Quelle: Stuttgarter Zeitung, Fellbach & Rems-Murr-Kreis, 9. März 2020
Der Kriminalbiologe Mark Benecke lockt mit seinen „Blutspuren“ gut 1300 Zuschauer an.
Selbst langjährige Beschäftigte der Schwabenlandhalle müssen einige Zeit überlegen. Erst dann fällt ihnen eine Gelegenheit ein, bei der ein Vortragsredner mit gut 1300 Menschen den Hölderlinsaal samt Empore gefüllt hat. „Der Mann ist ein Phänomen“, sagt denn auch Andreas Mihatsch der Chef von Expedition Erde und damit Veranstalter des gut dreistündigen Samstagabends mit dem Kriminalbiologen Mark Benecke.
Als Spezialist für forensische Entomologie, der die Altersbestimmung von Leichen anhand der auf ihnen gesicherten Insekten oder Insektenlarven vornimmt, hat sich der 49-Jährige unstrittig ein nicht ganz alltägliches Fachgebiet ausgesucht. Oberflächlich betrachtet erscheint der Wahl-Kölner als Sonderling. Der großflächig tätowierte Mann von schlanker Gestalt unterbricht sein im Schnellsprech vorgetragenes Programm, wenn jemand aufsteht. Und dazu gibt es nicht nur für Klogänger gute Gründe. Die Halbzeitpause ist noch fern, als der erste Ruf nach ärztlicher Unterstützung laut wird, weil bei einer Frau auf den warmen oberen Rängen der Kreislauf schwächelt.
Während des Abends unter dem Titel „Blutspuren“ wird indes deutlich, dass Mark Benecke nicht nur aufgrund von Äußerlichkeiten eine riesige Fangemeinde hat. Er ist eine vielseitige Mischung aus Arbeitstier, Entertainer, Fachmann und Geistesgröße. Eine zweistellige Anzahl an Büchern hat er geschrieben, unzählige Auftritte in den Medien hinter sich gebracht und im Hauptberuf 1800 Untersuchungen bis zur Aktenreife gebracht. Das geht nur mit einer überaus strukturierten Arbeitsweise, deren oberstes Credo in seinem Leitsatz mündet: „Denken ist böse.“ Der mit hintergründigem Humor und manchmal unfreiwilliger Komik ausgestattete Experte verlässt sich nur auf Messungen und Experimente.
Bei Letzteren sind seine Studenten beliebte – freiwillige – Opfer. Im Fall einer von mehreren Verletzungen betroffenen älteren Frau etwa galt es deren Ursache zu klären. Die von einem Einbrecher angeblich zu Boden Gestoßene war schwer traumatisiert und konnte nicht befragt werden. An einer Mitarbeiterinin simulierte Mark Benecke in der Nachschau die Blutspuren und vor allem deren Fließverhalten. Das Ergebnis war eindeutig: Die Wunden konnten nicht von einem unbeabsichtigten Sturz stammen, sondern es lag ein versuchtes Tötungsdelikt vor.
Blutspuren sind für den Fachmann wie ein offenes Buch, werden aber – wie im Fall des amerikanischen Sportstars und mutmaßlichen Mörders O. J. Simpson – gelegentlich falsch interpretiert. Sie geben nicht nur Auskunft über Tatort und -zeit. Sogar die Geschwindigkeit und Richtung eines Schlags lässt sich bestimmen wie Mark Benecke detailreich und nicht arm an Fotos beschrieb. Zuvor gab es bereits andere drastische Bilder zu sehen, etwa eine durch Bakterienbefall giftgrün verfärbte Leiche. Wer sich für den nächsten Vortrag von Mark Benecke in Fellbach interessiert, muss sich bis Juni 2021 gedulden. Dann gibt es für zwei Glückliche einer langen Warteliste auch wieder die Gelegenheit, sich sein Autogramm tätowieren zu lassen. 300 Karten sind bereits weg – der Mann ist eben ein Phänomen.
— Mit vielem Dank an die Redaktion für die freundliche Erlaubnis zur Verwendung. —