jeder glauben, was er will, solange er andere damit in Ruhe lässt. Religion ist in meinen Augen absolute Privatsache und sollte wie Sex auch im Privaten bleiben. Das gilt für alle Weltanschauungen, von Islam bis Pastafarianismus. Die Muslime, Christen und Juden in meinem Veedel, der Kölner Südstadt, sind diesbezüglich auch cool und haben echt andere Probleme als die flächige Verbreitung ihrer Meinungen.


Was machst Du, wenn Du gerade mal etwas Freizeit hast, zwischen Reisen, Kriminalfällen und Büchern schreiben?

Ich trenne nicht zwischen Arbeit und Freizeit. Für mich ist alles eins. Ich mache das, was ich gerne mache, mit Leuten, die ich gerne habe. Ich lebe im Labor beziehungsweise in der Bibliothek. Meine Mitarbeiterin hat einen Schlüssel und kommt und geht, wann sie will. Für meine Frau und mich ist es ganz normal, dass alle Lebensbereiche miteinander verwoben sind. Das einzige, was ich wirklich trenne, sind Emotionen und der gerade zu bearbeitende Fall. Da geht es dann ausschließlich um die Wahrheit, die es zu finden gilt, und die liegt in den messbaren Spuren, nicht in den Gefühlen.


Dann bist Du also Forensiker geworden, um der Wahrheit willen? Andere werden dann Philosophen ...

Ich habe mich immer nur für Naturwissenschaften interessiert, saß als Kind in der Buchhandlung rum und habe alle möglichen Experimentierbücher gelesen. Damals war das noch nicht cool, das war sehr lange vor Big Bang Theory. Da hieß es dann: Oh, guck mal, der Junge da im Karo-Hemd. Aber ich liebe Tatsachen, Beweisbares, Wahres, Dinge, Spuren, Anfassbares und Messbares. Das alles erfahren wir durch Experimente, sonst nicht. Denken hilft, wenn überhaupt, erst hinterher. Deshalb habe ich Biologie studiert, ein Praktikum in der Rechtsmedizin gemacht und dort auch promoviert.


Beim Finden der Wahrheit hinter einem Kriminalfall helfen Dir oft Insekten. Deine besondere Beziehung zu Maden hat Dir sogar den Spitznamen “Dr. Made“ eingebracht. Wie muss man sich Deine Zusammenarbeit mit den kleinen Tieren vorstellen?

Insekten sind uralte Konstruktionen, viel älter als Wirbeltiere, und sie besiedeln alle Gebiete der Erde. Insekten haben Fähigkeiten, die keine andere Lebensform beherrscht. Sie können beispielsweise aus dem Flug unter der Decke landen oder in heißen Quellen leben. Säugetiere sind dazu nicht in der Lage und werden sich ohnehin nicht dauerhaft durchsetzen. Bei der Tatortarbeit geben Insekten spannende Hinweise, zum Beispiel auf Lagerung und Liegezeit eines Opfers.


In Krefeld haben wir an der Marktstraße, in der ehemaligen Alten Volksschule, ein Entomologisches Museum. Sind auch tote Insekten für Dich interessant? 

Klar, nur an denen können wir lernen, wie die kleinsten Merkmale aussehen. Unsere Studierenden lernen alle an toten Insekten, diese zu bestimmen. Die lebenden Tiere sind ein bisschen schnell, um jede einzelne Borste zählen zu können... 


Grundsätzlich setzt Du Dich für die Tierschutzorganisation Petazwei ein und lebst selbst inzwischen komplett vegan. Leider ist Deine tägliche Arbeit oft der Beweis dafür, dass der Mensch noch nicht einmal in der Lage ist, sich selbst artgerecht zu halten. Siehst Du da noch Hoffnung für das Verhältnis zwischen Mensch und Tier?

Nein, ist vorbei. Wir können uns in den letzten — kosmisch gedacht — Momenten des menschlichen Daseins aber trotzdem so gut verhalten, wie es geht. Und dazu gehört ein sehr gutes Verhältnis mit anderen Menschen und Tieren. Wenn man schon abtritt, dann geht das auch vernünftig und mit Würde und Staunen dafür, was die Natur ohne den Menschen und der Mensch alleine erschaffen und geschafft hat. Zack!


Bei Deiner Tätigkeit wirst Du oft mit den schlimmsten Formen des Todes konfrontiert. Wie schaffst Du es, da emotional Abstand zu halten? 

Du darfst nicht Abstand halten. Es gibt PolizistInnen, die nach zehn Jahren zusammenbrechen, weil sie dann auf einmal etwas sehen, zum Beispiel ein Kuscheltier an einer Unfallstelle, was alle angestauten Emotionen aus ihnen herausbrechen lässt. Menschen sterben nun einmal. Es gibt Kriege, Gewalt und Tod. Wir leben nicht in einer Glücksbärchen-Welt; es ist zu 99 Prozent Wahnsinn, der uns umgibt. Man kann sich davor nicht verschließen, man muss es sich ansehen. Ich selbst habe mich so daran gewöhnt, dass ich es nicht von meinem Privatleben trennen muss. Et is wie et is.


Auf was musst Du sonst noch achten an einem Tatort? Wie können wir uns Deine Arbeit dort vorstellen?

An einem Tatort hat jeder seine Aufgabe. Meine ist es, auf Kleinigkeiten zu achten. Die polizeilichen Experten sichern beispielsweise Fingerabdrücke. Das ist für meine Arbeit noch viel zu grob. Ich gucke nach Details, wie Fasern oder Blutspritzern. Ein Klassiker sind die Blutspritzer unter dem Waschbecken, die niemand weggewischt hat. Da ist alles an DNA drin, was man für die Ermittlungen braucht. Oder Zuckerkrümel, die irgendwo liegen, wo sie nicht liegen dürften, weil die Zuckerdose in die andere Richtung umgekippt ist. Diese kleinen Details bringen für sich genommen natürlich nichts, aber im Zusammenhang mit den anderen Spuren sind sie hilfreich. Wir müssen alles dokumentieren, in einen räumlichen Zusammenhang stellen und vor allem schnell arbeiten.


Wie stehst Du privat zum Tod? Wenn Du gerade nicht professionell damit befasst bist?

Die Kategorie „Totsein“ ist vor allem Ausdruck der Sicht des Menschen auf das Leben. In Wahrheit ist alles ein perfekter Recycling-Prozess. Oder auch ein Fließgleichgewicht. Alles, was der Mensch aufnimmt, gibt er auch wieder ab. Das, von dem wir denken, was wir “sind”, dass wir uns für wertvoll halten, ist eigentlich ein guter Witz. Im positiven Sinne. Tatsächlich ist alles ein ewiges Recycling. Das Energie- Gleichgewicht in jedem von uns kann von einer auf die andere Sekunde zusammenbrechen. Und dann ist Schluss, rein biologisch gesehen. Aber selbst wenn die Erde irgendwann einmal einfrieren sollte und keine Lebewesen mehr da sind – die chemischen Elemente bleiben ja, oder wenn es sich noch stärker ändert, die Quarks, Gluonen, Strings, Eichbosonen und Baryonen. Es ist alles eine Frage der Perspektive.


Du bist ja doch ein Philosoph! Hat der Tod auch komische Seiten? Gab es mal einen Fall, der Dich zum Schmunzeln brachte? 

Nein. Manches ist allerdings bizarr. Denn du merkst schnell, dass profane Dinge nie profan sind. Sherlock Holmes sagte: „Nothing is little.“ Alles Kleine kann auf etwas Großes verweisen. Etwa das Spielzeugauto neben dem dahingeschlachteten Mann. Diese Kombination ist grotesk. Man fragt sich, wie konnte er in so eine gewaltbetonte Situation geraten, während er seine Matchbox-Autos vor sich hat? Diese Verbindung aus Profanem und Gewalt sieht man an einem Tatort natürlich sehr oft.


Ganz in der Tradition von Sherlock Holmes, oder besser: in der von Sir Arthur Conan Doyle, dokumentierst Du als Autor Kriminalfälle. Was erwartet die Krefelderinnen und Krefelder am 7. Oktober und am 2. November in der Kulturfabrik? 

Das steht entweder auf der Eintrittskarte oder, falls nicht, wählen wir einfach gemeinsam ein Thema vor Ort. Es gibt von der Kufa auch einen kleinen Sender, da sind ein paar Interviews mit mir zu sehen, die die Atmosphäre in der Kufa schön einfangen.
Vielen Dank für das Gespräch.

Na, ich habe zu danken.


Mit großem Dank an Rebecca Heisterhoff und die Redaktion für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.